Elanus
Es ist klein. Es ist leise. Es sieht alles.
Meine zweite November-Rezension 2021
Ursula Poznanski gilt als Königin des Jugendthrillers im deutschsprachigen Raum. 2010 gelang der Österreicherin mit „Erebos“ ihr Durchbruch. Zudem gewann sie damit 2011 den deutschen Jugendliteraturpreis. Ich bin auf der Frankfurter Buchmesse 2016 auf sie aufmerksam geworden, als am Stand des Loewe Verlags ihre damalige Neuerscheinung „Elanus“ präsentiert wurde. Dass es in dem Jugendthriller um eine Drohne geht, die missbräuchlich verwendet wird, hat mich direkt fasziniert. Gekauft habe ich mir das Buch dann erst zwei Jahre später. Nun habe ich es endlich gelesen.
Inhalt
Der 17-jährige Jona Wolfram ist ein regelrechtes Wunderkind. Sein Abitur hat er gerade mit Bestnoten erlangt und damit ein Stipendium für die renommierte Victor-Franz-Hess-Privatuniversität in der fiktiven Stadt Rothenheim ergattert, wo er Technomathematik studieren möchte. Dafür zieht er bei seinen Eltern aus und stattdessen zu seiner Gastfamilie namens Helmreich. Doch es gibt etwas, das Jona viel dringender interessiert als das ihn unterfordernde Studium: seine Drohne Elanus. Damit spioniert er seinen Kommilitonen während der Freizeit hinterher, wobei er schnell dunkle Geheimnisse aufdeckt. Als sich dann sogar ein Professor der Universität das Leben nimmt, scheint auch Jona in ernsthaften Schwierigkeiten zu stecken.
Cover
Am Cover fallen zuerst die vielen geometrischen Muster auf, die hier vertreten sind: Kreise, Dreiecke und Quadrate. Die Quadrate ziehen sich in weißlichen Linien über das gesamte Cover wie kariertes Papier, was eine Anlehnung an Jonas Studiengang sein könnte. Darunter liegt ein Muster aus Dreiecken in verschiedenen Grüntönen. In der oberen Hälfte ist eine gelbliche Kugel zu sehen, die von abwechselnd hellen und dunklen Ringen unterschiedlicher Dicke umrahmt wird. Diese sollen die Linse der Drohne darstellen. Allgemein ist das Cover gelungen, vor allem der dunkelgrüne Grundton sticht positiv hervor.
Kritik
„Der Zug hielt mit einem Ruck.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Dieser enthüllt das Ende einer Reise. Das Buch beginnt mit einem Abschluss, nämlich Jonas Zugfahrt nach Rothenheim. Jona erzählt hier aus der personalen Perspektive im Präteritum in über 400 Seiten und 40 Kapiteln.
Schon früh merkt man, dass Jona nicht der typische Protagonist ist. Als seine Gasteltern nicht wie verabredet am Bahnhof erscheinen, spricht er seiner Gastmutter Silvia erst einmal eine gehässige Nachricht auf die Mailbox. Jona ist ein hoch gewachsener, etwas schlaksiger Junge, der schon aufgrund seines Alters jünger aussieht als seine Kommilitonen, vor allem weil er noch keinen Bartwuchs hat. Er ist hochintelligent, arrogant und egozentrisch, also nicht gerade ein Sympathieträger. Doch auch wenn er durchaus clever ist, mangelt es ihm an emotionaler und sozialer Intelligenz. Er ist überheblich, berechnend und versucht zumindest manipulativ zu sein, obwohl es ihm aufgrund seines mangelnden kommunikativen Talents nicht wirkliche gelingt. Wenn ihn jemand beleidigt oder seinen Stolz kränkt, kann er das nicht auf sich sitzen lassen und schießt unwillkürlich mit bösen Worten zurück. Auch seine Drohne hinter seinen Kommilitonen herzuschicken macht ihm keine Gewissensbisse, im Gegenteil: er freut sich regelrecht darauf im Privatleben seiner Mitmenschen zu schnüffeln. Dennoch ist Jona grundsätzlich kein schlechter Mensch. Er besitzt bloß erhebliche Defizite, die aber selbstverständlich Raum für eine positive Charakterentwicklung lassen. Und wer war schon mit postpubertären 17 Jahren wirklich die beste Version von sich selbst? Also ich war es definitiv nicht.
„Elanus“ entpuppt sich schnell als klassischer Pageturner. Jona kommt erst einmal in einer beschaulichen Kleinstadt mit einer elitären Privatuniversität an, doch schnell bröckelt die friedliche Fassade. Jona entdeckt, dass eine Studentin ein Verhältnis mit einem Dozenten hat, der sich kurz darauf das Leben nimmt. Auch seine Gastfamilie scheint ein Geheimnis zu verbergen. Jona vermutet sogar, dass sie sein Zimmer in seiner Abwesenheit durchsuchen. Der Direktor der Universität vertröstet ihn immer wieder bei den geplanten Treffen und zu allem Überfluss hat Jona das Gefühl, dass das Haus seiner Gastfamilie regelmäßig von fremden Männern beobachtet wird. Das Gewirr aus Ungereimtheiten nimmt Seite für Seite zu, weshalb man den Jugendthriller stellenweise kaum aus der Hand legen kann. Der Spannungsbogen spitzt sich immer weiter zu, da auch Stil und Sprache unterbewusst dafür sorgen, dass man gefesselt wird, bis der mitreißende Strom in einem atemberaubenden Finale mündet.
Ja, das Ende ist spektakulär, aber leider reißt die Auflösung auch einige Löcher in die Logik. Zwar würde ich diese gerne genauer erläutern, um nicht zu spoilern mache ich aber nur vage Andeutungen. Die Motive eines Täters sind ziemlich unklar, die Begründungen fadenscheinig und bei genauerer Betrachtung unsinnig. Auch die Erklärung dafür, warum man nicht einfach die Polizei rufen sollte, anstatt sich in eine gefährliche Situation zu begeben, hinkt gewaltig.
Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten oder Fehler, die auffällig waren. Beispielsweise ein das/dass-Fehler auf Seite 220, ein Klassiker unter den vermeidbaren Fehlern, bei denen ich mich als Germanistik-Studentin immer besonders grusele. Außerdem kann man bemängeln, dass der Klappentext, der primär die missbräuchliche Verwendung einer Drohne thematisiert, letztendlich nur peripher den Handlungsrahmen aufbaut. Das Grundkonzept mit der Drohne gibt dem Jugendthriller theoretisch einen dystopischen Twist, der viele Fragen aufwerfen könnte. Sind Drohnen faszinierende Innovationen oder eine potenzielle Gefahr? Doch die Drohne Elanus spielt bei all den düsteren Geheimnissen und Intrigen nur eine sehr kleine Rolle. In der Geschichte geht es also nicht wirklich um das, was der Klappentext suggeriert, was mich allerdings nur leicht gestört hat. Auch die Art und Weise wie Jona Elanus auf seine Kommilitonen ansetzt, ist nicht ganz korrekt dargestellt. Dafür schickt er ihnen eine SMS mit Spyware, die angeblich dann installiert wird, wenn auf die SMS geantwortet wird. Nach meiner Recherche funktioniert dies aber gar nicht so. Heutzutage müsste eine SMS einen Link enthalten, der angewählt werden müsste, damit sich die Spyware installieren kann. Dass Jona also häufiger sehnsüchtiger auf die Antwort seiner SMS wartet, macht informatisch betrachtet keinen Sinn. Hinzu kommen weitere Kleinigkeiten wie dämliche Fehler, die dem ach so hochintelligenten Jona teilweise unterlaufen, oder dass sich jemand mit einem laufenden Infusionsschlauch am Arm umziehen kann. Schlussendlich ändert dies aber nichts daran, dass „Elanus“ ein spannender und gelungener Jugendthriller ist.
Fazit
„Elanus“ von Ursula Poznanski ist ein wahrer Pageturner ohne Längen. Dazu trägt auch Jona als schwieriger, aber stets interessanter Protagonist eine Menge bei. Ich habe mich einfach jeden Abend darauf gefreut weiterzulesen und anstatt geplanter zwei Kapitel dann noch ein drittes gelesen. Und dann noch ein viertes. Und dann noch ein fünftes. Trotz aller Spannung ist der Jugendthriller aus dem Jahr 2016 allerdings nicht perfekt. Das teils unlogische Ende, das zu inszeniert wirkt, der das/dass-Fehler und weitere Ungereimtheiten trüben das Leseerlebnis leicht. Hinzu kommt, dass der Klappentext nicht wirklich hält, was er augenscheinlich verspricht. Das mag man jetzt mehr oder weniger schlimm finden, könnte gegebenenfalls aber zu Enttäuschungen führen. Dennoch hatte ich viel Spaß mit diesem Buch, weshalb ich gerade noch so vier von fünf Federn vergeben möchte. Poznanski hat mich hiermit von sich überzeugen können, weshalb ich mich über weitere Werke von ihr informiert habe. Besonders der Klappentext von „Thalamus“ klingt gut, weshalb ich das Buch nun auf meine Wunschliste gesetzt habe.
Ihr braucht eine Zweitmeinung? Kia vom „Buchensemble“ hat ebenfalls eine sehr lesenswerte Rezension über dieses Buch geschrieben:
Buchensemble: Elanus
Danke für die Rezension! Toll, auch einen Einblick einer anderen Perspektive in das Buch zu bekommen 🙂
Danke für deinen Kommentar ☺ Ich denke, wir sind uns mit unseren Urteilen im Großen und Ganzen einig 😁