Über uns der Himmel, unter uns das Meer

Über uns der Himmel, unter uns das Meer
24. Juni 2023 3 Von lara

Kriegsbräute auf einer Reise ins Ungewisse

Meine zweite Juni-Rezension 2023

Mit der Lesechallenge für 2023 hänge ich leider ein wenig hinterher, denn ich habe erst jetzt meine Lektüre für den Mai beenden können. Das Thema lautet: Liebe und Freude liegen in der Luft – lies ein Buch, das das Herz höher schlagen lässt. Also war es mal wieder Zeit für einen Liebesroman. Bei meinem gefühlt unendlich großen SuB gar kein Problem. Schnell habe ich mich für Über uns der Himmel, unter uns das Meer von Jojo Moyes entschieden. 2017 habe ich mit Ein ganzes halbes Jahr zuletzt einen Roman der britischen Autorin gelesen, und war damals begeistert. Nun habe ich mit diesem Roman, der 2016 auf Deutsch veröffentlicht wurde, eine Geschichte gelesen, die teilweise auf wahren Begebenheiten basiert und gleich mehrere Lovestorys erzählt.

Inhalt

Australien im Juli 1946: Der Zweite Weltkrieg ist seit über einem Jahr vorbei und die in Australien stationierten britischen Soldaten sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Dabei haben einige von ihnen ihre frisch gebackenen Bräute zurücklassen müssen, manche von ihnen sogar schwanger. Da Passagierschiffe nach dem Krieg Mangelware waren, nicht zuletzt weil es viele Gefangenentransporte gab, transportierte die Royal Navy die Frauen auch auf Militärschiffen, wie beispielsweise dem Flugzeugträger HMS Victorious. Unter den über 600 Frauen, den sogenannten Kriegsbräuten, sind auch Margaret O’Brien, Avice Radley und die Krankenschwester Frances Mckenzie, die sich gemeinsam eine Kajüte teilen. So unterschiedlich wie die Frauen sind, haben sie doch dasselbe Ziel und ähnliche Sorgen. Sie hegen Geheimnisse voreinander und zweifeln, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, ihre Familien und ihr Heimatland für einen Mann zu verlassen, mit dem sie meist nur wenige Wochen oder Monate verbracht haben. Für sie alle ist die sechswöchige Fahrt nach England eine Reise in eine ungewisse Zukunft.

Cover

Das Cover ist ein ganz typisches Moyes-Cover der Illustratorin Daniela Terrazzini. Es zeigt eine junge Frau in schwarzer Silhouette mit dem Rücken zum Betrachter stehend. Sie hat kinnlanges, offenes Haar und trägt ein tailliertes Kleid mit Puffärmeln, das ihr bis zu den Knien geht. Sie stützt sich mit beiden Händen auf der Reling hinter ihr, während ihre Füße in das Schwarz des Decks übergehen. Neben ihr steht im Schatten ein kleiner Lederkoffer, scheinbar das einzige Gepäck. Ihr Blick schweift in die Ferne zu einem von Sternen behangenen hellblauen Himmel und einer dünnen, weißen Mondsichel. Das Meer darunter schlägt Wellen in den verschiedensten Blautönen. An der Reling hängt, wie ein kleiner Eyecatcher ein rotweißer Rettungsring. Das Cover hat einen Wiedererkennungswert und ist nicht so kitschig wie andere Liebesromane.

Kritik

„Sie war aufgewacht, weil jemand zeterte.“, ist der erste Satz des Prologs. Er spielt im Jahr 2002 in Indien und erzählt die Geschichte einer älteren Dame, die mit ihrer Enkeltochter Jennifer Urlaub macht. Dort landen sie zufällig auf einem Schiffsverschrottungshafen, an dem die alte Dame die Überreste eines Schiffs namens HMS Victorious erkennt, dem Handlungsort von Über uns der Himmel, unter uns das Meer. Dann beginnt der erste von drei Teilen, von denen zwei im Jahr 1946 spielen. Insgesamt hat das Buch knapp über 500 Seiten und 26 Kapitel. Zu Beginn jedes Kapitels gibt es einen kurzen Auszug aus Zeitungen, Tagebüchern oder Interviews mit Zeitzeugen, die den historischen Hintergund der Geschichte noch einmal unterstreichen. Schnell wird klar: die ältere Dame aus dem Prolog war selbst Kriegsbraut auf dem Schiff. Da es aber mehrere Hauptfiguren gibt und der Name der Frau anfangs nicht fällt, ist eine Frage, die sich durch den Liebesroman zieht: Wer ist die Frau aus dem Prolog?

Zur Auwahl stehen Margaret, Avice und Frances. Margaret, kurz Maggie, ist das einzige Mädchen auf dem Bauernhof ihres Vaters in der Nähe von Sydney. Während sich ihr Vater und ihre vier Brüder um den Hof kümmern, schmeißt sie den Haushalt mit kochen, putzen und Wäsche machen. Auch wenn ihr all dies nicht wirklich zusagt, tut sie es für ihre geliebte Familie. Sie ist ein einfaches, aber anständiges Mädchen, das manchmal auch wild und abenteuerlustig sein kann. Sie reist auf dem Flugzeugträger mit, weil sie zu ihrem Mann Joe möchte, von dem sie bereits schwanger ist. Avice verlässt Australien für ihren Ian. Sie ist ein Mädchen aus höheren Gesellschaftskreisen, was man nicht nur an ihrem Erscheinungsbild erkennt. Sie ist oberflächlich, eitel und teilweise herablassend zu den anderen Mädchen. Im Kern ist sie aber dennoch einfühlsam und besorgt um das Wohlergehen der anderen. Frances ist Krankenschwester, die nach der Schließung ihres Militärkrankenhauses Australien verlässt. Sie ist stets respektvoll zu den anderen Mädchen, aber auch schüchtern, steif und in sich gekehrt. Es scheint, als hätte sie Geheimnisse vor den anderen. So verschieden, wie die drei jungen Frauen sind, so liebenswürdig sind sie auch. Jede Figur hat tiefgründige Gefühle, die sie so farbenfroh und lebendig wirken lassen, dass man schnell mit ihnen mitfühlen kann.

Dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, habe ich anfangs erwähnt. Am 2. Juli 1946 lief tatsächlich der Flugzeugträger HMS Victorious mit 655 australischen Kriegsbräuten aus, die zu ihren Ehemännern gebracht werden sollten. Das Schiff war 228 Meter lang und 23.000 Tonnen schwer. Für die Frauen wurde es teilweise sogar umgebaut und es wurden ihnen Unterhaltungsprogramme wie Spieleabende und Schallplattenmusik geboten. Es war eine Reise ins Ungewisse. Sie haben ihre Familien möglicherweise nie mehr wieder gesehen und wussten nicht, wie sie in England empfangen werden würden. Manche hatten ganz besonders Angst vor der Schwiegermutter. Nicht selten waren es aber auch die Ehemänner, für die die Zeit mit einer Australierin nur dem Vergnügen diente, und sie kein Interesse daran hatten, dass sie nun vor ihrer Haustür in England steht. Da hier gleich mehrere Liebesgeschichten erzählt werden, kann man davon ausgehen, dass nicht jede ein Happy End hat.

Für die historischen Fakten hat Moyes viel recherchiert. Ihre Großmutter Betty war selbst Passagierin und Zeitzeugin. Moyes hat aber auch unveröffentlichte Tagebücher aus dieser Zeit gelesen. Zudem hatte sie Kontakt mit der Royal Navy, wo sie selbst einen alten Flugzeugträger besichtigt hat. Man merkt, wie viel Liebe zum Detail die Autorin in die Recherche gesteckt hat, um das Setting authentisch und korrekt darzustellen. Dass die Figuren zwar fiktiv sind, in der Geschichte aber ein wahrer Kern steckt, macht sie für mich besonders lesenswert. Auch die Darstellung des Frauenbildes zu der damaligen Zeit ist sehr interessant, und nicht selten erschreckend. Zwar gab es zu der Zeit schon emanzipatorische Entwicklung, so gab es zum Beispiel Aufrufe an Frauen, einen Job beim Militär in verschiedenen Stellungen anzunehmen. Im Roman kommt deswegen auch ein Gruppe an Offizierinnen vor. Allerdings wurden junge Frauen auch sexualisiert und die Sorge war groß, dass die Kriegsbräute von Matrosen belästigt werden könnten.

Moyes Schreibstil ist angenehm, das Tempo gut gewählt. Ganz besonders gefällt mir ihr Feingefühl bei Dialogen. Sie sind philosophisch angehaucht und offenbaren auch die leisen Gefühle der Figuren sehr gut. Die Atmosphären lassen sich gut nachempfinden und man versinkt schnell in der spannenden Geschichte, die auch kleine Plottwists parat hält. Leider wird der Plot durch einen vierten und fünften Erzählstrang manchmal zu sehr in die Länge gezogen. Neben den drei Frauen spielen nämlich auch der Kapitän George Highfield und der Marinesoldat Henry Nicol eine Rolle. Vor allem der Part des Kapitäns war zäh und weniger lesenswert als der Rest des Buches. Dennoch hat der Roman eine gute Sogwirkung.

Ich komme nicht umhin, Über uns der Himmel, unter uns das Meer mit Ein ganzes halbes Jahr zu vergleichen, und ich muss leider sagen: emotional konnte mich der Roman über die Kriegsbräute etwas weniger einnehmen. Gerade mit den weiblichen Hauptfiguren konnte ich gut mitfühlen und eine Stelle hat mich wirklich zu Tränen gerührt. Aber bei Ein ganzes halbes Jahr habe ich Rotz und Wasser geheult. Ich habe die Geschichte von Lou und Will geliebt! Die Geschichte über die Kriegsbräute habe ich dagegen „nur“ sehr gemocht, aber der letzte Funke ist dann doch nicht ganz übergesprungen. Wahrscheinlich sind es die beiden Erzählstränge der Männer, die weniger fesseln, zumal beide recht vorhersehbar sind. Trotzdem habe ich mich jeden Abend gefreut, in dem Buch weiterlesen zu können.

Das Ende hat mich leider nicht ganz überzeugt. Es gibt ein plötzliches und lautes Finale, was in der Geschichte irgendwie deplatziert wirkt. So schnell es beginnt, wird es völlig vorhersehbar gelöst und bietet kaum einen Mehrwert. Zwar erfährt man auch, wer die Frau aus dem Prolog ist, aber es gibt zum Ende hin auch zu viele klare Hinweise, als dass es letztendlich noch überraschend wäre. Der Abschluss ist nett und zeitlich gut gewählt, aber verpasst leider, das Herz tief zu berühren.

Fazit

Allein durch den Vergleich mit Ein ganzes halbes Jahr wird deutlich, dass mich Über uns der Himmel, unter uns das Meer von Jojo Moyes leider nicht restlos begeistern konnte. Ich habe Frances, Avice und Maggie wirklich ins Herz geschlossen. Die Recherchearbeit, die in dieses Buch gesteckt wurde, spürt man auf jeder Seite. Es gibt emotionale Szenen, historische Belege und man unterliegt schnell der Sogwirkung. Die Erzählstränge von Highfield und Nicol haben aber wenig zum Plot beigetragen und waren wie das Ende auch zu vorhersehbar. Ich habe diese literarische Reise genossen und gerade für den Sommer kann ich den Liebesroman trotz kleiner Schwächen empfehlen. Deswegen bekommt dieses Buch aus dem Jahr 2016 von mir vier von fünf Federn. Aktuell weiß ich noch nicht, ob und wann ich ein weiteres Buch von Moyes lesen werde.