Die Kane-Chroniken: Die rote Pyramide
Ein ägyptisches Abenteuer
Meine dritte August-Rezension 2021
2019 habe ich bereits die Percy Jackson-Pentalogie von Rick Riordan gelesen und geliebt, weshalb ich mir vorgenommen hatte in Zukunft auch seine anderen Urban Fantasy-Jugendbuchreihen zu lesen. Nun bin ich also dazu gekommen den Auftakt der Kane-Chroniken aus dem Jahr 2012 zu lesen. Der erste Band der Trilogie trägt den Namen „Die rote Pyramide“, in dem es nicht wie bei Percy Jackson um die griechische, sondern um die ägyptische Mythologie geht, von der ich bisher nur sehr wenig Ahnung hatte. Ich war gespannt, ob mich dieses Abenteuer genauso in seinen Bann ziehen kann wie damals das von Percy und seinen Freunden.
Inhalt
Der 14-jährige Carter Kane und seine zwölfjährige Schwester Sadie sehen sich nur zweimal jährlich. Er begleitet seinen Vater, den berühmten Archäologen Dr. Julius Kane, zu verschiedenen Universitäten und Ausgrabungsstätten, während Sadie bei ihren Großeltern mütterlicherseits in London aufwächst. Ihre Mutter ist vor einigen Jahren bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Als Julius jedoch an Weihnachten bei Sadie auftaucht, um mit den Geschwistern das British Museum zu besuchen, geschehen dort übernatürliche Dinge, und der Archäologe wird in einem goldenen Sarkophag gefangen, welcher im Boden verschwindet. Natürlich glauben die Behörden den Kindern kein Wort, und so liegt es an ihnen, ihren Vater zu befreien und die Geheimnisse der ägyptischen Mythologie zu lösen.
Cover
Wie schon bei Percy Jackson bestechen auch die Kane-Chroniken mit illustrierten Covern. Die dominierenden Farben sind Gelb, Orange und Braun, die mit kleinen roten Akzenten betont werden. Der Fokus liegt hier im Zentrum auf einer riesigen Figur, die halb Mensch und halb Schakal zu sein scheint. Offenbar ist dies eine der ägyptischen Gottheiten. In seiner rechten Hand schwebt das Anch, auch Nilschlüssel genannt, ein altägyptisches Symbol, das für das Weiterleben im Jenseits steht und hier Blitze aussendet. In der linken Hand hält er ein Was-Zepter, ebenfalls ein altägyptisches Symbol, mit dem als Machtsymbol vor allem Gottheiten, teilweise aber auch Könige abgebildet werden. Dies ist offenbar Seth, der oft mit Anch und Was-Zepter dargestellt wird. Im Hintergrund wabern unheilvolle Wolken, zudem sieht man ein altes Industriegelände. Hier lassen sich Schornsteine, ein Bagger, ein Kran, ein altes Backsteingebäude mit zerstörten Fenstern und Graffiti sowie Fässer mit Totenkopfsymbolen erkennen. Im Vordergrund stehen ein Mädchen, ein Junge und eine Katze im Schatten, die offenbar Sadie, Carter und Muffin sein sollen. Carter hält in seiner rechten Hand ein sogenanntes Zaubermesser, eine halbkreisförmige Klinge, dessen Inschriften den Träger vor bösen Mächten schützen sollten. Dieses Cover ist noch detailreicher und aufregender als die von Percy Jackson, und vermittelt ausgezeichnet, worauf sich der Leser hier eingelassen hat.
Kritik
Noch vor dem ersten Kapitel findet sich ein kleingedruckter Warnhinweis, der besagt, dass dieses Buch bloß die Abschriften einer Audioaufnahme seien, und deshalb nicht gänzlich authentisch seien. Die Idee einer fiktiven Tonaufnahme ist nichts Neues, das gab es beispielsweise schon bei Arthur Goldens „Die Geisha“. Hier wird dies jedoch wundervoll eingebunden, indem immer wieder Einwürfe wie „[Gib mir das Scheißmikrofon.]“ genutzt werden, wodurch deutlich gemacht wird, dass beide Erzähler zeitgleich nebeneinander sitzen und die Aussagen des anderen gelegentlich kommentieren.
„Wir haben nur ein paar Stunden, also hört gut zu.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, wodurch die fiktive Audioaufnahme noch einmal untermauert wird. Ganz in Percy Jackson-Manier wird im Folgenden ausdrücklich vor den Informationen gewarnt, die der Leser hier erfahren wird. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden direkt in der Einleitung vermischt, und sind bezeichnend für Riordans Urban-Fantasy.
„Die rote Pyramide“ ist mit knapp über 600 Seiten und 41 Kapiteln plus Nachwort schon ein ordentlicher Schinken für die Zielgruppe von Jugendlichen zwischen 12-16 Jahren. Wie auch bei Percy Jackson tragen die Kapitel witzige und skurrile Namen wie „Auge in Auge mit dem Monstertruthahn“, „Wir gewinnen eine All-inclusive-Reise in den Tod“ oder „Das Haus ist im Haus“. Außerdem bleibt die Erzählung wie gewohnt in der Ich-Perspektive im Präsens, die allerdings retrospektiv geschieht. Einziger Unterschied ist, dass sich Carter und Sadie als Erzähler abwechseln, es also zwei Protagonisten gibt. Das Ganze hat mich ein wenig an „Die Kinder des Dschinn“ von P.B. Kerr erinnert, was ebenfalls eine abenteuerliche Jugendbuchreihe ist, in der die Zwillinge John und Philippa gleichrangige Hauptfiguren sind, die somit sowohl dem männlichen Leser, als auch der weiblichen Leserin eine Identifikationsmöglichkeit bieten. Dabei sind John und Philippa genauso verschieden wie Sadie und Carter.
Mit 14 Jahren ist Carter der ältere der Geschwister, dennoch ist er genauso groß wie seine Schwester. Er hat dunkle Haut, schwarze kurze Haare und braune Augen, weshalb er insgesamt mehr nach seinem schwarzen Vater kommt, als nach seiner weißen Mutter. Für sein junges Alter kleidet er sich sehr erwachsen. Sadie beschreibt, dass er „Khakihosen, Button-down-Hemden und Slipper“ trägt. Durch den engen Kontakt mit seinem Vater kennt er sich mit der ägyptischen Mythologie besser aus als seine Schwester. Carter ist ein gehorsamer, kluger und eher ängstlicher Junge. Dies erkennt man in erster Linie, wenn er den Part des Erzählers übernimmt. Er neigt vielmehr zu Vergleichen, Ausschweifungen und Reflexionen als seine Schwester.
Sprache und Schreibstil sind so, wie ich es von Percy Jackson schon gewohnt war: einfach, temporeich und auf eine amüsierende Art albern. Die Ereignisse überschlagen sich, ein Monsterangriff drückt dem nächsten die Klinke in die Hand. Besonders gut haben mir die kleinen Illustrationen von Hieroglyphen und Inschriften gefallen, die das Verstehen der altägyptischen Schrift ausgezeichnet unterstützen.
Zwischendurch habe ich auch die gekürzte Hörbuchfassung, gelesen von Stefan Kaminski und Lotte Ohm, gehört. Durch die Kürzung wird das Tempo jedoch für meinen Geschmack zu sehr gestrafft, außerdem ist Kaminskis Stimme zu reif und tief für einen vierzehnjährigen Jungen. Hinzu kommt, dass man in der Hörbuchfassung natürlich nicht die beschriebenen Hieroglyphen zu sehen bekommt, weshalb ich hier eindeutig das Buch bevorzuge.
Dass man mit Riordans Büchern nicht nur spannende Abenteuer erlebt, sondern auch nebenbei sein Wissen über Mythologien aufpoliert, macht sie zu einem ganz wunderbarem Leseerlebnis. Ich habe viel über altägyptische Götter wie Toth, Nut oder Geb gelernt, aber auch, warum viele Gottheiten als Mischwesen aus Tier und Mensch dargestellt werden, oder warum die Ägypter die Besiedelung des Ostufers eines Flusses präferieren. So wird das Unterhaltsame mit dem Lehrreichen verbunden, weshalb ich gerade der Zielgruppe immer wieder Riordans Jugendbücher ans Herz lege.
Theoretisch kann man die Kane-Chroniken als erste Buchreihe aus Riordans Feder lesen, da keinerlei Vorwissen nötig ist, um die Zusammenhänge zu begreifen. Allerdings gibt es gelegentlich Referenzen zu Percy Jackson, weshalb man diese Reihe zuerst sollte, wenn man in den vollen Lesegenuss kommen will. Als Sadie und Carter zu Beginn nach New York reisen, weist Amos sie darauf hin, dass sie Manhattan mit dem Empire State Building meiden sollten, da es dort „[a]ndere Götter“ gäbe. Dies ist eine Anspielung auf „Percy Jackson – Die letzte Göttin“, wo das große Finale stattfindet. Das Empire State Building beinhaltet dabei einen Aufzug, der Percy bis in den Olymp bringt. Mit den anderen Göttern sind also die griechischen Götter gemeint. Damit ist auch klar, dass die Kane-Chroniken und Percy Jackson im selben Universum spielen.
Das Ende ist typisch für Riordan: fesselnd, ereignisreich und raffiniert. Generell ist der ganze Plot ausgefallen, actiongeladen und unvorhersehbar. Das Jugendbuch hat mal wieder bewiesen, dass Riordan nicht ohne Grund eine so große Fangemeinde besitzt. Als Nächstes werde ich deshalb auch sofort den zweiten Band „Die Kane-Chroniken: Der Feuerthron“ lesen.
Fazit
Wer denkt, dass das Aufgreifen einer weiteren Mythologie dem Aufbau einer wenig inspirierten Jugendbuchreihe und finanzieller Ausschlachtung dient, hat weit gefehlt. „Die Kane-Chroniken: Die rote Pyramide“ ist ein großartiger Auftakt einer verheißungsvollen Trilogie. Der Plot ist ausgefeilt, die Charaktere tiefgründig, und selbst ich war, obwohl ich älter als die Zielgruppe bin, oft nicht sicher, wem man trauen kann oder wem nicht. Ich habe auf abenteuerliche Weise viel über die ägyptische Mythologie gelernt. Es gibt nur kleine Mankos im Stil, oder dass das Urban Fantasy-Werk mit über 600 Seiten für einen Teil der Zielgruppe schon eine Herausforderung, beziehungsweise zu große Hürde sein kann, auch wenn es mich persönlich nicht gestört hat. Mit 14 Jahren hätte ich für ein Buch diesen Umfangs schätzungsweise zwei bis drei Monate benötigt. Der erste Band der Kane-Chroniken ist jedenfalls ein spannendes und bezauberndes Buch, dem ich volle vier Federn vergeben möchte.