Die Geschichte der Bienen

Die Geschichte der Bienen
25. Januar 2024 0 Von lara

Wenn kleine Dinge von großer Bedeutung sind

Meine zweite Januar-Rezension 2024

„Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde ist ein Buch, das ich für meine Bachelor-Arbeit gelesen habe. Da ich über Bienen in der zeitgenössischen Literatur schreibe, war dieser Roman, der monatelang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand, die optimale Wahl. Aber es war auch meine Wahl für das Monatsbuch der Lesechallenge vom Dezember 2023. Das Motto lautete: Lies ein Buch, das 2023 erschienen ist. Unglücklicherweise habe ich letztes Jahr kein Buch gekauft, was 2023 veröffentlicht wurde. Deswegen habe ich mit @henkels_buch_stube vereinbart, dass ich dafür auch ein Buch lesen kann, das ich 2023 gekauft habe. Da ich einen Großteil des Romans aus dem Jahr 2017 im Dezember gelesen habe, zähle ich es als mein letztes gelesenes Buch für 2023. „Die Geschichte der Bienen“ gilt als meistverkauftes Buch des Jahres 2017 und ist der Auftakt des sogenannten Klimaquartetts.

Inhalt

China im Jahr 2098: Die junge Arbeiterin Tao muss von Hand Bäume bestäuben, denn Bienen gibt es in ihrer Provinz schon lange nicht mehr. Das gesellschaftliche Leben ist völlig in sich zusammengebrochen und das Volk leidet Hunger. Ein Großteil der Arbeitnehmer muss als Bestäuber arbeiten, doch Tao wünscht sich ein besseres Leben für ihren Mann Kuan und ihren Sohn Wei-Wen. Als der Kleine plötzlich einen mysteriösen Unfall erleidet, wird er unter Verschluss gehalten und Tao weiß nicht, wo er ist, wie es ihm geht und ob sie ihn je wieder sehen wird.
England im Jahr 1852: Der Biologe und Samenhändler William Savage leidet an schweren Depressionen. Seit Wochen hat er das Bett nicht verlassen und seiner neunköpfigen Familie geht langsam das Geld aus. Als Naturforscher sieht er sich als gescheitert an, denn sein Mentor Rahm hat sich von ihm abgewandt. Wenn es ihm gelingen würde, seine Leidenschaft für die Imkerei zurückzugewinnen, gäbe es vielleicht auch die Möglichkeit, die Familie durchzubringen.
Ohio im Jahr 2007: Der Imker George arbeitet hart für seinem Traum von einem größeren Hof, den sein Sohn Tom eines Tages übernehmen soll. Doch dieser hat ein Stipendium erhalten und wünscht sich eine Karriere als Schriftsteller. Bis plötzlich eine Katastrophe geschieht.

Cover

Das Cover ist sehr schlicht gehalten und zeigt lediglich eine illustrierte Biene von einem cremefarbenen Hintergrund. Sie liegt am Boden, ein Schatten zeichnet sich unter ihr ab. Den Rücken hat sie dem Betrachter zugewandt, doch man erkennt dahinter ein paar Beine, die schlaff herabhängen. Offensichtlich ist diese Biene tot. Ich mag dieses minimalistische Cover, das aber doch unverkennbar zeigt, worin es in diesem Roman geht.

Kritik

„Wie verwachsene Vögel balancierten wir auf unseren Ästen, das Plastikgefäß in der einen Hand, den Federpinsel in der anderen.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Hier erzählen drei Figuren abwechselnd aus der Ich-Perspektive im Präteritum: Tao, William und George. Sie alle leben in verschiedenen Jahrhunderten an verschiedenen Orten. Sie werden sich nie begegnen und doch sind ihre Schicksale auf den knapp über 500 Seiten miteinander verbunden.

Als Erstes erzählt die junge Mutter Tao von ihrem Leben Ende des 21. Jahrhunderts in China. Sie wird vom Staat dazu gezwungen als Bestäuberin auf den Obstplantagen zu arbeiten. Sie klettert von Ast zu Ast und bestäubt die blühenden Bäume mit Pollen, da es kaum noch Insekten und keine Bienen mehr gibt. Die Arbeit ist hart, schlecht bezahlt und sollte sie einen Fehler machen, wird die Einbuße von ihren knappen Lohn abgezogen. Tao beschreibt sich selbst als groß gewachsene Frau, die nicht sonderlich hübsch ist. Sie ist nach eigener Angabe sehr tollpatschig, weshalb ihr bei der Arbeit überdurchschnittlich oft Äste abbrechen. Tao ist selbstlos, klug und strebsam, vor allem aber eine ehrgeizige Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht als eine bessere Zukunft für ihren Sohn Wei-Wen. Da für die Nahrungsversorgung jede helfende Hand benötigt wird, begrenzt sich die Schulpflicht in Taos Welt nur auf die Grundschule. Danach müssen die Kinder ebenfalls als Bestäuber arbeiten. Nur ein kleiner Prozentsatz der Klassenbesten darf die weiterführende Schule besuchen, um eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Genau das ist der Plan, den Tao für ihren Sohn hat. Ich mochte Tao sehr und konnte gut mit ihr mitfühlen.

Grundsätzlich sind alle drei Protagonisten gewissermaßen grau. Auch wenn sie im Kern gute Menschen sind, sind sie doch fehlbar. Tao ist in ihrem Ehrgeiz und auch in ihrer Selbstgeißelung zu verbissen. William bevorzugt aus sexistischen Gründen seinen einzigen, missratenen Sohn über seine anderen weiblichen Familienmitglieder und verkennt dabei, wer ihm gegenüber wirklich loyal ist. George hat Probleme damit, dass sein Sohn von einer akademischen Laufbahn träumt und dabei Interessen entwickelt, die er nicht für ihn vorgesehen hat. Alle drei müssen lernen, dass das Leben nicht immer nach Plan verläuft. Das Scheitern lässt die Protagonisten nahbarer, realistischer und menschlicher erscheinen. Mit der Tiefgründigkeit der Figuren hat mich Lunde sehr beeindruckt.

Lundes Schreibstil ist nicht weniger beeindruckend. Sie kombiniert eine einfache, zugängliche Sprache mit einem unaufdringlich bildhaften Stil. Sie schlägt leise Töne an und zaubert mit ihren Metaphern subtile Parallelen zwischen den drei Erzählsträngen. Das Tempo ist meist ruhig und bedächtig. Mit gut getimten Cliffhangern erhöht sie den Spannungsbogen, sodass man sich schnell und unbewusst in der Geschichte verliert. Die Atmosphäre ist oft nachdenklich und melancholisch, ohne zu deprimierend zu werden. Sie behandelt gleichermaßen Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als auch zwischenmenschliche Beziehungen. Die Verbindung aus Lundes Sprachgewandtheit mit der Ernsthaftigkeit der Themen hat mich ehrlich begeistert.

Es gibt lediglich einen Bruch in dieser Atmosphäre, den ich als kritikwürdig erachte. Im Erzählstrang von William gibt es eine Rückblende, die dermaßen verstörend und grenzüberschreitend ist, dass ich kurz dachte, ich würde hier Stephen King lesen. Diese kurze, aber durchaus psychotische und perverse Szene wirkt so deplatziert, dass ich manche Sätze zweimal lesen musste, um sicherzugehen, dass mein Kopf mir keinen Streich spielt. Diese Stelle wirkt so deplatziert und hätte meiner Meinung nach entschärft oder gestrichen werden können. Das war auch der Moment, ab dem ich Ekel für William empfunden habe. Kurzum, diese Szene hat das nahezu perfekte Buch versaut.

Was jedoch gut funktioniert, sind die Bienen als Leitmotiv, die den drei Erzählsträngen übergeordnet sind. Lunde hat wirklich ausgezeichnet recherchiert und hebt einige Aspekte über Bienen hervor, die auch ich als Biologie-Studentin noch nicht wusste. Es wird die Hierarchie einer Bienenkolonie beschrieben, der Aufbau eines Bienenkorbes sowie das Artensterben. Es wird eine Verbindung zwischen Mensch und Biene hergestellt, und das nicht nur auf inhaltlicher Ebene. So erinnert auch Williams familiäres Umfeld an eine Bienenkolonie mit einem Matriarchat, in der die Arbeiterinnen ausschließlich weiblich sind, während die wenigen Männchen nichts zum Überleben beitragen, sondern lediglich der Reproduktion dienen. Diesem Roman gelingt es mit Leichtigkeit, gleichermaßen zu bilden wie zu unterhalten.

Am Ende kommen alle Erzählstränge indirekt zusammen und man erfährt, wie das Leben des Einen den Anderen beeinflusst hat. Diese Verbindungen basieren auf der Leidenschaft für Bienen. Lunde führt die drei Stränge geschickt und schlüssig zusammen, sodass kaum Fragen offen bleiben. Das Schicksal der Bienen ist eng verknüpft mit dem Schicksal der Menschen. Noch liegt es in unserer Hand, wie wir mit existenzbedrohenden Krisen wie dem Klimawandel, dem Artensterben und Umweltverschmutzungen umgehen wollen. Trotz aller Ernsthaftigkeit ist der Abschluss versöhnlich und hoffnungsvoll.

Fazit

Insgesamt ist Maja Lunde mit „Die Geschichte der Bienen“ ein eindrucksvoller Roman gelungen, der mit einem einfühlsamen Schreibstil, tiefgründigen Figuren und existenziellen Fragen brilliert. Die Rolle der Bienen in der Geschichte der Menschheit wird spannend aufbereitet und erweitert ganz nebenbei noch das Allgemeinwissen. Es steckt spürbar viel Herzblut in der Geschichte und für mich hatte das Buch Potenzial, zu einem Highlight zu werden. Lediglich diese eine sehr verstörende Szene plus eine weitere, deren Sinn ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, trüben das Bild. Dadurch bekommt diese sonst so honigsüße Lektüre einen bitteren Beigeschmack. Deswegen gebe ich „Die Geschichte der Bienen“ aus dem Jahr 2017 vier von fünf Federn. Wenn ihr euch für ökologische Themen interessiert, solltet ihr dieses Buch definitiv lesen. Vielleicht werde ich in Zukunft noch weitere Bücher von Lunde lesen.