Grisha – Goldene Flammen

Von Korporalki, Ätheralki und Materialki
Meine zweite April-Rezension 2025
Für 2025 hatte ich mir die Grisha-Trilogie von Leigh Bardugo fest vorgenommen. Der erste Band der High Fantasy-Reihe „Goldene Flammen“ war Bardugos Debütroman. Inzwischen erstreckt sich das Grishaverse über drei Reihen mit insgesamt sieben Bänden plus einem Spinoff-Band. Der Hype um das Grishaverse ist gigantisch, denn auch Netflix hat Legenden der Grisha unter dem Namen Shadow and Bone als Serie mit zwei Staffeln verfilmt. Leider wurde die Serie aufgrund zu hoher Produktionskosten abgesetzt, sodass der letzte Staffel und die geplante Spinoff-Serie zu „Das Lied der Krähen“ doch nicht umgesetzt werden. Ich wollte mir nun endlich mein eigenes Bild machen, ob der Hype um die Reihe wirklich gerechtfertigt ist.
Inhalt
Alina Starkowa wuchs als Waisenkind in einem Heim in Keramzin, einer Stadt des Königreichs Rawka gemeinsam mit ihrem besten Freund Maljen Oretsew auf. Als junge Frau arbeitet sie Jahre später als Kartografengehilfin in der ersten Armee des Zaren, während Maljen ein ausgezeichneter Fährtenleser ist. Als Teil des Militärs sollen sie die Ödsee durchqueren, eine ewig dunkle Wüste, die den Osten Rawkas von einem dünnen Landstreifen und dem Meer im Westen trennt. Die Überquerung ist gefährlich, denn die Ödsee ist von geflügelten Monstern namens Volkra bewohnt, die Reisende angreifen und töten. Als Alina und Maljen auf einem Sandskiff von Kribirsk nach Nowokribirsk reisen, werden auch sie von den Volkra attackiert und verletzt. Bei ihrem verzweifelten Versuch sich zu wehren, setzt Alina plötzlich Lichtmagie frei. Schnell wird den Umstehenden klar, dass Alina nicht nur eine Grisha, sondern eine Sonnenkriegerin ist, denn sie ist seit Ewigkeiten die erste Magierin, die Lichtmagie beschwören kann. Alinas Leben ändert sich schlagartig, denn sie muss nun als Grisha im Palast von Os Alta ausgebildet werden. Doch nicht jeder im Palast ist Alina gegenüber wohlgesonnen.
Cover
Ursprünglich ist Legenden der Grisha beim Carlsen Verlag erschienen, wobei es dort zwei verschiedene Cover gibt: einmal das der Hardcover-Ausgabe sowie das der Taschenbuch-Ausgabe. Die aktuellen Auflagen werden von Droemer Knaur publiziert, die meiner Meinung nach die schönsten Cover entworfen haben. „Goldene Flammen“ zeigt die Silhouette eines Hirschkopfes vor einem dunkelblauen Hintergrund. Der Hirsch wird in Schlieren von Weiß und hellen Blautönen durchzogen. Das Wildtier findet sich übrigens auch auf der Hardcover-Ausgabe des Carlsen Verlags, das im Wasserfarben-Stil auf weißem Grund neben einem Mädchen mit langen Haaren und Nadelbäumen im Hintergrund abgebildet ist. Leider habe ich die Taschenbuch-Ausgabe des Carlsen Verlags, denn dieses Cover finde ich persönlich von allen drei am hässlichsten. Es zeigt das Gesicht einer jungen Frau im Halbprofil mit dunkelblonden Haaren und einem grauen Auge, denn das andere wird von ihren Haaren bedeckt. Darüber liegen verschiedene Bildeffekte, die das Cover mit goldenen Stoffabdrücken und Kratzern übersäen. Ich bin ohnehin kein Fan von Covern mit Gesichtern, aber dieses Cover finde ich besonders nichtssagend. Aber egal, welche Ausgabe ist besitzt: Die Geschichte ist zum Glück dieselbe.
Kritik
„Die Diener nannten sie Malenchkij, Geisterchen, denn sie waren die Kleinsten und Jüngsten und sie suchten das Haus des Herzogs heim wie kichernde Phantome, flitzten durch die Zimmer, versteckten sich in Schränken, um zu horchen, stahlen die letzten Pfirsiche aus der Küche.“, ist der erste und sehr lange Satz des Prologs. Die Geisterchen, von denen hier die Rede ist, sind Alina und Maljen, die als Kinder das von einem Mäzen geförderte Waisenheim erkunden und sich mit kleinen Spielchen die Zeit vertreiben. Es zeigt die tiefe Verbundenheit, die die beiden schon von klein auf zueinander haben. Denn nur der Prolog beschreibt Alinas Kindheit in Keramzin sowie ihre erste Begegnung mit Grisha. „Goldene Flammen“ hat bei fast 350 Seiten 22 Kapitel plus Prolog und Epilog. Sollte es euch so gehen wie mir, werdet ihr durch dieses eher dünne Fantasybuch förmlich fliegen. Abgesehen von Prolog und Epilog fungiert Alina als Ich-Erzählerin im Präteritum. Außerdem gibt es zu Beginn eine wunderschön illustrierte Karte, die die fiktiven Länder Rawka, Fjerda und Shu-Han zeigt. Während ich noch Die Zwerge als Beispiel dafür genommen habe, wie eine Fantasy-Karte nicht aussehen sollte, macht das Grishaverse mit seinen zahlreichen Details und Schattierungen alles richtig.
Protagonistin ist die 17-jährige Alina Starkowa, die stumpfes braunes Haar und braune Augen hat. Sie wird als blass, klein schmächtig und unscheinbar beschrieben. Ihre Erzieherin Ana Kuja nennt sie sogar „hässlich“ (S. 11) und vergleicht sie mit einem „Glas saure[r] Milch“ (S. 11). Ein besonderes Merkmal ist die Narbe, die über Alinas rechte Handfläche verläuft, welche sie sich als Kind zugezogen hat. Zu Beginn ist Alina ein schüchternes, aber tapferes und loyales Mädchen, deren emotionale Konflikte nachvollziehbar sind und sie menschlich erscheinen lassen. Ihre Persönlichkeit ist offensichtlich auf einen Charakterwandel gepolt, der zu einer mutigen, kühnen und mächtigen Frau führen soll. Natürlich ist es vorhersehbar, dass das Mauerblümchen, das plötzlich seine Magie entdeckt, zu einer der mächtigsten Menschen der Welt wird. Aber Alina ist so sympathisch geschrieben, dass das einfach gut funktioniert, deswegen will ich das gar nicht kritisieren.
Bardugos Stil ist klar, zugänglich und für einen Debütroman beachtlich stark. Die Sprache ist modern und bildhaft, sodass man schnell in einen Lesefluss gerät. Auch wenn es durchaus ruhigere Passagen gibt, sind diese doch so atmosphärisch, dass es keinerlei Längen gibt, wodurch sich die Geschichte zu einem wahren Pageturner entwickelt. Das Erzähltempo ist ausgewogen und hat sich stets richtig angefühlt. Gerade zu Beginn lässt sich Bardugo etwas mehr Zeit, um in die Fantasy-Welt einzuführen, was den Einstieg sehr erleichtert. Die Mischung aus prunkvollem Hof, dunkler Magie und gefährlichen Abenteuern verleiht dem Buch eine melancholische, zwielichtige Atmosphäre, bei der man nie sicher sein kann, welchen Figuren man vertrauen kann und welchen nicht. Die Sogwirkung spricht hier absolut für sich, denn trotz relativ einfacher Mittel wirkt die Geschichte nie platt, sondern fühlt sich natürlich und pointiert an. Auch dass die Liebesgeschichte hier eine eher untergeordnete Rolle spielt, hat mir sehr gefallen.
Besonders faszinierend ist am Grishaverse das von russischer Folklore inspirierte Worldbuilding. In ihrer Danksagung betont Bardugo die lange Recherchearbeit für ihre Reihe und dass sie verschiedene Sachbücher wie „Eine Kulturgeschichte Russlands“, „Die Schönheit des alten Russlands“ oder russische Märchen gelesen hat. Egal ob in der Beschreibung des Zarenreiches oder der Zwiebeltürme, der Einfluss russischer Kultur auf die Geschichte ist durchgehend spürbar. Auch Namen wie Alexej, Iwan oder Zoja verdeutlichen, wie eng die slawistische Phonetik mit der Fantasy-Welt verwoben ist. Als Beispiel dafür kann auch die Stadt Nowokribirsk dienen, die sicherlich nicht zufällig nach der drittgrößten Stadt Russlands Nowosibirsk klingt. Die meisten High Fantasy-Werke sind dem europäischen Mittelalter entlehnt. In letzter Zeit hat sich auch fernöstliche Fantasy auf dem Buchmarkt etabliert. Da ich aber noch nie Fantasy gelesen habe, die auf das zaristische Russland des 18. Jahrhunderts mit strengen Wintern und harscher Natur anspielt, war dieses Worldbuilding für mich eine angenehme Neuerung.
Obwohl das Ende vielleicht kein blutspritzendes Finale bietet, konnte ich bis zum Schluss „Goldene Flammen“ kaum aus der Hand legen. Es geht um psychologische Machtspiele, ein inneres Kräftemessen und die Erkenntnis, das man nie genau wissen kann, wer Freund und wer Feind ist. Bardugo verzichtet auf flache Cliffhanger, sondern entwirft einen Plot, auf dessen Fortsetzung man schlichtweg gespannt ist. Viele Fragen sind noch offen, und ich kann es kaum erwarten, den zweiten Band „Eisige Wellen“ zu lesen, um zu erfahren, wie die Geschichte der Sonnenkriegerin Alina weitergeht.
Fazit
„Goldene Flammen“ ist ein extrem starker Auftakt einer vielversprechenden High Fantasy-Reihe. Das russisch inspirierte Worldbuilding, nachvollziehbare Figuren und ein klarer, moderner Schreibstil überzeugen auf ganzer Linie. Der erste Band der Legenden der Grisha entwickelt eine enorme Sogwirkung, was immer ein sehr gutes Zeichen ist. Die gelungene Mischung aus einem spannenden Plot, einer menschlich wirkenden Protagonistin und einem faszinierenden Magiesystem macht Leigh Bardugos Debüt zu einem außergewöhnlich guten Leseerlebnis. Abgesehen von einer gewissen Vorhersehbarkeit bei Alinas Charakterentwicklung habe ich nichts zu kritisieren und auch die Tatsache, dass dieses Buch ein richtiger Pageturner ist, bestätigt mich darin, dass dies mein erstes Jahreshighlight ist. Deshalb erhält „Goldene Flammen“ von mir alle fünf Federn. Ich bin vom Grishaverse-Virus voll infiziert und bin wirklich gespannt, ob die Fortsetzung genauso genial ist.

Ihr braucht eine Zweitmeinung? Wiebke vom „Buchensemble“ hat ebenfalls eine lesenswerte Rezension über dieses Buch verfasst:
Buchensemble: Shadow and Bone