Das Juwel – Der schwarze Schlüssel

Das Juwel – Der schwarze Schlüssel
22. Januar 2024 0 Von lara

Ein Geheimbund, fünf Mauern und eine Rückkehr

Meine Januar-Rezension 2024


Mit „Der schwarze Schlüssel“ endet die Trilogie „Das Juwel“ von Amy Ewing. Die dystopische Jugendbuchreihe hat mich mehr gecatcht, als ich es zu Beginn erwartet hätte. Entsprechend gespannt war ich auf das große Finale. Jedoch haben viele dystopische Jugendbuch-Trilogien, die Panem nacheifern das Problem, dass der letzte Band unausgereift, primitiv und zu offen zum Schluss geführt wird. Als Beispiele wären hier „Der Weg der gefallenen Sterne“ oder „Requiem“ zu nennen. Kommt das 2017 erschienene Buch also an seine Vorgänger heran? Oder ist die Geschichte so plump zu Ende geführt, dass sie sich unter den Massen an Dystopien nicht hervorheben kann?

Inhalt

Die 16-jährige Violet Lasting bangt um ihre kleine Schwester Hazel, die von der Herzogin vom See gefangen genommen und gegen ihren Willen als Surrogate gehalten wird. Der Plan der Herzogin Pearl: Mithilfe des Surrogates eine Tochter zur Welt bringen und diese mit dem neugeborenen Sohn der Fürstin verloben, um ihre Macht in den Adelskreisen zu erweitern. Während der Geheimbund des Schwarzen Schlüssels einen Aufstand vorbereitet, um den Adel zu stürzen, eilt Violet ihrer Schwester zur Hilfe. Doch das bedeutet auch eine verdeckte Rückkehr in den Palast vom See. Violet läuft täglich Gefahr, von den Bewohnern und Bediensteten des Palasts erkannt zu werden. Aber sie erhält auch die Gelegenheit, sich an der Herzogin für ihre Gräueltaten zu rächen. Doch selbst wenn sie Pearl tötet, müssen immer noch die Mauern, die die Stadt umringen, eingerissen werden.

Cover

Dies ist wahrscheinlich mein liebstes Cover der Trilogie. Es zeigt dieselbe junge Frau der ersten beiden Bände in einem weißen Prinzessinnenkleid ohne Träger. Ihre Flechtfrisur ist mit einer Schmucknadel hochgesteckt. Kampfbereit hält sie die Fäuste geballt. Man sieht in der Körperhaltung eine deutliche Entwicklung: erst eingeigelt, dann hockend und nun stehend soll sie die wachsende Widerstandshaltung der Protagonistin symbolisieren. Der Hintergrund besteht aus zersplitterndem, dunklem Edelstein, vielleicht Onyx, in dem sich das Gesicht der jungen Frau an mehreren Stellen spiegelt. Dieses verhältnismäßig dunkle Cover passt auch wunderbar zur Atmosphäre, denn im Juwel herrscht nun ein bürgerkriegsähnlicher Ausnahmezustand. Den handelnden Figuren stehen düstere Zeiten bevor.

Kritik

„Wenn es regnet, stinkt es gewaltig im Sumpf.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Der Sumpf ist der äußerste Ring der Einzigen Stadt, in dem die Protagonistin Violet geboren und aufgewachsen ist. Dieses Gebiet ist von Armut und Krankheit geprägt. Es gibt kaum feste Straßen, keinen Strom oder fließend Wasser. Entsprechend schlecht sind die hygienischen Bedingungen des Gebietes, weshalb es dort auch übel riechen kann. Violet ist wieder in ihrem Heimatgebiet, weil sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin Raven zukünftige Surrogates aus den Verwahranstalten zu Paladininnen rekrutieren will. Paladininnen sind Magierinnen, wie wir in Die weiße Rose erfahren haben, die ein oder mehrere Elemente bändigen können. Alle Surrogates, die Auspizien beherrschen, sind dazu in der Lage, sofern man es ihnen beibringt. Diese Mädchen sind also Hoffnungsträgerinnen, die Mauern der Einzigen Stadt einreißen zu können, um so den Adel zu stürzen.

Eine der wichtigsten Figuren in dieser Trilogie ist Raven Stirling, Violets beste Freundin. Die 17-jährige Paladinin wird als schwarzhaarig mit einem karamelligen Hautton und dunklen, mandelförmigen Augen beschrieben. Anhand der Beschreibung und der Tatsache, dass sie während ihrer Auktion in einen Kimono gesteckt wurde, lässt sich schließen, dass sie eine ostasiatische Herkunft hat. Raven und Violet haben sich in der Verwahranstalt Southgate kennengelernt, wo sie schnell zu Verbündeten wurden. Raven ist ein kluges, gerissenes und vorlautes Mädchen, das deutlich extrovertierter als Violet ist. In der Auktion hatte sie die Nummer 192 und war damit eines der zehn begehrtesten Surrogates der gesamten Versteigerung. Deswegen wurde sie auch von der Gräfin von Stein gekauft, deren Adelshaus zu den vier großen Gründungshäusern gehört. Doch die fette Gräfin und ihre Zofe Frederic sind unfassbar grausam zu Raven, weshalb sie fast den Verstand verliert. Sie wird gequält, gefoltert und es wird an ihr ohne Rücksicht auf Verluste herumexperimentiert. Wegen zahlreicher neurochirurgischer Eingriffe und da sie Paladinin ist, kann Raven plötzlich die Gedanken anderer Menschen hören, wenn sie sich darauf konzentriert, was sie zu einer starken Verbündeten macht. Mithilfe von Violet und Lucien entkommt sie dem Palast der Gräfin, auch wenn sie bereits schwanger ist. Ich mochte Raven gerne und habe sie schnell ins Herz geschlossen, gerade weil sie einen Kontrast zu Violet bietet.

In vielen Rezensionen, die ich gelesen habe, wird Violet dafür kritisiert, eine nervige Protagonistin zu sein. Ich habe das nicht unbedingt in ihr gesehen und mochte sie lange, auch wenn sie nicht zu meinen liebsten Hauptfiguren gehört. Das änderte sich jedoch, als Violet Richtung Ende des Buches etwas unfassbar Dummes tut. Noch während ich diese Stelle gelesen habe, dachte ich: Was um Gottes Willen tut sie da? Was, wenn sie jetzt erwischt wird? Sie könnte die Mission erschweren oder gefährden und geht eigentlich grundlos ein hohes Risiko ein. Später rächt sich diese Aktion, wobei ich hier nicht spoilern werde. Wenn ihr das Buch lest, wisst ihr bestimmt, was ich meine. Ich hatte schon in den ersten beiden Bänden das Gefühl, dass Violet nicht gerade die Intelligenz in Person ist, aber da sie aus reiner Impulsivität und Arroganz so etwas grenzenlos Dämliches tut, hat sie viele Sympathiepunkte verloren. Sie bereut ihre Tat später, allerdings lässt sich der angerichtete Schaden nicht mehr beheben. Für mich gehört sie damit zu einer der schlimmsten Protagonistinnen, von denen ich je gelesen habe.

Ewings Schreibstil ist im Allgemeinen leicht, locker, flüssig und oft atmosphärisch. Schnell entwickelt das Buch eine ähnliche Sogwirkung wie die ersten beiden Bände. Allerdings wirkt es manchmal auch so, als wäre über einige Sätze nicht zweimal nachgedacht worden. Zum Beispiel heißt es: „Der salzige Geruch steigt mir in die Nase, scharf und süß zugleich.“ (S. 393). Bitte was? Es gibt fünf verschiedene Geschmacksrichtungen, bzw. sechs, wenn man scharf dazu zählt: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Für die Beschreibung von etwas Salzigem nun also die Adjektive „süß“ und „scharf“ zu verwenden, ist mindestens schief formuliert, selbst wenn es metaphorisch gemeint ist. Das ist jetzt nur ein prägnantes Beispiel dafür, dass hier stilistisch noch Platz nach oben ist.

Leider sind mir beim Lesen auch verschiedene Fehler aufgefallen, die leicht hätten vermieden werden können. Sei es der Tippfehler von „Dienstboden“ anstelle von „Dienstboten“ aus Seite 344, wobei der Fehler hier beim deutschsprachigen Lektorat liegt, oder Logikfehler. Zum Beispiel begegnet Violet einer Person, die sie und andere weinend anfleht, ihr zu helfen, weil jemand sie umbringen will. Einige Kapitel später erfährt Violet, wer diese Person töten will, wobei sie denkt, dass die Betroffene „von dem geplanten Mord an sich nichts ahnt.“ (S. 302). Hallo, Violet? Hast du vergessen, dass diese Person dich gebeten hat, sie vor ihrer geplanten Tötung zu bewahren? Bist du jetzt nicht nur dumm, sondern auch dement? Dieser Satz ergibt wirklich gar keinen Sinn. Ein weiterer Fehler geschieht nur wenige Seiten später, als Violet beschreibt, wie einige Paladininnen „das Wasser so verdichten, wie ich es mit der Luft gemacht habe.“ (S. 318). Blöd nur, dass man Wasser im Gegensatz zu Gasen nicht verdichten kann. Da kann man der größte Magier sein, aber eine starke Komprimierung ist physikalisch schlichtweg unmöglich. Durch Druck von außen erhöht sich die Dichte von Wasser nicht wirklich. Vielmehr wird das Wasser den Behälter sprengen oder gegendrücken. Darauf basiert auch das Prinzip der Hydraulik. Wasser erreicht seine maximale Dichte bei 3°C, aber selbst dann bekommt man kein 10 Kilogramm Wasser in einen 5 Liter-Kanister. Man hätte diesen und den nächsten Satz nur umformulieren müssen, um den Fehler zu vermeiden. Es ist jedoch nicht dieser Fehler alleine, sondern die Summe der aufgefallenen Fehler, die kritisch ist.

Das Finale ist mitreißend, emotional und spannend. Es gibt einige Überraschungen und nicht alle Charaktere überleben die alles entscheidende Schlacht. Die Kämpfe sind brutal und blutig, obwohl eine Todesursache wirklich unglaubwürdig ist. Dass man von so etwas stirbt, ist sehr unwahrscheinlich, und dass Violet einfach weiterläuft, da sie sofort weiß, dass diese Person tot ist, obwohl eine Bewusstlosigkeit viel wahrscheinlicher wäre, erscheint geradezu albern. Ich musste die Stelle wirklich zweimal lesen, weil sie so unfreiwillig komisch ist. Leider wirkt das Finale stellenweise undurchdacht. So ist es Violet zum Beispiel problemlos möglich, unbefugt ein Gebäude zu betreten und über mehrere Etagen zu ihrem Ziel zu laufen, ohne einmal aufgehalten zu werden oder überhaupt jemandem zu begegnen. Gerade dieser Ort ist vulnerabel, da es hier auch um eine große Menge Geld geht. In Anbetracht dessen, dass gerade eine Rebellion läuft, sind die Sicherheitsstandards einfach nur lächerlich und fühlen sich unlogisch an. Am Ende bleiben viele Fragen unbeantwortet, zum Beispiel, was aus Violets Freundin Lily geworden ist, die als Surrogate in der Bank lebt. Kurzum, es ist ein fesselndes Finale, das aber weit weg von der Brillanz von Die Tribute von Panem ist.

Fazit

„Das Juwel – Der schwarze Schlüssel“ ist ein guter Abschluss der Trilogie, auch wenn der Band nicht mit den Vorgängern mithalten kann. Das Buch von Amy Ewing ist durchweg spannend. Der Schreibstil lässt sich flüssig lesen, stolpert an manchen Stellen aber doch. Ich habe die Figuren mit der Zeit ins Herz geschlossen. Nur Violet hat es sich mit ihrer dummen Aktion in der zweiten Hälfte bei mir verscherzt. Eine unsympathisch gewordene Protagonistin, eine Anhäufung unterschiedlicher Fehler sowie ein teilweise undurchdachtes Finale müssen sich leider in der Bewertung niederschlagen. Deswegen bekommt der dritte Band von mir drei von fünf Federn. Insgesamt ist Das Juwel eine ziemlich gute dystopische Jugendbuch-Trilogie, die zum Ende hin aber nachlässt. Ich kann sie dennoch allen empfehlen, die sich für eine Mischung aus Der Report der Magd, Die Tribute von Panem und Selection oder allgemein für dieses Subgenre begeistern können. In Zukunft werde ich aber wohl keine weiteren Bücher von Ewing lesen, zumal sie mit Kristallblau bisher nur eine weitere Reihe veröffentlicht hat.