Das Vermächtnis der besonderen Kinder

Das Vermächtnis der besonderen Kinder
21. Mai 2021 0 Von lara

Alte Fotografien mit Gruselfaktor

Meine zweite Mai-Rezension 2021

Mit „Das Vermächtnis der besonderen Kinder“ habe ich den vorerst letzten Band der Jugendbuchreihe „Die besonderen Kinder“ von Ransom Riggs gelesen. Vorerst, da der fünfte Band der aktuellste ist, der momentan im Buchhandel zu finden ist. Der sechste und finale Band erscheint dieses Jahr am 1. Oktober und trägt den Titel „Die Zukunft der besonderen Kinder“, worauf ich mich schon freue. Zwangsläufig muss ich die Zeit bis dahin aber mit anderen Büchern überbrücken. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar von „Das Vermächtnis der besonderen Kinder“ bedanken, welches 2020 veröffentlicht wurde.

Inhalt

Auf der Suche nach Abrahams Vergangenheit, Jacob Portmans verstorbenem Großvater, findet Jacob den im Sterben liegendem Hollowjäger H. Seine letzten Worte erwähnen eine Prophezeiung, in der die Besondere Noor Pradesh, die H in Sicherheit bringen konnte, eine große Rolle spielt. Außerdem soll Jacob die letzte überlebende Hollowjägerin V finden. Es gelingt ihm mithilfe seiner Freunde, Noor zu Devil’s Acre zu bringen. Miss Peregrine ist unterdessen beschäftigt mit der Konferenz der Vögel, der Friedensverhandlung zwischen den Ymbrynes und den drei rivalisierenden Besonderen-Clans der USA, sodass es den inhaftierten Wights in einem Moment der Unachtsamkeit gelingt, aus dem Gefängnis auszubrechen, darunter auch Cauls Oberleutnant, Percival Murnau. Und so haben Jacob und seine Freunde mehr Feinde als jemals zuvor.

Cover

Wie immer ist das Cover eine der Fotografien aus Riggs‘ Sammlung, welche noch etwas bearbeitet wurde. Zum einen findet sich um das Foto ein dünner Rahmen mit Schnörkeln in allen vier Ecken, zum anderen hat das Foto wieder einen enormen Farbstich, dieses Mal in Rot. Auf dem Foto sieht man eine Frau mit einer altmodischen, hochgedrehten Frisur und Hängeohrringen, deren Arme auf einen Tisch mit langen Beinen gestützt ist. Es sieht so aus, als hätte diese Frau keinen Unterleib, sondern würde mit ihrem Oberkörper auf dem Tisch stehen. In der Geschichte heißt sie Hattie und wird von Jacob wie folgt beschrieben: „Dann kam eine weitere beinlose Dame – diese war jedoch offenkundig nicht in der Lage, zu schweben, denn sie bewegte sich voran, indem sie auf ihren Händen in großen Sätzen vorwärtssprang. […] Jetzt konnte ich sie ganz sehen: Ihr fehlten nicht nur die Beine, sondern auch Hüfte, Taille und die Hälfte des Rumpfes.“ Diese Täuschung ist natürlich ursprünglich durch eine Fotomontage entstanden, was man auch daran erkennen kann, dass dem Tisch das hintere Bein fehlt.

Kritik

Noch vor dem ersten Kapitel findet sich ein Zitat von William F. Cody, der besser bekannt ist als Buffalo Bill. Er war im 19. Jahrhundert ein Bisonjäger und gilt heute als Begründer des modernen Showbusiness. In diesem Zitat geht es im übertragenden Sinne darum, dass man wahre Freunde erst in schwierigen Zeiten wirklich erkennt.
„Tief in den grünlich schimmernden Gedärmen eines Fischmarktes in Chinatown befanden wir uns am Ende eines Flurs, der mit Krebsbecken gesäumt war.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Wie gewohnt berichtet Jacob aus der Ich-Perspektive im Präteritum. Mit „wir“ meint er hier sich selbst und Noor Pradesh, jene Besondere, mit der er aus der Wohnung von H geflohen ist, womit der Vorgänger „Der Atlas der besonderen Kinder“ endete. Der Plot setzt also fast nahtlos an. Jacob und Noor sind gemeinsam auf der Flucht vor Leo Burnhams Männern, aus deren Händen H Noor befreien konnte.
Mit annähernd 400 Seiten und 14 Kapiteln plus Epilog ist „Das Vermächtnis der besonderen Kinder“ der bislang kürzeste Band der gesamten Reihe. Das tut dem Spannungsbogen und dem Sprachstil allerdings sehr gut, zumal Riggs ja dazu neigt, das Tempo recht entschleunigt zu halten. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Band stilistisch an den ersten heran kommt, er hebt sich aber spürbar von den vorherigen ab. Zwischendurch wirkt es aber dennoch minimal unrund und ungeschliffen.
Ein Charakter, der Jacob durch viele Abenteuer begleitet hat, und ohne den er mehrmals gescheitert wäre, den ich aber in den Rezensionen nicht weiter erwähnt habe, ist Bronwyn Bruntley. Sie wird als maskulin wirkendes Mädchen im Alter von etwa 16 Jahren beschrieben, das keine Kleider mag und meist barfuß herumläuft. Auch wenn Emma sie als nicht gerade intelligentes Mädchen bezeichnete, ist Bronwyn sehr loyal und verantwortungsvoll. In brenzligen Situationen zögert sie nicht, sondern wirft sich mitten ins Geschehen. Für die anderen besonderen Kinder, vor allem für Claire und Olive, ist sie wie eine große Schwester, die sie schützend in die Arme nimmt. Über ihre Zeit vor Miss Peregrines Zeitschleife weiß man nicht viel, außer dass sie mit ihrem Bruder Victor in Wales bei einem gewalttätigen Stiefvater lebte, dem sie das Genick brach, nachdem er erneut zuschlug. Denn Bronwyns besondere Fähigkeit ist eine scheinbar grenzenlose Muskelkraft. Sie kann Autos umwerfen, Felsen bewegen oder mehrere Menschen gleichzeitig tragen. Ihr Bruder Victor starb, als er in der Zeitschleife von Hollowgasts angegriffen wurde. Aufgrund ihrer Fähigkeit gehört sie zu Jacobs wichtigsten Verbündeten und sie sind mit der Zeit zu guten Freunden geworden.
Seit der fortsetzenden Trilogie ab „Der Atlas der besonderen Kinder“ hat sich der Handlungsort von Großbritannien in die USA verlagert. Dort werden besondere Kinder nicht von Ymbrynes umsorgt, sondern sind vielmehr auf sich alleine gestellt. Diese Kinder werden im Buch auch als „Wildkatzen“ bezeichnet. Auf diese Kinder wird Jagd gemacht, denn sie gehören noch keinem Clan an. Wenn man Clanmitglied ist, genießt man zwar einen gewissen Schutz, man wird aber auch in die Clan-Rivalitäten und kriminelle Machenschaften hinein gezogen. Zu den drei größten Clans gehören der Five Boroughs Clan, dessen Anführer Leo Burnham ist, außerdem die Invisible Hand sowie die Californios. Es gibt aber auch kleinere Gruppierungen wie die Eldritch Street Untouchables, die von einem Mann namens Dogface geleitet werden. Diesen Flickenteppich aus Besonderen wieder zu vereinen, ist ein wichtiges Thema in diesem Buch, mit dem sich hauptsächlich die Ymbrynes beschäftigen.
Leider sind mir in diesem Band auch wieder ein paar Fehler aufgefallen. Es reißt irgendwie nicht ab. Erst Lichtjahre, dann Wasserläufer und jetzt kommt das Trockeneis. Im ersten Kapitel sind Noor und Jacob auf der Flucht vor Clanmitgliedern. Sie befinden sich in einem „unterirdischen Meeresfrüchtemarkt“ in New York, in dem „Fische in Kisten mit dampfendem Trockeneis“ liegen. Diese Beschreibung entspricht aus zwei Gründen hoffentlich nicht der Wahrheit. Trockeneis ist tiefgefrorenes CO2, das nicht wärmer als -78,4°C werden kann, da es sonst sublimiert, also ohne zu verflüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand übergeht. Zwar eignet sich Trockeneis sehr gut, um über einen längeren Zeitraum Lebensmittel zu kühlen, diese Lebensmittel dürfen jedoch keinen direkten Kontakt mit dem Trockeneis haben, da diese sonst Schaden nehmen. Fasst man längere Zeit lang Trockeneis an, friert es fest und verursacht Kälteverbrennungen. Dasselbe würde auch mit dem Fischfleisch passieren, deswegen sollte es, wenn er zum Verkauf angeboten wird, lieber auf gewöhnliches Eis gelegt werden. Außerdem ist der Handlungsort unterirdisch. Wenn Trockeneis sublimiert, wird es zu gasförmigem Kohlenstoffdioxid und fällt aufgrund der geringen Temperatur zu Boden. Passiert dies mehrere Stunden lang in einem geschlossenen Raum, nimmt das Gas immer mehr Raum ein und verdrängt die normale Raumluft, wodurch eine Erstickungsgefahr besteht. Um dies zu vermeiden, sollte man einen Raum, in dem sich eine große Menge Trockeneis befindet, durchgängig lüften, was unterirdisch ja gar nicht möglich ist.
Der zweite Fehler spielt sich in Kapitel 3 ab. Dort erzählt Miss Peregrine den Kindern vom sogenannten „‚Eimerkrieg‘“, der 1325 in Italien stattfand. Sie erklärt, dass es eigentlich ein Krieg zwischen zwei Gruppen Besonderer war. „‚Bis heute glauben die Normalen, dass Tausende den Tod fanden wegen des Diebstahls eines Holzeimers aus einem Brunnen.‘“ Das stimmt so aber nicht. Der erwähnte Holzeimer, nach dem der Krieg benannt wurde, wurde nach der Schlacht als Siegessymbol von der Armee Modenas gestohlen, er war jedoch nicht der Auslöser des Krieges. Tatsächlich wird dies aber so in der Oper „Der geraubte Eimer“ von Antonio Salieri dargestellt, was aber vielmehr ein komödiantisches Element sein soll, anstatt einen Wahrheitsanspruch zu erheben. Es ist immer ärgerlich, wenn ein Autor aufgrund mangelnder Recherche in eine eigentlich solide Geschichte Fehler einbaut.
Das Finale hat eine heftige Szene zu bieten, verweilt kurz in einem retardierenden Moment, um dann noch einmal an Fahrt aufzunehmen, um letztendlich in Riggscher Manier abrupt zu enden. Auch dieses Mal wird nicht davor zurückgeschreckt, Nebenfiguren sterben zu lassen. Ich bin zugegebenermaßen etwas enttäuscht, dass ich den letzten Band nicht sofort im Anschluss lesen zu können.

Fazit

Diese einzigartige Urban Fantasy-Jugendbuchreihe in Kombination mit den alten, unheimlichen Fotografien hat es mir einfach angetan. Leider ist „Das Vermächtnis der besonderen Kinder“ erneut nicht ganz fehlerfrei, und auch der Stil ist an manchen Stellen noch unrund. Die verhältnismäßige Kürze tut dem Plot dagegen sehr gut. Im Großen und Ganzen ist auch der fünfte Band der Hexalogie ein gelungenes Werk, das ich trotz Makeln gerne gelesen habe. Deswegen bekommt dieses Buch aus dem Jahr 2020 von mir drei von fünf Federn. Es ist wirklich schade, dass der finale Band „Die Zukunft der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs erst im Oktober erscheint. Früher oder später möchte ich diese Reihe aber definitiv abschließen.