Die Bienen

Die Bienen
19. Februar 2024 0 Von lara

Ein psychedelisches Honigmärchen

Meine Februar-Rezension 2024


Der zweite Roman, den ich für meine Bachelor-Arbeit gelesen habe, ist „Die Bienen“ von Laline Paull. In meiner Thesis vergleiche ich diesen Roman mit „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde, denn es geht bei mir um Bienen in der zeitgenössischen Literatur. Was „Die Bienen“ aus dem Jahr 2014 so außergewöhnlich macht, ist dass die Protagonistin hier selbst eine Arbeiterbiene ist, die versucht, ihre Rolle im Bienenstock zu finden. Ein Bienenstock als Handlungsort mit Bienen und anderen Insekten als denkende, sprechende und fühlende Figuren, ist sicherlich gewöhnungsbedürftig. Dennoch hat Paulls Debütroman auf seine Weise fasziniert.

Inhalt

In einem Bienenstock wird die Biene Flora 717 geboren. Sie gehört den Hygienearbeiterinnen an, der untersten Kaste des Stocks. Ihre Aufgabe ist es, den Stock sauber zu halten und die toten Bienen in die Leichenhalle zu bringen. Doch Flora sieht nicht nur anders als die anderen Bienen aus, sie hat auch besondere Fähigkeiten, die in ihrer Sippe unüblich sind. Schnell arbeitet sie sich zur Pflegerin hoch. Sie träumt davon, eines Tages als Sammlerin von Blüte zu Blüte fliegen zu dürfen, um Pollen und Nektar zu sammeln. Doch dann entsteht in ihrem Leib plötzlich ein Ei, und darauf steht die Todesstrafe. Denn in einem Bienenstock darf sich nur die Königin fortpflanzen.

Cover

Auf gelbem Grund ist ein grobes Bienenwabenmuster in bräunlichem Gold zu sehen. Eine Wabe in der unteren Mitte ist völlig in dem Goldton gefärbt. Darauf befindet sich die schwarze Illustration einer Biene, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Ihre Antennen, vier Flügel und der gestreifte Hinterleib sind detailliert erkennbar. Es ist ein schlichtes, aber prägnantes Cover, das gut zum Inhalt passt. Die Abbildung einer einzigen Biene von hinten erinnert mich sehr an das Cover von „Die Geschichte der Bienen“, wobei diese Biene hier fliegt, während die andere tot am Boden liegt.

Kritik

„Der alte Obstgarten befand sich im Belagerungszustand.“, ist der erste Satz des Prologs. Der Prolog sowie der Epilog haben eine Sonderstellung: Sie sind die einzigen Abschnitte, die nicht im Bienenstock spielen und die handelnden Figuren sind hier menschlich. Zwischen Prolog und Epilog liegt etwa ein Jahr Erzählzeit. Die eigentliche Geschichte spielt genau dazwischen und untermauert, wie kurz das Leben einer Biene im Vergleich zu dem eines Menschen ist. Die Bienen hat insgesamt fast 350 Seiten und 43 Kapitel. Abgesehen von Prolog und Epilog berichtet hier der personale Erzähler im Präteritum.

Protagonistin ist hier die Arbeiterbiene Flora 717. So ahnungslos wie sie geboren wird, ist auch der Leser, der sich in der Hierarchie und dem Leben im Bienenstock zurecht finden muss. Flora ist deutlich dunkler als ihre Schwestern und kann im Gegensatz zu ihrer Sippschaft sprechen und Seim produzieren, einen sirupartigen Saft, mit dem die Schlüpflinge gefüttert werden. Aufgrund ihres Aussehens und ihrer Fähigkeiten ist sie eine Außenseiterin, die weder zu ihrer eigenen Sippe noch zu anderen passt. Von manchen Bienen wird sie sogar als „hässlich“ bezeichnet. Das Gefühl, anders zu sein und nicht dazuzugehören begleitet Flora ihr ganzes Leben. Doch sie ist auch ehrgeizig, folgsam und devot. Ihr Fleiß und ihre Hingabe finden schnell Anerkennung und so eröffnen sich ihr neue Chancen.

In Die Bienen wird die tierische Welt mit der menschlichen vermischt. So können die meisten Bienen sprechen und folgen gesellschaftlichen Normen. Sie tragen Handschuhe, essen in der Kantine, halten Wache, beten oder backen Brote. Dabei gibt es eine klare Hierarchie innerhalb der Arbeiterinnen und auch der Bienenstock hat mit einer Kinderstation, einer Ankunftshalle, einem Schlafsaal, einem Foyer, den Gemächern der Königin usw. klar strukturierte Räumlichkeiten. Es mag zu Beginn schwer fallen, sich lachende, weinende und bekleidete Bienen vorzustellen. Der Einstieg in diese psychedelisch anmutende Welt bedarf Zeit, aber nach gut 100 Seiten findet man doch den Anschluss gefunden. Die Vermenschlichung von Bienen ist sehr gewöhnungsbedürftig. Schon früh wurde mir klar: Diese Lektüre ist gewiss nichts für Jeden.

Die Welt, in der die Bienen leben, ist eine olfaktorische. Gerüche werden hier eng mit Atmosphären verknüpft. In gefährlichen Situationen riecht es übel nach Gift, Krankheit oder Blut. Friedliche Momente werden mit dem Duft nach Honig, Blüten oder warmen Plätzchen verknüpft. Die Bienen werden fast ausschließlich durch Düfte, die sie mit ihren Antennen wahrnehmen, geleitet. Im Stock folgen sie Duftspuren, die auf den wabenförmigen Fliesen im Boden verteilt sind. Außerdem gibt es sogenannte Duftsperren, die den Weg in gewisse Areale des Stocks für die Bienen blockieren, die nicht nach der richtigen Sippschaft riechen. Diese olfaktorische Welt hat mich sehr an Das Parfum erinnert, in dem Gerüche ebenfalls eine viel größere Rolle spielen als in anderen Romanen. Die Wahrnehmung der Bienen weicht so sehr von der menschlichen ab, dass man sich einerseits entfremdet, andererseits fasziniert ist. In manchen Passagen fühlt sich Die Bienen wie ein Fiebertraum an, der von Honig, übergroßen Mäusen und Liebe erzählt.

Im Fokus der Bienen, die Motivation all ihres Seins, ist die Bienenkönigin. Sie regiert das Matriarchat und ist damit beschäftigt, tagtäglich zahllose Eier zu legen, um ihren Staat zu vergrößern und die Tode im Stock zu kompensieren. Sie steht an der hierarchischen Spitze und wird von ihren Töchtern als die „heilige Mutter“ verehrt. Dabei existiert ein religiöser Kult um sie. Ihre engsten Vertrauten sind Priesterinnen und die Bienen beten das „Mutter unser“, das starke Parallelen zum christlichen Vater unser aufweist. Kurzum, die Königin wird als Gottheit verehrt und als unsterblich erachtet. Das Credo, dem die Arbeiterinnen zu folgen haben, lautet: Arbeiten, gehorchen, dienen. Wer diese Regeln missachtet oder die Bienenkönigin kritisiert, gilt als Verräterin und wird von der Bienenpolizei exekutiert. Diese vermenschlichte Darstellung zeigt, dass die Struktur eines Bienenstocks einem Personenkult gleicht. Ohne seine Königin ist der Schwarm kopflos.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist Paulls Schreibstil. Mit einfachen, aber präzisen Worten gibt sie die Beziehungen zwischen den Bienen und anderen Tierarten oder die Gemütslage Floras wunderbar wieder. Immer wieder habe ich einzelne Sätze zweimal gelesen, weil sie so eine starke Wirkung haben. Mit diesem Debütroman hat sie sprachliches Talent und Feingefühl unter Beweis gestellt. Sowohl die harmonischen als auch die teilweise erschreckend brutalen Szenen inszeniert sie hervorragend. Dadurch wird auch gezeigt, dass es in der Natur hart zugeht und auch kleine Fehler nicht verziehen werden. Doch obwohl Paull spürbar viel über Bienen recherchiert hat, macht sie einen entscheidenden Fehler. Normalerweise sind Arbeiterbienen steril, doch Flora ist eine Ausnahme, eine sogenannte Afterweisel, denn in ihr reifen Eier heran. Da Flora sich nicht mit einer Drohne gepaart hat, reifen in ihr unbefruchtete Eier heran. Bei Bienen entsteht aus unbefruchteten Eiern stets eine Drohne, also ein Männchen. Nur aus befruchteten Eiern wachsen Weibchen heran. Dennoch bekommt Flora eine Tochter, was biologisch betrachtet keinen Sinn ergibt. Das ist wirklich schade, weil die Autorin ansonsten sehr auf biologische Details achtet, wie zum Beispiel den Bienentanz, die Atemlöcher, die Drohnenschlacht oder den Hochzeitsflug.

Vom Ende bin ich leider auch etwas enttäuscht. Auf den letzten 30 Seiten wird zügig ein Finale abgehandelt, bei dem der Funke aber nicht überspringen will. Es war zwar nicht vorhersehbar, wirkte allerdings auch nicht schlüssig. Ich habe mich regelrecht durch die letzten zehn Seiten gequält, was niemals ein gutes Zeichen ist. Der Abschluss war für mich ein Tiefpunkt, weshalb ich auch froh war, das Buch beendet zu haben.

Fazit

„Die Bienen“ von Laline Paull ist ein schwierig zu bewertendes Buch. Einerseits ist der Bienenkosmos faszinierend, der Schreibstil eindrucksvoll und wenn man sich auf die Geschichte einlassen kann, erlebt man ein betörendes, psychedelisches Honigmärchen. Andererseits kann ich mir gut vorstellen, dass dieser Debütroman zu speziell ist, um jedermanns Geschmack zu treffen. Die Vorstellung von Bienen, die Helme und Uniformen tragen oder Verwundete auf Bahren tragen, ist so skurril, dass sich manche trotz längerer Eingewöhnung vielleicht nie damit anfreunden können. Erschwerend hinzu kommen der biologische Fehler, der mich als Studentin besonders gestört hat, sowie ein enttäuschendes, geradezu langweiliges Ende. Deswegen kann ich dem Roman nicht mehr als drei von fünf Federn geben. „Die Bienen“ ist vor allem für diejenigen etwas, die den Mut zu gehobenerer Literatur haben, welche sich von unserem anthropozentrischen Weltbild weit entfernt. Vermutlich werde ich in Zukunft keine weiteren Bücher von Laline Paull lesen.