Flawed

Flawed
27. Mai 2024 0 Von lara

Wie perfekt willst du sein?

Meine Mai-Rezension 2024


Im November 2022 habe ich Cecelia Ahern im Rahmen einer Lesung in Düsseldorf getroffen. Dort durfte ich mich kurz mit ihr unterhalten und sie war so lieb und hat zwei Bücher auf meinen Namen signiert: „Flawed“ und „Perfect“, die gemeinsam ihre dystopische Jugendbuch-Dilogie bilden. „I love these books! I am so proud, I wrote them.“, sagte sie zu mir, als ich ihr die Bücher gab. Ich musste mir an der Stelle verkneifen zuzugeben, dass ich die Bücher noch gar nicht gelesen hatte und sie noch auf meinem SuB lagen. Während der Lesung und auch im Gespräch war sie mir unheimlich sympathisch. Dass ich ihre Liebesromanen „P.S. Ich liebe dich“ und „Für immer vielleicht“ nicht besonders mochte, tat mir schon fast leid. Vielleicht war es auch die Begegnung mit ihr, die mich dazu ermutigt hat, „Flawed“ aus dem Jahr 2016 zu lesen und ihr noch eine Chance zu geben. Und so viel darf ich verraten: Für mich ist es das beste Buch, das ich bisher von ihr gelesen habe.

Inhalt

Die 17-jährige Celestine North lebt in einer unbestimmten Zukunft mit ihren Eltern, ihrer Schwester Juniper und ihrem Bruder Evan in Humming, der Hauptstadt von Highland. Sie ist frisch verliebt in ihren ersten Freund Art Crevan und versteht sich auch mit seinem Vater Bosco gut, der oberster Richter der Gilde ist, einer Institution, die Fehlerhafte bestraft. Als Fehlerhafte gelten jene Leute der Gesellschaft, die zwar keine Straftat begangen, aber moralische Verfehlungen hatten. Menschen, die zum Beispiel fremdgegangen sind, werden mit einem Brandmal markiert und müssen den Rest ihres Lebens mit einer Armbinde herumlaufen, die sie als fehlerhaft kennzeichnet. Celestine glaubt an die Richtigkeit der Gilde, bis die Verhaftung ihrer Nachbarin und Klavierlehrerin Angelina Tinder ihre Haltung ins Wanken bringt. Als sie im Schulbus dann einem fehlerhaften Mann Erste Hilfe leistet, landet sie selbst vor dem Gildengericht, denn Fehlerhaften zu helfen, gilt in Highland als moralische Verfehlung. Sollte Celestine als fehlerhaft verurteilt werden, wird ihr Leben nie mehr so sein, wie zuvor.

Cover

Das Cover zeigt im Zentrum die schattenhafte Silhouette einer jungen Frau, die mit dem Rücken zum Betrachter steht. Sie steht auf ihren Fußballen und hat ihr linkes Bein hinter dem rechten überkreuzt. Dazu trägt sie ein kurzärmeliges, knielanges, schlichtes, helles Kleid und ihre gewellten, offenen Haare werden vom Wind ein wenig nach links geweht. Sie scheint sich auf das grelle Licht im Zentrum des Hintergrundes zuzubewegen, weshalb sie einen langen Schatten auf den unteren Weg wirft. Der Hintergrund ist ansonsten von schemenhaftem Buschwerk, Baumspitzen und einem blauen Himmel geprägt, der im Bereich des Zentrums in ein helles Gelb übergeht und von Lichteffekten durchzogen ist. Um die junge Frau herum, vermutlich die Protagonistin Celestine, zieht sich ein großer Ring, der in Flammen steht. Möglicherweise repräsentiert er die Brandmale, die Fehlerhafte aufgedrückt bekommen. Besonders auffällig ist auch der goldfolierte Schriftzug von „Flawed“ in Hochprägung, der sich auch auf dem Buchrücken befindet. Insgesamt ist das Cover modern und minimalistisch gehalten, lässt die Thematik des Buches allerdings teilweise erahnen.

Kritik

„Ich bin ein Mädchen, das auf klare Definitionen steht, auf Logik, auf Schwarz oder Weiß.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, wobei das Kapitel ohnehin nur aus zwei Sätzen besteht. Mit „Ich“ ist die Protagonistin Celestine gemeint, die sich hier kurz und bündig selbst definiert. Der gesamte Roman wird aus der Ich-Perspektive von Celestine im Präsens geschildert. „Flawed“ hat mit über 450 Seiten und 66 Kapiteln einen durchschnittlichen Umfang. Dem ersten Kapitel voran geht die Definition von „fehlerhaft“: „defekt, mangelhaft, unvollkommen, deformiert, schadhaft, nicht einwandfrei“ und unterstreicht so die gesellschaftliche Stigmatisierung, der die sogenannten Fehlerhaften unterliegen.

Protagonistin ist Celestine North, eine 17-jährige Schülerin, die kurz vor ihrem Highschool-Abschluss steht. Da ihr Vater schwarz und ihre Mutter weiß ist, ist sie für mich seit Langem eine Protagonistin, die zu den People of Colour gehört. Sie hat schwarze Haare, braune Augen und eine Hautfarbe, die zwischen denen ihrer Eltern liegt. (So viel zu „Schwarz ODER Weiß“ aus dem ersten Kapitel, haha!) Sie selbst beschreibt sich als logisches, unkompliziertes und nüchternes Mädchen. Sie hat ein besonderes Talent für Mathematik und möchte das nach der Schule auch studieren. Das mag suggerieren, dass Celestine ein ziemlich intelligentes Mädchen ist, aber das ist ein Trugschluss. Vor allem ihre anfängliche Überzeugung für die Gilde ist kein Stück glaubhaft. Schließlich werden die Verhandlungen laut ihr „fair geführt“ (S. 13), nur um kurz darauf zu erwähnen, dass noch nie jemand für unschuldig befunden wurde. Wie fair kann so ein Prozess also sein, wenn der Ausgang scheinbar vorbestimmt ist? Mit ein wenig von ihrer geliebten „Logik“ hätte Celestine da selbst drauf kommen können. Dass sie dem fehlerhaften Herrn im Bus geholfen hat, hielt sie ebenfalls für völlig „logisch“, obwohl sie eigentlich wissen müsste, dass das in ihrer Gesellschaft verpönt ist, und sie sich damit Probleme einhandelt. Ihr Handeln war hier sicherlich empathisch und lobenswert, hat aber nichts mit Logik zu tun. Auch der erste Satz, in dem sie behauptet, „auf Logik, auf Schwarz oder Weiß“ (S. 9) zu stehen, ist an sich schon widersprüchlich. Natürlich sind nach dem Bivalenzprinzip Dinge entweder wahr oder falsch, aber in umfassenderen Gebieten wie Rechtswissenschaften führt das zu Fehlschlüssen. So sind Menschen auch niemals ausschließlich gut oder schlecht, sondern bewegen sich irgendwo dazwischen. Dafür, dass Celestine unlogisches Handeln bei anderen schwer nachvollziehen kann, agiert sie selber oft unlogisch und emotionsgesteuert. Ahern wendet hier ein typisches „On-the-nose-Writing“ an, indem Celestine sich selbst stets als sehr rational beschreibt, wobei vor allem die Begriffe „Logik/logisch“ inflationär verwendet werden. Kurzum, Celestine erwähnt immer wieder, wie klug sie doch sei, begeht in „Flawed“ aber viele Dummheiten. Sie lässt sich zum Beispiel von einem Mitschüler hereinlegen, obwohl sie vor ihm gewarnt wurde, oder beginnt einen Eifersuchtsstreit mit ihrer Schwester und ist dabei nicht einmal bereit, Gegenargumente anzuhören. Wo ist das nüchtern und logisch? Zwischenfazit: Celestine ist stellenweise unsympathisch und allgemein nicht gut gezeichnet.

Auch die dystopische Welt ist nur oberflächlich strukturiert und offenbart bei längerer Betrachtung Logikfehler. Während Straftäter, die echte Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung oder Diebstahl begangen haben, zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt werden, bekommen Fehlerhafte ein Brandmal auf die Körperstelle, die die Art ihres Vergehens symbolisieren soll. Sie dürfen zwar weiterhin in der Gesellschaft leben, haben aber unter starken Einschränkungen zu leiden. So dürfen sie sich nur bis 23 Uhr draußen aufhalten, nur in Ausnahmefällen Süßigkeiten essen, keinen Alkohol trinken und sich nicht in Gruppen mit anderen Fehlerhaften treffen. Außerdem müssen sie eine rote Armbinde tragen, die sie in der Öffentlichkeit als „fehlerhaft“ kennzeichnet, was eine deutliche Parallele zur Stigmatisierung von Juden im Dritten Reich zeigt. Zudem sind ihnen in öffentlichen Verkehrsmitteln nur bestimmte Sitzplätze erlaubt zu nutzen, was ebenfalls eine Parallele zur Apartheid der USA und dem Fall Rosa Parks zieht. So weit, so stark. Allerdings hat jeder Fehlerhafte auch einen sogenannten Whistleblower, der dafür zuständig ist, das Einhalten der Regeln für Fehlerhafte zu kontrollieren und ggf. zu bestrafen. Dennoch scheint es immer wieder Fehlerhafte zu geben, die ihren Whistleblowern entkommen sind, obwohl nie erklärt wird, wie ihnen das gelungen ist und warum sie nicht vom Staat gesucht werden. Grundsätzlich ist das Worldbuilding sehr lückenhaft und auch das Setting wirkt widersprüchlich. Es spielt scheinbar in der Zukunft, aber dennoch werden DVDs genutzt, Ballerinas getragen oder Michael Jackson gehört, als habe es keinen technologischen oder kulturellen Fortschritt gegeben. Auch die Dinge, für die Fehlerhafte bestraft werden, sind zweifelhaft. So wird Angelina Tinder, Celestines Nachbarin, dafür bestraft, ihre schwerkranke Mutter bei der Durchführung aktiver Sterbehilfe unterstützt zu haben, wobei es absolut zweifelhaft ist, ob dies moralisch verwerflich ist. Dass Fehlerhafte wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden und Celestine dafür bestraft werden soll, einem Mitmenschen Erste Hilfe geleistet zu haben, zeigt auf, dass diese vermeintliche Moralinstanz nur menschenfeindlich ist. Das System funktioniert also bloß nicht, weil es nicht nach zeitgemäßen ethischen Standards agiert. Die eigentlich interessante Kernfrage, „Was passiert, wenn du gesellschaftlich für den Rest deines Lebens geächtet wirst, weil du mal einen Fehler begangen hast?“, rückt damit in den Hintergrund, weil viele Fehlerhafte eben nicht einmal etwas falsch gemacht haben.

Mit Aherns Schreibstil habe ich mich schon immer schwer getan, vor allem, weil er recht einfach und unoriginell ist. Insbesondere das „On-the-nose-Writing“ und eine teilweise überzogene Sentimentalität sind für mich nennenswerte Kritikpunkte. Sprachlich mag „Flawed“ wirklich schwach auf der Brust sein, dafür zeichnet Ahern aber einen soliden Spannungsbogen mit gutem Tempo. Zwar ist der Plot teilweise vorhersehbar und hat immer wieder Parallelen zu anderen dystopischen Jugendbüchern wie „Die Tribute von Panem“, „Das Juwel“, „Die Bestimmung“, die Amor-Trilogie oder die Gaia Stone-Trilogie, es gibt aber auch innovative Einfälle seitens der Autorin. Aherns Schreibstil und ich werden wohl keine Freunde mehr, aber ich finde ihn hier trotzdem besser als in „P.S. Ich liebe dich“ oder „Für immer vielleicht“.

Das Ende ist im Großen und Ganzen unspektakulär und ein ganz typischer Abschluss für ein dystopisches Jugendbuch. Ähnliche Abschlüsse gab es bei den ersten Bänden von „Das Juwel“, „Die Bestimmung“, der Amor-Trilogie oder der Gaia Stone-Trilogie. Hier wird das Rad also definitiv nicht neu erfunden, sondern auf ein probates Mittel zurückgegriffen. Auch wenn das Finale nicht überraschend war, habe ich Lust, auch den zweiten und letzten Band der Reihe zu lesen.

Fazit

„Flawed“ von Cecelia Ahern mag zwar das Rad nicht neu erfinden, sondern ein typisches dystopisches Jugendbuch sein, doch der Spannungsbogen, das Tempo und der einfach Schreibstil tragen dazu bei, dass man hier schnell in einen Lesefluss gerät. Die inkohärente, teils unsympathische Protagonistin, die inflationären Verwendung von „Logik“, das On-the-nose-Writing und das doch oberflächlichen Worldbuilding sind aber wichtige Kritikpunkte, die ich nicht ignorieren kann. Man sollte nicht einfach aufzählen, was die vermeintlichen Charakterzüge eine Figur sind, sondern sie diese leben lassen. Das gelingt Ahern hier leider nicht. Kurzum, „Flawed“ aus dem Jahr 2016 ist ein gutes Jugendbuch, bei dem die Erwartungshaltung allerdings ein wenig herunter geschraubt werden sollte. Mehr als drei von fünf Federn gibt’s von mir also leider nicht. Dennoch möchte ich auch noch die Fortsetzung „Perfect“ lesen.