Relax

Relax
28. Mai 2022 0 Von lara

Das Hirn matschig von Drogen

Meine zweite Mai-Rezension 2022

Für dasselbe Uni-Seminar, für das ich bereits „Der Fänger im Roggen“ lesen musste, musste ich nun auch „Relax“ von Alexa Hennig von Lange lesen. Der postmoderne Adoleszenzroman erschien 1997, wobei er vielmehr als Drogenroman zu verstehen ist. Zugegeben, das Werk hatte schon von vorneherein einen schlechten Stand, da ich hierfür ein Buch von einer meiner Lieblingsautorinnen unterbrechen musste. Dennoch: Alexa Hennig von Lange gehört neben anderen Jungautorinnen der 1990er-Jahre zum sogenannten literarischen Fräuleinwunder, die allesamt mit ihren Werken Erfolge feiern konnten.

Inhalt

Typisch für einen Adoleszenzroman steht der Inhalt eher im Hintergrund. Dennoch auch hier ein grober Abriss: „Relax“ spielt in Berlin an einem Wochenende im Frühjahr der späten 1990er. Der junge Mann Chris vertreibt sich seine Zeit mit Feiern in Diskotheken und hemmungslosem Drogenkonsum, um den Kater danach bei seiner Freundin, die er stets nur als seine Kleine bezeichnet, zu verbringen, mit der er gelegentlich auch Sex hat.
In der zweiten Hälfte des Romans wird erneut vom selben Wochenende erzählt, dieses Mal aber aus der Perspektive der Kleinen.

Cover

Das Cover ist insofern ungewöhnlich, dass es tatsächlich die Autorin selbst abbildet. Das habe ich abseits von Biografien und Sachbüchern auch noch nicht so erlebt. Offenbar versucht man „Relax“ mehr durch die Autorin selbst, als durch den Inhalt zu verkaufen, was bei ihrem Bekanntheitsgrad, verglichen mit der allgemeinen Rezeption des Buches, verständlich ist. Hennig von Lange sitzt im Profil vermutlich draußen, da man im Hintergrund verschwommen Gebüsch erkennen kann. Man sieht nur ihren Oberkörper und ihren Kopf im Profil. Sie hat rötlich lockige Haare und viele Sommersprossen im Gesicht. Sie trägt ein schwarzes Tanktop. In ihrer rechten Hand hält sie zwischen Zeige- und Mittelfinger eine Zigarette. Mit dem Daumenrücken streicht sie sich über ihre leicht geöffneten Lippen. Ihre Augenbrauen schreien geradezu nach den späten 90ern oder frühe 2000er: Eine lange, dünne Linie, die noch einmal mit Liner nachgezogen wurde. Es ist noch nicht klar, warum man die Autorin hier abgebildet hat, da „Relax“ zwar von ihr ist, es aber nicht von ihr handelt. Oder vielleicht doch?

Kritik

„Mann.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, der zwar überhaupt nichts verrät, aber schon ein Indikator für die stakkatohaften Sätze und den Minimalismus ist, die einen auf den nächsten über 300 Seiten erwarten. „Relax“ ist in zwei Teile mit je drei Kapiteln unterteilt. Damit ist jedes Kapitel also im Schnitt mehr als 50 Seiten lang. Die erste Hälfte wird aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Chris im Präsens erzählt, die zweite Hälfte aus derselben Perspektive von seiner Kleinen. Es ist abstrus, aber Chris‘ Freundin bekommt das gesamte Buch über keinen Namen zugeteilt. Er gibt ihr die ganze Zeit frivole Kosenamen, zum Beispiel „Ficksau“, sie bezeichnet sich logischerweise immer nur als „Ich“. Warum Hennig von Lange offensichtlich absichtlich einer Hauptfigur keinen Namen gibt, lässt sich nur mutmaßen. Die Autorin selbst passt erstaunlich gut auf die äußerliche Beschreibung der Kleinen. Zudem deuten einige Aussagen von ihr in Interviews darauf hin, dass die Autorin hierbei sehr persönliche Erlebnisse verarbeitet. Der Name der Namenlosen ist also vermutlich Alexa. Dennoch liest sich „Relax“ schon dadurch komisch, weil die ganze Zeit forciert um diesen Namen herum geschifft wird. Dies ist aber nur eine von vielen Sonderbarkeiten, die das Buch bereithält.
Über den Protagonisten Chris weiß man wenig. Er soll längere schwarze Haare, ein großes Tattoo und, laut seiner Kleinen, eine Wampe haben. Er spricht nie von einem Beruf, dem er nachgeht und es wird auch kein konkretes Alter genannt. Anhand einer Aussage Hennig von Langes weiß man aber, dass er Anfang 20 ist. Auch über seine familiäre Herkunft erfährt man fast nichts. Was man vor allem weiß, ist eine Sache: Chris ist drogensüchtig. Egal welche Substanz. Er raucht, trinkt Alkohol, kifft, kokst und nimmt Ecstasy. Am besten alles auf einmal. Er trifft sich mit seinen Dealern, konsumiert mit seinen Freunden, geht in einem Club feiern und schläft den Kater dann bei seiner Freundin aus. Seine Gedanken kreisen also monoton um Drogen, Sex, Essen und den Toilettengang. Das war es. Die Dialoge, die er mit seinen Mitmenschen führt, sind unbeschreiblich stumpfsinnig. Chris fehlt scheinbar jede Erziehung, eine Menge Vokabular und Empathie. Er macht grammatikalische Fehler wie „wegen dem“, schafft es meist kaum Treppen zu laufen und fängt regelmäßig Streit an. Als er beispielsweise, vollgepumpt mit Drogen, auf der Straße vor der Wohnung seiner namenlosen Freundin sitzt, und versucht erst einmal klarzukommen, fragt ihn ein fremder Mann, ob alles in Ordnung sei und ob er Hilfe brauche. Chris denkt sich dabei „Dann auch noch diese Kann-ich-dir-helfen?-Sozi-Nummer. […] Wahrscheinlich musste er den Schwanz von seinem Alten lutschen!“ Man merkt, Chris ist weder intelligent noch sympathisch, und es ist wirklich eine Qual ihn fast 150 Seiten lang beim „Denken“ zu verfolgen. Sein Gehirn ist von den ganzen Drogen einfach völlig matschig. Man weiß auch nicht, wie und warum er in diese Lebensverhältnisse geraten ist, deswegen gibt es hier nicht einmal Mitleidspunkte.
Auch seine Beziehung zu seiner Kleinen ist nicht „wunderbar anrührend“, wie es im Klappentext steht, sondern absolut toxisch. Er sexualisiert sie nahezu die ganze Zeit und gibt ihr perverse Spitznamen wie „Mein kleines Mösenbecken“ oder eben „Ficksau“. Er sagt, sie sei blass und habe „keine Titten“, aber „Auf Pille kann die ohne Ende ficken.“ Sehr romantische Basis also. Sie ist ihm gegenüber maximal devot. Er schnipst, sie springt. Er sagt „Hunger!“, und sie läuft los und holt ihm Essen. Er sucht seine Zigaretten, sie steckt ihm eine in dem Mund und reicht ihm direkt auch noch das Feuer. Und was bekommt sie zurück? Nichts! Kein einziges Mal bedankt sich Chris bei ihr oder sagt ihr etwas Liebevolles. Sie hingegen liebt ihn sehr, tut alles für ihn, sorgt sich um ihn, wenn er am Wochenende feiern geht und Drogen nimmt. Allerdings nimmt sie selbst auch Drogen mit und ohne Chris. Er liebt sie aber offenbar nicht. Er schätzt sie als schnell verfügbare Sexualpartnerin und praktische Dienerin, aber sobald es zu Konflikten oder Missverständnissen kommt, ist Chris sofort genervt von ihr und haut ab. Diese Beziehung ist also nicht „schreiend komisch“, sondern bloß erschreckend. Wenn die Kleine meine Freundin wäre, würde ich ihr dringend raten, diesen Kerl sofort abzuschießen, bevor er ihr Leben völlig ruiniert. Der Glaube daran, einen Drogenabhängigen durch Liebe und Zuneigung heilen zu können, ist eine Illusion, denn eine Suchterkrankung muss professionell psychiatrisch behandelt werden. Diese einseitige Liebesbeziehung zu beobachten, löst in einem nur Abneigung und Fremdscham aus, vor allem, weil kein bisschen nachvollziehbar ist, was die Kleine an der gescheiterten Existenz Chris findet.
Der Schreibstil ist leider auch grässlich, weil er sich eben an einen Junkie mit fünf Synapsen anpassen muss, wobei die zweite Hälfte aus der weiblichen Perspektive etwas weniger schlimm ist, wenn auch nicht angenehm. Die Sprache ist banal, obszön und repetitiv, so vergeht fast keine Seite, in der nicht das Wort „Original“, ober bei der Kleinen „Monsieur“, fällt. Das erinnert ein wenig an „Der Fänger im Roggen“ von Salinger, wo Holden auch ständig Worte wiederholt. Außerdem sind die Jugendsprache und Drogenslang bei „Relax“ auch schon in die Jahre gekommen. So sind Begriffe wie „fickrig“ für sexuell erregt oder „rattern“ für masturbieren heute kaum noch geläufig. Das Tempo ist rasant. Es werden Handlungsbeschreibungen ausgelassen, die Dialoge sind reine Schlagabtausche, die aber keinen Humor besitzen, sondern meist nur stumpfsinnig sind. Kurzum, stilistisch haben wir hier eine mittelschwere Katastrophe. Natürlich geht es Hennig von Lange hier auch stark darum zu provozieren und anzuecken, aber das ist einfach nur ein billiges Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren. Hedonistische Werke gibt es wie Sand am Meer und wenn man bedenkt, dass „Unter Null“ von Ellis schon 1985 erschienen und wesentlich erschütternder ist, zeichnet das „Relax“ nicht gerade aus.
Das wohl größte Problem an dem Drogenroman ist jedoch, dass er keinen inhaltlichen Mehrwert besitzt. Die Geschichte zieht sich durch einen wirren Rausch, nach dem man einfach nur Kopfschmerzen hat. Eine banale Alltagsszene reiht sich an die nächste. Nichts ist von Bedeutung, nichts eröffnet neue Blickwinkel. Bis auf das Ende, das eindeutig noch das beste an „Relax“ ist, und das in doppelter Hinsicht. Dabei bleibt das Ende relativ offen und lässt Raum für Interpretationen.

Fazit

Ich habe es ja schon auf Instagram angekündigt, aber „Relax“ ist wirklich das schlechteste Buch, das ich seit Langem gelesen habe. Dazu muss ich aber sagen, dass Drogenromane allgemein bei mir schlechte Karten haben und ich für dieses Buch auch das Fantasybuch unterbrechen musste, das ich lieber gelesen hätte. Hennig von Lange sagte in einem Interview, in „Relax“ ginge es um „zwei Menschen, die nicht zueinander finden, obwohl sie zusammen sind“. Das klingt erst einmal gar nicht so schlecht. Dass es dabei aber um einen Drogensüchtigen und ein namenloses, neurotisches und naives Mädchen geht, das gekonnt alle Reg Flags übersieht, die ihr förmlich ins Gesicht geschlagen werden, hat leider niemand vorher gesagt. Die Sprache ist plump, vulgär und repetitiv. Man kann aus diesem Adoleszenzroman aus dem Jahr 1997 nichts anderes herauslesen, als eine Anleitung, wie man seine Existenz an die Wand fährt und in Bedeutungslosigkeit untergeht, bzw. wie man nicht leben sollte. „Relax“ hat vor allem keinen Mehrwert, weshalb ich es als reine Zeitverschwendung empfunden habe. Bis zuletzt fehlte mir der Zugang zu diesem Werk über Antihelden und Druffis. Deswegen kann ich Alexa Hennig von Langes Debüt nur eine von fünf Federn geben. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein schlechtes Buch auch noch keinen schlechten Autor, aber freiwillig werde ich wohl kaum noch etwas von dieser Frau in die Hand nehmen.