Love, Simon

Love, Simon
19. April 2023 0 Von lara

Jeder verdient eine große Liebe

Meine zweite April-Rezension 2023

Für die Lesechallenge 2023 sollte ich im März ein Buch lesen, das mit dem Anfangsbuchstaben meines Vornamens, also L, beginnt. Sofort fiel mein Blick auf ein bestimmtes Buch: Love, Simon von Becky Albertalli aus dem Jahr 2016. Ich besitze die Ausgabe zum gleichnamigen Kinofilm. Vor der Verfilmung war das Jugendbuch als Nur drei Worte bekannt, worunter Albertallis Debütroman auch den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 der Jugendjury erhielt. Nach dem Kinofilm mit Nick Robinson und Katherine Langford in den Hauptrollen erhielt das Buch mit Love, Simon einen neuen Titel. Im Original lautet der Buchtitel übrigens Simon vs. the Homo sapiens agenda. Hauptfigur ist Simon, ein homosexueller Teenager, der Angst vor seinem Coming Out in der Highschool hat.

Inhalt

Der noch 16-jährige Simon Spier wohnt mit seinen Eltern, seiner jüngeren Schwester Nora und dem Golden Retriever Bieber in Shady Creek, einem Vorort von Atlanta im Bundesstaat Georgia, wo er die Creekwood Highschool besucht. Eigentlich ist Simon ein ganz normaler Junge. Er hat bloß ein Geheimnis: er ist schwul. Bisher hat er es niemandem erzählt. Vor seinem Coming Out hat er große Angst. Der Einzige, dem er sich über Mails anvertraut, ist Blue. Simon findet in dem Unbekannten einen Seelenverwandten und verliebt sich in ihn. Die Mails bedeuten ihm alles, doch dann fallen diese in die Hände von Simons Mitschüler Martin, der ihn um sein Geheimnis erpressen will. Simon muss sich entscheiden, ob er sich entweder outen oder riskieren will, den Kontakt zu Blue zu verlieren.

Cover

Auf Deutsch gibt es von diesem Jugendbuch mit Romance inzwischen schon drei Cover: eines unter dem Titel Nur drei Worte, zwei unter Love, Simon. Nur drei Worte zeigt die illustrierte Silhouette von zwei Jungen, die in einem Doppelsitz eines Kettenkarussells sitzen, hinter ihnen der hellblaue Himmel mit Schäfchenwolken. Nett, aber unscheinbar. Meine Ausgabe, die zum Film, gefällt mir tatsächlich am besten, und das ist bei Filmausgaben die absolute Ausnahme. Sie ist auch der amerikanischen Originalausgabe am nächsten mit der großen weißen Sprechblase in der Mitte und dem roten Hintergrund. Unten sitzen die vier wichtigsten Darsteller wie auf einer Sitzbank aufgereiht: Links Nick Robinson, daneben Alexandra Shipp, die neben Katherine Langford sitzt und rechts Jorge Lendeborg Jr. Alle haben ihren Kopf zu Robinson, der Simon spielt, gedreht. Dieser schaut lässig mit einem verschmitzten Lächeln in die Kamera. Die aktuelle Ausgabe zeigt links den Ausschnitt eines Riesenrades in gelborange, dahinter der Himmel mit romantisierenden Lichteffekten. Vor allem die Farbgebung des Covers, die von einem Orange in ein dunkles Lila übergeht, finde ich aber ganz schön kitschig. Von allen drei Covern finde ich letzteres sogar ein wenig hässlich. Da es die Filmausgabe immer noch zu kaufen gibt, empfehle ich euch die, denn sie hat außerdem noch Bonusmaterial.

Kritik

„Es ist ein seltsam subtiles Gespräch – fast merke ich gar nicht, dass ich erpresst werde.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Simon ist hier der Ich-Erzähler, der im Präsens berichtet. Man steigt sofort mitten in den Plot ein. Während der Film erst einmal erzählt, wie Simon Bekanntschaft mit Blue macht, wird er im Buch sofort von einem Mitschüler erpresst. Um bis zu diesem Punkt zu kommen, lässt sich der Film erst einmal fast eine halbe Stunde Zeit. Mit knapp über 300 Seiten und 35 Kapiteln lässt sich Love, Simon super schnell weglesen. Der Handlungszeitraum erstreckt sich von Mitte Oktober bis Ende Januar. Die Filmausgabe bietet mit Szenenfotos, einem Ausschnitt aus dem Drehbuch sowie einem Gespräch mit Becky Albertalli, Nick Robinson und Greg Berlanti, dem Regisseur, wirklich lesenswertes Bonusmaterial.

Hauptfigur ist der noch 16-jährige Simon Spier, der im Verlauf des Buches aber seinen 17. Geburtstag feiert. Er ist 1,70m groß, hat braunes Haar und trägt, im Gegensatz zum Film, eine Brille. Auf eine liebenswürdige Art ist Simon ein kleiner Nerd, der eine Vorliebe für Oreos und Filme aus den 1990ern hat. Nach außen hin ist er ein toller Freund, angenehmer Schüler und wohlerzogener Sohn. Er ist warmherzig und gutmütig, aber auch ängstlich. So traut er sich nicht, seine Homosexualität zu zeigen, nicht einmal seiner Familie, zu der er ein gutes Verhältnis hat. Es kommt sogar so weit, dass er sich von Martin erpressen lässt, weil er auf keinen Fall möchte, dass seine Mitschüler darüber Bescheid wissen oder er den Kontakt zu Blue verliert. Er traut sich nicht, Martin die Stirn zu bieten und integriert ihn sogar in seinen Freundeskreis, um den Erpresser nicht zu verärgern. Simon muss auf die harte Tour lernen, dass man zum Wohlgefallen anderer nicht immer klein beigeben sollte. Das bietet aber natürlich auch Raum für die Charakterentwicklung.

Ich habe wirklich schon viele Jugendbücher mit Lovestories gelesen, aber Love, Simon ist mein erstes mit einem schwulen Paar. Albertalli macht einerseits deutlich, dass sich diese Liebe nicht großartig von heterosexueller Liebe unterscheidet. Schmetterlinge im Bauch und Tagträume über den Angebeteten gehören zum Verliebtsein einfach dazu. Love is Love! Andererseits spürt man die große Belastung, die Homosexualität im prüden Amerika mit sich bringt. Simon befürchtet, nach seinem Coming Out nur noch „Der Schwule“ zu sein, und nicht länger Simon. Gerade als Teenager in einer Highschool muss man einfach damit rechnen, nicht ausschließlich akzeptiert zu werden. Man macht sich damit leider zur Mobbing-Zielscheibe von irgendwelchen dummen Trotteln. Das Schulleben wird nicht leichter und ich kann jeden verstehen, der sich erst nach der Schule outet. Simon stellt sogar die Notwendigkeit des Coming Outs selbst infrage und findet: Egal, ob Hetero oder Homo, jeder sollte ein Coming Out haben müssen, damit jeder dieses Schamgefühl durchlebt.

In Love, Simon gibt es viele popkulturelle Referenzen, was ich sehr geliebt habe. Sei es Assassin’s Creed, Harry Potter (Simon ist ein Hufflepuff) oder Adventure Time. Vor allem Musik spielt für Simon eine große Rolle. Am liebsten hört er Indiebands wie Tegan and Sara, Passion Pit und Elliot Smith. Aber auch andere Künstler wie Lynyrd Skynyrd, The Smiths oder Kid Cudi werden erwähnt. Das hat mich dazu inspiriert, mir die Musik beim Lesen anzuhören und es hat die Perspektive wunderbar untermalt. Schade, dass keiner dieser Künstler in den Soundtrack des Films gepackt wurde. Die Playlist hätte sich quasi selbst geschrieben.

Albertalli kann mit Schreibstil, Sprache, Tempo und Atmosphäre komplett überzeugen. Es ist fast schockierend, wie gut sie schon in ihrem Debütroman plottet, Figuren Leben einhaucht und ein Jugendbuch geschaffen hat, das gleichermaßen leichtfüßig und tiefgründig ist. Der sprachliche Stil gibt Simon sehr gut wider: jugendlich, leicht und manchmal doch überraschend eloquent. Ich meine, welcher 17-Jährige nutzt schon Begriffe wie Fellatio oder kennt den Unterschied zwischen grammatisch und grammatikalisch?

Eine mysteriöse Frage schwebt die ganze Zeit über dem Plot: Wer ist Blue? Ich muss zugeben, ich hatte lange keine Ahnung. Meine erste Vermutung war falsch. Erst auf den letzten 70 Seiten hat es bei mir Klick gemacht. Es würde mich nicht wundern, wenn die meisten von der Auflösung überrascht werden, denn Albertalli ist es wirklich gelungen, es nicht zu offensichtlich zu machen. Im Film wird sogar noch mehr Verwirrung gestreut, weshalb ich allein dadurch nicht gewusst hätte, wer Blue ist. Dieses Rätsel zieht sich aber wie ein roter Faden durch die Geschichte und hält den Spannungsbogen aufrecht.

Abschließend vergleiche ich das Buch mit dem Film und bewerte die Buchverfilmung. Insgesamt gibt es recht viele Abweichungen zwischen Buch und Film, obwohl die Atmosphäre insgesamt gut getroffen ist. Ein optischer Unterschied ist vor allem, dass Simon im Buch eine Brille trägt (er wird vereinzelt mit Harry Potter verglichen), und im Buch jünger ist als im Film. Im Buch ist er in Klasse 11, im Film in Klasse 12, also im letzten Jahr der Highschool. Auch Simons Familienkonstellation ist anders. Die im Buch vorhandene ältere Schwester Alice, die auf ein College geht und nur an Feiertagen nach Hause kommt, wurde komplett aus dem Film gestrichen. Der Familienhund Bieber ist im Buch ein Golden Retriever, während er im Film ein kleinerer Mischlingshund ist. Zudem gibt es Unterschiede in der Handlung. Beispielsweise geht Simon im Buch mit seinen Freunden auf eine Halloween-Party als Dementor aus Harry Potter und trinkt nur ein Bier, weil er seine Freunde nach Hause fährt. Im Film ist er als John Lennon verkleidet, betrinkt sich, tanzt ausgelassen auf der Party und sieht später seinen Kumpel Bram mit einem Mädchen rumknutschen, was ihn enttäuscht, weil er kurz dachte, Bram könnte Blue sein. Dafür geht Simon im Buch in einen Schwulenclub und lässt sich dort ordentlich volllaufen. Diese Szene kommt im Film dagegen nicht vor. Im Film fehlt außerdem der Auftritt der Mädchenband Emoji beim Talentwettbewerb. Auch das Finale auf dem Jahrmarkt variiert, so sitzt Simon am Ende des Films in einem kleinen Riesenrad, während er im Buch in einer Art Tassenkarussel sitzt. Das T-Shirt von Elliot Smith bekommt Simon im Film nicht geschenkt, trägt es aber in einer Szene des Films zumindest. Die Liebesgeschichten um Simon herum sind ebenfalls etwas anders. Leahs Love Interest wird, im Gegensatz zum Film, im Buch überhaupt nicht deutlich. Die große Liebeserklärung, die Martin Abby im Film macht, gibt es im Buch gar nicht. Hinzu kommt, dass viele Schauspieler ihrer Buchvorlage optisch nicht ähneln, insbesondere, weil im Film viel mehr Schwarze mitspielen. Abby und Bram sind im Buch zwar auch schwarz, Nick und Ms Albright, die Schauspiellehrerin, allerdings nicht. Diese wird nämlich als sommersprossig mit feuerroten Locken beschrieben. Ich persönlich finde es schade, dass der Trend bei Buchverfilmungen dahin geht, viele Quotenschwarze einzubinden und dabei die Beschreibungen im Buch völlig außer Acht zu lassen. Während Alice aus dem Film gestrichen wurde, sind andere Figuren, wie der schulbekannte Schwule Ethan oder der schrullige Konrektor Mr Worth hinzugedichtet worden, der vermutlich den unauffälligeren Englischlehrer Mr Wise ersetzen soll. Nick Robinson als Simon ist dagegen die perfekte Besetzung. Er ist schauspielerisch brillant. Vermutlich hätte niemand besser in diese Rolle gepasst. Beim Ende gibt es wieder Abweichungen. Kurzum, es wurde recht viel bei der Verfilmung verändert. Manches für meinen Geschmack zum Besseren und manches zum Schlechteren. Vor allem das Ende finde ich im Film aber tatsächlich besser, weshalb ich beim Buch kleinere Abstriche machen muss.

Fazit

Insgesamt ist Love, Simon ein sehr lesenswertes Jugendbuch, das die Geschichte von einem homosexuellen Jungen erzählt, der gleichzeitig ein typischer Teenager ist. Ich kann verstehen, warum dieses Buch aus dem Jahr 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis gewonnen hat. Es setzt ein Statement für Selbstverwirklichung, Toleranz und Vielfalt. Für einen Debütroman schafft Becky Albertalli es unglaublich gut, ein ernstes Thema mit einer lebensfrohen Atmosphäre zu verbinden. Es ist eine lockere Lektüre, die mit tiefgründigen Figuren zu überzeugen weiß. Beim Lesen gab es keine Längen und es hat einfach Spaß gemacht, Simons Entwicklung mitzuerleben. Allerdings gibt es vereinzelte Passagen, die mir im Film sogar besser gefallen haben. Und wenn man ganz ehrlich ist, hebt sich Love, Simon primär dadurch ab, weil der Protagonist homosexuell ist. Das ist wichtig für die Repräsentation, keine Frage. Die Lovestory selbst oder das Highschool-Setting stechen allerdings nicht wirklich hervor. Man hat es hat so schon hunderte Mal gelesen. Wäre Love, Simon eine heterosexuelle Liebesgeschichte, hätte sie vermutlich nicht dieselbe Popularität erzielen können. Das ist allerdings Meckern auf hohem Niveau. Deswegen erhält Albertallis Debüt von mir vier von fünf Federn. Obwohl mir dieses Jugendbuch sehr gefallen hat, werde ich vorerst keine weiteren Bücher von Albertalli lesen. Zwar hat sie mit Leah on the Offbeat und Kate in Waiting ebenfalls Erfolge in Deutschland erzielen können, aber irgendwie reizen mich die Werke nicht. Vielleicht auch, weil ich Leah, Simons beste Freundin schon hier nicht wahnsinnig sympathisch fand. Außerdem wirkt es mir ein wenig zu erzwungen, dass Simons Kindheitsfreundin nun bisexuell sein soll, was aus Love, Simon überhaupt nicht hervorging.

Ihr braucht eine Zweitmeinung? Lea von „Liberiarium“ hat ebenfalls eine lesenswerte Rezension über dieses Buch geschrieben:
Liberiarium: Nur drei Worte