Grisha – Eisige Wellen

Von Hirschen, Meerdrachen und Feuervögeln
Meine zweite Mai-Rezension 2025
Der Auftakt der Grisha-Trilogie von Leigh Bardugo war für mich ein überraschendes Highlight. Das russisch inspirierte Worldbuilding und ein kluger, moderner Schreibstil haben schnell eine Sogwirkung entfalten lassen. Der Erfolg gibt der Autorin Recht: Bardugos englischsprachige Bücher haben sich mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft und wurden in mehr als 38 Sprachen übersetzt. Ich wollte unbedingt wissen, wie es mit der Sonnenkriegerin Alina weitergeht und habe deshalb nicht lange gewartet, die Fortsetzung „Eisige Wellen“ aus dem Jahr 2013 zu lesen. Und auch für den zweiten Band der High Fantasy-Reihe kann ich definitiv eine Leseempfehlung aussprechen.
Inhalt
Die 17-jährige Alina Starkowa ist den Fängen des Dunklen gemeinsam mit ihrem Freund Maljen Oretsew, kurz Mal, vorerst entkommen. Sie haben Rawka verlassen und leben nun im kleinen Ort Cofton in Novyi Zem, wo Alina den Kräftemehrer von Morozovas Hirsch stets mit einem Schal verbirgt, um nicht als die berühmte Sonnenkriegerin erkannt zu werden. Doch als Alina und Mal eines abends zurück in ihre Unterkunft gehen, geraten sie in einen Hinterhalt des Dunklen, der den Angriff der Volkra in der Ödsee überlebt hat. Er entführt die beiden auf ein Schiff des Kapitäns Sturmhond und segelt mit ihnen nach Norden zur Knochenrinne, wo Sagen zufolge der Meerdrache Rusalye lebt. Aus seinen Schuppen will der Dunkle einen weiteren Kräftemehrer für Alina erschaffen, um ihre Macht noch weiter zu verstärken. Die Konsequenzen für Alina sind unabsehbar, denn eigentlich darf jede Grisha nur einen Kräftemehrer tragen.
Cover
Während ich den ersten Band der Reihe noch vom Carlsen Verlag hatte, habe ich Band 2 und 3 von Droemer Knaur, die sich bei den Cover für die Übernahme der amerikanischen Neuauflagen entschieden hat. Es zeigt den Meerdrachen Rusalye als Silhouette in türkisfarbenen Schlieren auf schwarzem Grund mit goldenen Sprenkeln darüber. Der schlanke und lange Körper schlängelt sich über das Cover, nur die Fangzähne und Auswüchse an Kinn sowie Hinterkopf bilden kleine Details. Ich finde die Knaur-Cover minimalistisch und schön zugleich. Je mehr man von der Geschichte erfährt, umso mehr versteht man, warum auf den drei Covern der Trilogie jeweils ein Hirsch, ein Meerdrache und ein Feuervogel abgebildet sind. Definitiv besser als die anderen deutschen Cover mit den Mädchengesichtern, wobei ich Gesichter auf Buchcovern ohnehin nicht besonders mag.
Kritik
„Früher, lange bevor sie die Wahre See befuhren, hatten der Junge und das Mädchen immer wieder von Schiffen geträumt: Schiffe, randvoll mit Geschichten, verzauberte Schiffe mit Masten aus wohlriechendem Zedernholz und mit Segeln aus purem Gold, von Jungfrauen gesponnen.“, ist der erste Satz des Prologs. Neben Prolog, Epilog und 23 Kapiteln bietet „Eisige Wellen“ auch eine detaillierte Weltkarte sowie ein Glossar mit Personenverzeichnis und Schauplätzen. Der Junge und das Mädchen aus dem Prolog sind Mal und Alina, wodurch noch einmal verdeutlicht wird, wie lange sich die beiden schon kennen. Die „Wahre See“ ist das Meer westlich von Rawka und im Gegensatz zur Ödsee ein echtes Meer aus Salzwasser. Die Karte wurde im Verglich zu Band 1 erweitert und zeigt nun auch, was hinter der Wahren See liegt sowie die Länder Fjerda und Shu-Han, von denen man zuvor nur Ausschnitte sehen konnte. Mit annähernd 450 Seiten ist der zweite Band der Grisha-Trilogie umfangreicher als der erste.
Ständiger Begleiter Alinas ist ihr bester Freund Maljen Oretsew, mit dem sie im Waisenheim aufgewachsen ist. Er ist in der Grisha-Trilogie 18 Jahre alt. Mal wird als großer Mann mit braunen Haaren, blauen Augen und einer durchtrainierten Figur beschrieben, da er lange Soldat war. Er ist ein loyaler, beschützender, aber auch impulsiver Charakter. Egal, ob es die Armee oder seine Freunde betrifft, er bleibt trotz gelegentlich rebellischer Züge an ihrer Seite. Außerdem ist er ein ausgezeichneter Spurenleser, der nicht nur Morozovas Hirsch, sondern auch Rusalye aufspüren kann. Alina war bereits als Kind in ihn verliebt, wobei er erst später seine Gefühle für sie erkennt. Abgesehen von ihrer jahrelangen Freundschaft konnte ich Alinas Liebe zu ihm jedoch kaum nachvollziehen. Er ist ihr gegenüber immer wieder unfair, kann nicht mit Zurückweisung umgehen und verhält sich wiederholt kindisch. Es scheint, als käme er nicht damit zurecht, dass Alina mächtiger und für die Welt wertvoller ist als er. Es fällt ihm augenscheinlich schwer, an ihrer Seite lediglich die zweite Geige zu spielen. Insgesamt ist mir Mal stellenweise unsympathisch, weswegen ich die Lovestory hier auch nicht mitfühlen konnte. Das heißt aber nicht, dass ich Alina und den Dunklen shippe, wie das wohl so manche Leserinnen tun.
Bardugos packender Schreibstil hat es mir wirklich angetan. Er ist bildhaft, flüssig und nicht zuletzt aufgrund der Ich-Perspektive von Alina emotional so immersiv, dass ich wirklich mitgefiebert habe. Die Sprache ist zeitgemäß, elegant und zugänglich trotz der fikitven Begriffe wie Kefta, Kvas oder Otkazat’sya, die man aber zügig lernt oder im Glossar nachschlagen kann. Das Tempo ist leicht entschleunigt, aber insgesamt ausgewogen. Nur im Mittelteil gab es für mich eine kleine Länge, in der viele diplomatische Dialoge geführt werden. Die Spannung lebt in diesem Buch vor allem von seinen psychologischen Konflikten, höfischen Intrigen und dem Liebesdreieck. Denn zwischen Alina und Mal kriselt es gewaltig. Immer wieder taucht der Dunkle in Alinas Kopf auf, den sie wiederholt als attraktiv bezeichnet und zu dem sie sich offensichtlich hingezogen fühlt. Während sie von Mal immer wieder enttäuscht wird, spürt sie dem Dunklen gegenüber widerwillig eine mysteriöse Anziehungskraft. Die Atmosphäre ist düster, magisch und kalt, was vor allem dadurch verstärkt wird, dass auf dem Kontinent gerade ein harter Winter herrscht, in dem es lange dunkel ist. Insgesamt ist die Geschichte toll geschrieben und der Plot spannend!
Ein wenig Angst hatte ich davor, dass „Eisige Wellen“ ein langweiliger zweiter Band einer typischen Trilogie ist. Denn es werden neue Figuren eingeführt, es gibt neue Schauplätze sowie ein Liebesdreieck und die Protagonistin ist auf der Flucht vor dem Antagonisten. Das Fluchtmotiv ist nämlich ganz klassisch bei zweiten Bänden, insbesondere bei dystopischen Jugendbüchern. Egal, ob die Amor-Trilogie, die Gaia Stone-Trilogie, Das Juwel, Die Bestimmung oder im zweiten Band von Flawed: Die Protagonistin flieht, um Verbündete zu finden und stärker zu werden. Der zweite Band von Cassia & Ky heißt sogar „Die Flucht“. Zum Glück schlägt Bardugo hier nicht in dieselbe Kerbe und löst dieses Leitmotiv schnell wieder auf. Der Plot ist größtenteils unvorhersehbar und dennoch glaubhaft aufgebaut. Das hat auch dazu geführt, dass ich im Grishaverse stellenweise versunken bin und die Welt sehr ins Herz geschlossen habe.
Das Ende war unglaublich fesselnd, sodass ich die letzten 100 Seiten regelrecht verschlungen habe. Erst wird eine vom Feind geschmiedete Intrige aufgelöst, da stürzt das Kartenhaus auch schon in sich zusammen. Es wird brutal, blutig und tödlich. Macht euch darauf gefasst, dass manche Nebenfiguren diese Schlacht nicht überleben werden. Das Finale ist erschreckend gut und der Cliffhanger im Epilog hat dafür gesorgt, dass ich noch am selben Tag zum dritten Band gegriffen habe, weil ich die Spannung nicht ausgehalten habe. Ich denke, das verdeutlicht schon, wie sehr ich diese Reihe bereits liebe.
Fazit
„Eisige Wellen“ von Leigh Bardugo ist ein starker zweiter Band, der mit einem eleganten Schreibstil, einem spannenden Plot und einer kühlen Atmosphäre sehr viel Gutes zu bieten hat. Auch Alinas psychische Konflikte, höfische Intrigen und das blutige Finale tragen viel zum spannenden Fantasy-Roman bei. Jedoch ist der zweite Band nicht ganz so überzeugend wie „Goldene Flammen“, denn es gibt im Mittelteil eine Länge und auch Mal ist mir stellenweise gehörig auf die Nerven gegangen. Da dies aber vermutlich Teil seiner Entwicklung ist, will ich es nicht allzu streng bewerten. Insgesamt ist der zweite Band der Grisha-Reihe eine sehr gute Fortsetzung, die volle vier von fünf Federn verdient. Da ich die Spannung nicht aushalten konnte, lese ich aktuell schon den dritten Band, und auch den verschlinge ich förmlich!

Ihr braucht eine Zweitmeinung? Wiebke vom „Buchensemble“ hat ebenfalls eine lesenswerte Rezension über dieses Buch verfasst:
Buchensemble: Siege and Storm