Perfect
Willst du die perfekte Welt?
Meine Juni-Rezension 2024
Mit „Perfect“ endet die dystopische Jugendbuch-Dilogie von Cecelia Ahern. Auch dieses Buch hat die Autorin im November 2022 auf meinen Namen signiert. Sie schwärmte in der Lesung davon, wie süß die deutschen Weihnachtsmärkte seien: „I went ice skating today! I had such a wonderful day here.“, sagte sie im Interview, in dem sie ihren aktuellen Roman „Alle Farben meines Lebens“ vorstellte. Das Besondere an diesem Buch war, dass die deutsche Übersetzung noch vor dem Original erschienen ist. Doch als ich „Perfect“ aufgeschlagen habe, fiel mir auf, dass auch hier zuerst die deutsche Ausgabe erschienen ist, nämlich 2016. Die englischsprachige Originalausgabe von „Perfect“ folgte erst 2017. Ein interessanter Marketing-Coup, aus dem ich schließe, dass Ahern besonders im deutschsprachigen Raum eine große Fangemeinde hat. Auch wenn es der insgesamt vierte Roman ist, den ich von ihr gelesen habe, wird es wohl vorerst auch mein letzter sein.
Inhalt
Die 18-jährige Fehlerhafte Celestine North musste vor dem Richter Bosco Crevan und seinen Getreuen von zuhause fliehen. Unterschlupf findet sie in der Farm ihres Großvaters, der mehrere Fehlerhafte angestellt hat. Doch die Whistleblower kommen immer häufiger zu unangemeldeten Inspektionen und verhaften schließlich Celestines Großvater. Erneut auf der Flucht wird sie von Carrick Vane gefunden und an einen sicheren Ort gebracht, einem Fabrikgelände der Privatorganisation Vigor, dessen Inhaber Unterstützer der Fehlerhaften ist. Dort lernt Celestine nicht nur Carricks Eltern Kelly und Adam, sondern auch weitere Fehlerhafte kennen, die sich dem Aufstand gegen die Gilde anschließen wollen. Denn mit Celestines sechstem Brandmal haben sie einen Trumpf im Ärmel. Mithilfe des Videos aus der Markierungskammer können sie beweisen, dass die Gilde selbst fehlerhaft ist. Allerdings weiß Celestine nicht, wo das Videomaterial ist und wie sie es bekommen kann.
Cover
Das Cover weist viele Parallelen zum dem von „Flawed“ auf. Erneut steht die Silhouette einer jungen Frau, vermutlich Celestine, in einem knielangen Kleid mit dem Rücken zum Betrachter. Es ist sogar dasselbe Bild wie bei „Flawed“. Der Schatten, den sie wirft, ist hier weniger lang, da das ganze Cover insgesamt heller gehalten ist. Der Wald im Hintergrund verschwimmt in den dominanten Farben Pink und Grün. Der Ring um die Frau besteht nicht mehr aus Flammen, sondern aus weißen Blitzen, vor denen helle Lichtpunkte abgebildet sind. Die Glanzfolie des Titels in Hochprägung ist nun in Silber anstatt in Gold. Kurzum, das Cover von „Perfect“ macht sehr deutlich, dass es die Fortsetzung ist, ist aber selbst dafür wenig individuell. Mir persönlich gefällt das Cover von „Flawed“ besser.
Kritik
„Für jeden Menschen gibt es die Person, die er meint sein zu müssen, und die Person, die er wirklich ist.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Wie schon bei „Flawed“ besteht das erste Kapitel aus nur zwei Sätzen. Es ist vielmehr ein Statement als ein Kapitel, aber ein wirklich starker Einstieg. Neu ist, dass „Perfect“in drei Teile unterteilt ist. Mit annähernd 500 Seiten ist „Perfect“ etwas länger als „Flawed“, hat mit 84 allerdings deutlich mehr Kapitel als sein Vorgänger. Wie gewohnt berichtet die Protagonistin Celestine hier aus der Ich-Perspektive im Präsens, was eine besondere Identifikation mit ihr ermöglichen soll. Auch hier geht dem ersten Kapitel eine Definition voran, nämlich die von „perfekt“: „ideal, mustergültig, unübertrefflich, vollkommen, beispielhaft, vorbildlich, vollendet“. Eine wichtige Message in diesem Roman ist, dass niemand perfekt ist.
Normalerweise nutze ich den zweiten Band einer Reihe gerne, um eine weitere Hauptfigur genauer vorzustellen. Zum Beispiel Carrick Vane, den Celestine kennenlernt, als sie im Highland Castle inhaftiert ist. Sie fühlt sich schnell zu ihm hingezogen, und auch nach der Entlassung kann sie nicht aufhören, an ihn zu denken. Sie versucht zu ihm Kontakt aufzunehmen, weiß aber nicht wie. Carrick an dieser Stelle aber genauer zu beschreiben, wäre allerdings reine Zeitverschwendung, denn er ist wirklich flach gezeichnet. Im Prinzip ist Carrick der Konterpart zu Art, Celestines erstem Freund. Art ist blond, Carrick ist schwarzhaarig. Art ist witzig, Carrick ist ernst. Art hat blaue Augen. Carricks Augen sind schwarz. Oder dunkelbraun. Oder braun mit grünen Sprenkeln. Kein Scherz, in dem Buch heißt es nämlich: „Seine Augenfarbe spiegelt seine Stimmung wider“ (S. 185). Was für eine Klischeegrütze!
Im Prinzip dient Carrick also dazu, den Bad Guy in der Dreiecksbeziehung zu spielen, während Art der Good Guy ist. Allerdings ist Carrick Celestine gegenüber ein Idiot, der sie regelmäßig schlecht behandelt. Er unterbricht sie in Dialogen, hat ständig Wutanfälle oder brüllt sie an. An einer Stelle gesteht Celestine sogar „Carrick macht mir Angst.“ (S. 185). Aber das hindert sie natürlich nicht daran, etwas mit ihm anzufangen und bei der erstbesten Gelegenheit mit ihm in die Kiste zu hüpfen. Ganz ehrlich, abgesehen von der Verbundenheit, die sie auf politischer Ebene zueinander haben, habe ich diese Liebesbeziehung kein Bisschen gefühlt. Und von der Miscommunication-Trope, die hier eingebettet wird, will ich gar nicht erst anfangen. Muss es in dystopischen Jugendbüchern mit weiblichen Protagonistinnen denn immer zu Dreiecksbeziehungen kommen? Hatten wir nicht schon genug Katnisses, Peetas und Gales oder Cassias, Xanders und Kys oder Lenas, Alex‘ und Julians? Ein wenig Innovation hätte der Geschichte bestimmt nicht geschadet.
Auch zu Celestine muss ich an der Stelle noch ein paar Takte sagen. Schon im ersten Band empfand ich sie als inkohärent und die inflationäre Verwendung des Begriffs „Logik“ bzw. „logisch“ hat mich genervt. Das wird in „Perfect“ leider nicht besser. Sie selbst sieht sich als völlig rationale Person, die gut darin sei, Probleme zu lösen. In Wahrheit trifft sie Entscheidungen aber immer aus dem Bauch heraus. Als sie z.B. am Ende von „Flawed“ nach Hause kommt, wird sie dort bereits von Crevans Whistleblowern gesucht. Ihre ältere Schwester Juniper hält sie im Flur auf und rät ihr, schnell zu verschwinden, bevor sie entdeckt wird. Celestine sträubt sich jedoch dagegen, weil sie ihre Familie nicht allein lassen will. Rein rational wäre es die beste Entscheidung, auf ihre Schwester zu hören. Aus emotionalen Gründen will sie jedoch lieber bleiben. Erst als ihre Mutter in den Flur kommt und Celestine ebenfalls auffordert, zu fliehen, hört diese auf sie. So logisch, wie Celestine sich findet, ist sie also nicht. Ihr Selbstbild und ihr Verhalten sind absolut widersprüchlich. Außerdem ist sie keine glaubhafte Heldenfigur. Während Katniss bspw. tapfer, kämpferisch und dickköpfig ist, ist Celestine unglaublich passiv. Wenn sie eine Entscheidung treffen muss, hört sie entweder auf andere oder auf ihr Bauchgefühl. Keine Spur von ihrer angeblichen Logik! Nichts qualifiziert sie dazu, die Anführerin einer Rebellion zu sein, abgesehen von ihrem sechsten Brandmal. Sie ist weder besonders klug, noch rational, noch rebellisch. Es ist wirklich schade, zumal es nicht die erste Protagonistin von Ahern ist, mit der ich ein Problem habe.
Was ich auch immer noch nicht verstanden habe, ist, wieso Fehlerhafte in dem System härter bestraft werden als echte Verbrecher. Fehlerhaften Eltern werden die Kinder weggenommen und in einem Internat aufgezogen. Aber es wird nie erwähnt, ob das auch für die Kinder krimineller Eltern gilt. Und was ist mit kleineren Delikten, die in modernen Rechtssystemen auch nicht sofort mit einer Haftstrafe einhergehen? Generell bleibt das Worldbuilding hier weniger durchdacht als in vergleichbaren dystopischen Reihen. Immer wieder tauchen kleine Logikfehler auf. Bspw. sucht Celestine in ihrem Zimmer bei Vigor hastig nach einem Schreibutensil, während sie ein Telefonat führt. Sie wühlt durch die Sachen ihren Mitbewohnerin Mona und findet auf die Schnelle nur einen roten Lippenstift, mit dem sie an die Wand schreibt. Kurz darauf klopft es an der Tür, und dort steht Mona, „Taschen in der Hand, bereit zum Aufbruch.“ (S. 171). Aber wie zum Teufel konnte Celestine dann eine Minute zuvor noch durch Monas Sachen wühlen? Zu allem Überfluss fragt Mona Celestine dann noch, was sie mit ihrer Wand, aber nicht, was sie mit ihrem Lippenstift angestellt habe. Man merkt also schnell, bei „Perfect“ darf man nicht zu tief bohren, wenn man nicht auf Löcher stoßen will.
Aherns Schreibstil ist flach, einfach und gradlinig. Meinen persönlichen Geschmack trifft das nicht unbedingt, aber es gelingt ihr, Tempo und Spannungsbogen auf einem guten Niveau zu halten, sodass man schnell in einen Lesefluss gerät. Der Plot, der stets noch offene Fragen und ungelöste Geheimnisse enthält, hält den Leser trotz Schwächen bei der Stange. Genau das ist die Stärke von „Perfect“. Kennt ihr das, wenn ein Buch vielleicht nicht extrem gut geschrieben, aber dennoch spannend ist? Genauso fühlt sich „Perfect“ an.
Das Ende hat zwar einen ganz netten Twist, ist aber ansonsten nicht sonderlich überraschend. Es ist ein runder, zeitlich gut platzierter Abschluss, vielmehr sollte man davon allerdings nicht erwarten.
Fazit
„Perfect“ sollte nicht als Selbstbeschreibung verstanden werden, denn perfekt ist der zweite Band der dystopischen Jugendbuch-Reihe leider nicht. Dafür gibt es hier zu viele Kritikpunkte: flache, eindimensionale Figuren, ausgelutschte Klischees wie wechselnde Augenfarben oder eine Dreiecksbeziehung; eine Liebesbeziehung, bei der der Funke nicht überspringen will, ein löchriges, unausgereiftes Worldbuilding, kleinere Logikfehler, ein sehr schlichter Schreibstil sowie eine nicht heldenhafte Protagonistin. Gerade die letzten beiden Punkte sind mir bei Ahern regelmäßig negativ aufgefallen. Trotz aller Kritik konnte mich der letzte Band der Dilogie aber gut unterhalten. Plot, Tempo und Spannungsbogen greifen wunderbar ineinander, weshalb das Lesen trotz offensichtlicher Mängel Spaß gemacht hat. Es gibt keine Längen und die kleinen Cliffhanger am Ende vieler Kapitel erhalten den Lesefluss aufrecht. Deswegen gebe ich „Perfect“ von Cecelia Ahern aus dem Jahr 2016 gerade noch drei von fünf Federn. Wer auf das Subgenre dystopischer Jugendbuch-Reihen mit weiblichen Protagonistinnen steht und schon so ziemlich alles gelesen hat, was es in dem Bereich gibt, kann hier zuschlagen. Andernfalls würde ich empfehlen, zuerst zu anderen Reihen wie „Die Tribute von Panem“ oder „Cassia & Ky“ zu greifen. Aherns Schreibstil trifft einfach nicht meinen Geschmack und auch ihre Protagonistinnen finde ich durchweg unsympathisch, wobei Celestine davon noch die harmloseste ist. Da ich wohl nicht mehr so richtig warm mit ihren Büchern werde, werde ich in Zukunft keine weiteren Werke der Autorin mehr lesen.