Everflame – Feuerprobe

Everflame – Feuerprobe
19. Dezember 2021 0 Von lara

Liebe schmerzt. Magie regiert.

Meine Dezember-Rezension 2021

Im Sommer 2019 habe ich bereits die Göttlich-Trilogie von Josephine Angelini gelesen. Mein Gesamturteil damals: in Ordnung, aber nicht innovativ und nur für große Fans des Genres empfehlenswert. Vor allem der letzte Band „Göttlich verliebt“ hat die vernichtendste Rezension meiner Bloggerkarriere erhalten. Eigentlich wollte ich deswegen auch keine weiteren Bücher der Autorin mehr lesen. Leider hatte ich jedoch kurz zuvor Angelinis zweite Trilogie mit Namen „Everflame“ günstig gebraucht gekauft. Nachdem mir zwei Leserinnen versichert hatten, dass diese Fantasy-Jugendbuchreihe besser sei als die Göttlich-Trilogie, habe ich mich doch dazu entschieden, den Büchern eine Chance zu geben. Zwar habe ich das Ganze noch gut zwei Jahre vor mir hergeschoben, nun habe ich aber endlich den ersten Band mit dem Titel „Everflame – Feuerprobe“ gelesen, der 2014 veröffentlicht wurde.

Inhalt

Die 17-jährige Lillian Proctor, kurz Lily, lebt in der Stadt Salem im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts bei ihrer psychisch kranken Mutter. Dort geht sie zur Highschool, wo sie eine ziemliche Außenseiterin ist. Sie hat feuerrote lockige Haare, zahllose Allergien und leidet unter Epilepsie, weshalb sie bei ihren Mitschülern nicht gerade beliebt ist. Ihr einziger und bester Freund aus Kindheitstagen ist Tristan, in den sie schon lange heimlich verliebt ist. Zumindest dieser Wunsch scheint für sie in Erfüllung zu gehen, haben sich die beiden doch vor wenigen Wochen das erste Mal geküsst und halten nun in der Schule Händchen. Als Tristan sie dann das erste Mal auf eine Party mitnimmt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Dieses Hochgefühl löst sich jedoch schnell in Luft auf, als sie Tristan dort beim Fremdgehen erwischt. Am Boden zerstört läuft sie davon und wünscht sich nichts sehnlicher als nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Tatsächlich findet sie sich plötzlich in einer anderen Welt wieder, in der Magie an der Tagesordnung steht und in der ihre größte Feindin ihre eigene Doppelgängerin ist.

Cover

Selten war ein Cover mit solch einem Drama verbunden wie dieses. Das liegt daran, dass ich die Buchreihe als Hardcover gebraucht gekauft habe. Von der Everflame-Trilogie gibt es, zumindest beim ersten Band, zwei unterschiedliche Cover: ein altes aus den ersten Auflagen und ein neues aus den späteren Auflagen. Band zwei und drei sind dagegen nur mit den neuen Coverdesigns erschienen. Das heißt, wenn man das alte Cover von „Feuerprobe“ besitzt, passt es zwangsläufig nicht zu den Fortsetzungen. Das ist besonders schade, weil alle drei Bücher nebeneinander gelegt mit den aktuellen Covern ein Gesamtbild ergeben. Natürlich hatte ich das Pech, einmal die alte Auflage und zweimal die neue zu haben. Ich habe alles versucht, um für den ersten Band doch noch zumindest den neuen Schutzumschlag zu bekommen: Ich habe in Buchgruppen nachgefragt, den Verlag angeschrieben und mich in Buchhandlungen erkundigt, aber leider konnte mir niemand helfen. Auch der Verlag selbst hat keine Restbestände der Schutzumschläge mehr, da die Hardcover schon seit längerer Zeit nicht mehr neu zu kaufen sind.
Kurzer Abriss über die Cover: Das alte Cover ist im Hintergrund schwarz mit rötlichen Ranken, Blättern, Kreisen, Flammen und Funken. Das neue Cover zeigt in Schwarzweiß die rechte Gesichtshälfte eines Mädchens in Frontalansicht. Im Hintergrund ist ein Wald zu erkennen, neben dem Gesicht züngeln rote Flammen. Eigentlich sind die Jugendbücher mit Mädchengesichtern ständig zu sehen. Dieses sticht aber durch den Farbstich im Schwarzweiß und durch das Konzept des Gesamtbildes der Trilogie positiv hervor.

Kritik

„Schon auf dem Weg zur Mädchentoilette raffte Lily Proctor ihre widerspenstigen Haare zusammen.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, der insofern ungewöhnlich ist, als dass hier tatsächlich der Toilettengang thematisiert wird. Normalerweise wird das in Büchern vorwiegend übergangen, da es meist weder ein appetitliches, noch ein relevantes Thema ist. Hier geht es dagegen gleich unappetitlich weiter: Lily geht auf die Toilette, um sich zu übergeben, da sie scheinbar Teile ihres Mittagessens nicht vertragen hat und sieht danach, dass sie am ganzen Körper Hautausschläge hat. Der Einstieg lässt also keinen Zweifel daran, dass Lily nicht gerade ein cooles Mädchen ist.
Mit annähernd 500 Seiten und gerade einmal 15 Kapiteln, sind diese extrem lang gefasst. Die Geschichte wird aus Perspektive von wechselnden personalen Erzählern im Präteritum berichtet, meist durch Lily, vereinzelt aber auch durch eine Nebenfigur wie Gideon oder Juliet. Dabei gibt es nur ein ziemlich gravierendes Problem: Angelini gelingt es nicht, die Erzählperspektive beizubehalten. Gibt ein personaler Erzähler die Gedanken anderer Figuren wieder, geschieht ein Perspektivbruch. Dies passiert zum Beispiel im Kapitel 4, als es in der personalen Erzählsituation von Lily plötzlich heißt: „Rowan nickte und stellte sich vor, wie es sein musste, seine eigene Stimme im Kopf zu hören“. Hier werden also die Gedanken von Rowan erzählt, obwohl der Erzähler auf über hundert Seiten davor immer personal war. Im Verlauf der Geschichte kommt dies ungefähr vier oder fünf Mal vor. Vielen Lesern mögen diese Fehler nicht einmal auffallen, narratologisch betrachtet sind Perspektivbrüche jedoch unprofessionell.
Zurück zur Protagonistin: Lily ist ein kleines, dünnes Mädchen mit feuerrotem Lockenschopf. Bis auf ihr Gesicht mag sie nicht viel an sich selbst. Besonders ungewöhnlich ist, dass sie regulär über eine erhöhte Körpertemperatur verfügt, ohne dass dieses Fieber ihr etwas auszumachen scheint. Dadurch, dass sie eine Außenseiterin ist, ist sie eher schüchtern und zurückhaltend, da sie auf keinen Fall auffallen möchte. Sie hat ein großes Interesse an Naturwissenschaften und ist reif für ihr Alter, da sie sich um ihre psychisch kranke Mutter kümmern muss. Tatsächlich mochte ich Lily mehr als damals Helen, weil sie vor allem mehr Profil und mehr Reife besitzt.
Schon bei der Göttlich-Trilogie hatte ich kritisiert, dass Angelinis Schreibstil nicht gerade der beste ist. Auch dieses Mal ist der Stil holprig, auch wenn er sich ein wenig verbessert hat. Dennoch verschont einen das nicht vor ungeschickt oder ambig formulierten Sätzen, beiziehungsweise merkwürdigen Metaphern und kruden Vergleichen wie „ihr Bauch [war] voller glitschiger Seile“, „Nur dass sie im Gegensatz zum Goldfisch auf der anderen Seite des Goldfischglases besser atmen konnte“ oder mein Favorit: „Als hätte ihr ein Betrüger Motorenöl als Getränk verkauft und gesagt, dass es ihre eigene Schuld wäre, wenn ihr davon schlecht wurde“. Sätze, die folgerichtig nur eine Frage aufwerfen, während sie den Lesefluss unterbrechen: Hä?
Allgemein merkt man schon, dass es einige Parallelen zur Göttlich-Trilogie gibt, beispielsweise eine Teenager-Protagonistin, die eine Außenseiterin ist und über unmenschliche Fähigkeiten verfügt oder auch Massachusetts als Handlungsort, beziehungsweise der Erzählstil. Jedoch gibt es mit der Eröffnung einer Parallelwelt mit fantastischen Elementen auch Neuerungen. Der Handlungsort in der realen Welt ist die Stadt Salem in Massachusetts. Tatsächlich ist diese Mittelstadt in den USA als Hexenstadt bekannt, die bis heute mit ihrem Witch Museum und dem berühmten Hexenhaus ein Touristenmagnet in Neuengland ist. Auch in der Parallelwelt, in die Lily gerät, gibt es die Stadt Salem. Diese magische Welt zieht einen überraschend schnell in ihren Bann. Es ist zwar keine komplexe High Fantasywelt, hat aber ausreichend Tiefgang, um nicht zu lieblos zu erscheinen. Auch atmosphärisch ist es düsterer als in der Göttlich-Trilogie. Schnell lernt Lily, dass die Parallelwelt gefährlich und geheimnisvoll ist. Teilweise geht es sogar richtig brutal zu, wenn Lily mitansehen muss, wie unschuldige Menschen getötet oder gequält werden. Dies zieht den Spannungsbogen noch einmal ordentlich an. Der größte Unterschied zwischen der realen Welt und der Parallelwelt um Salem ist, dass die existierende Welt dominiert wird von Wissenschaft und Technologie, während die Hexenwelt beherrscht wird von Magie. Dort gibt es keine Maschinen, keinen Strom, kein Plastik und auch keine Überbevölkerung. Regierungsoberhaupt in der magischen Welt ist eine Hexe, die wissenschaftliche Innovationen und Neuerungen unterdrückt, damit die Menschen auf Zauberei angewiesen bleiben. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit, die die Antagonisten auslebt, hat durch die vorherrschende pandemische Situation traurigerweise eine nie zuvor dagewesene Aktualität erreicht, als hätte Angelini mit einer Glaskugel in die Zukunft blicken können.
Leider kommt es in der zweiten Hälfte noch einmal zu ein paar Längen, die auch dazu geführt haben, dass ich einige Wochen gebraucht habe, um das Buch zu beenden, da ich teilweise nur ein halbes Kapitel pro Tag gelesen habe. Das Ende war nicht sonderlich spektakulär, aber dennoch spannend und hält einen kleinen Cliffhanger bereit, der Neugier auf die Fortsetzung wecken soll.

Fazit

Meine Leserinnen hatten recht: Die Everflame-Trilogie von Josephine Angelini ist wirklich besser als die Göttlich-Trilogie, zumindest was den Auftakt betrifft. Es wirkt nicht mehr wie eine halb geklaute und schlecht umgesetzte Idee, sondern vielmehr wie eine neue Geschichte mit mehr Profil, einer individuelleren und reiferen Protagonistin sowie einer düstereren Atmosphäre, die mehr in den Bann zu ziehen weiß. Angelini hat sich glücklicherweise von vielen narratologischen Stereotypen verabschiedet. Dennoch gibt es einige, primär stilistische, Schwächen wie seltsame rhetorische Mittel, ein suboptimaler Erzählstil, Perspektivbrüche oder Längen in der zweiten Hälfte, die belegen, dass Angelinis schriftstellerische Fähigkeiten auf professioneller Ebene eher unterdurchschnittlich sind. Dieses Mal kann sie das aber glücklicherweise mit einem anständigen Worldbuilding halbwegs ausbügeln. Deshalb bekommt „Everflame – Feuerprobe“ von mir volle drei von fünf Federn. Da ich wissen möchte, wie es mit Lily weitergeht, werde ich als Nächstes den zweiten Band „Everflame – Tränenpfad“ lesen.