Die Therapie
Das Debüt des Thrillerkönigs
Meine dritte April-Rezension 2022
Letztes Jahr habe ich leider versäumt, den obligatorischen Fitzek zu lesen. Das ist insofern tragisch, als dass der deutsche König des Thrillers jedes Jahr mindestens ein neues Buch veröffentlicht. Wer also nicht regelmäßig eines seiner Werke liest, wird kaum hinterher kommen. Habe ich seine Thriller bisher recht querbeet gelesen, werde ich ab jetzt versuchen, die Bücher in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Deswegen habe ich seinen Debütroman „Die Therapie“ aus dem Jahr 2006 gelesen. Der Psychothriller sorgte postwendend für Fitzeks Durchbruch. Für viele Fans ist dieser Psychothriller nach wie vor der Liebling unter Fitzeks Werken. Meine Erwartungshaltung war demnach entsprechend hoch.
Inhalt
Der 43-jährige Dr. Viktor Larenz führt als Psychotherapeut ein komfortables Leben mit seiner Frau Isabell und seiner 12-jährigen Tochter Josephine, kurz Josy, in Berlin. Doch seine Tochter ist chronisch krank. Oft geht es ihr zu schlecht, um zur Schule zu gehen. Sie hat schon viele Arztbesuche hinter sich, dennoch konnte bislang niemand eine Diagnose stellen. Dann verschwindet Josy plötzlich aus der Praxis eines Allergologen. Viktor ist sich sicher, dass seine Tochter entführt wurde. Die Polizei findet allerdings keine Hinweise, und so bleibt sie jahrelang verschollen. Dies belastet Viktor so schwer, dass er letztendlich in der geschlossenen Psychiatrie landet. Während seiner Therapie soll er sich mit den Erinnerungen an Josy und ihrem Verschwinden konfrontieren, denn es scheint, als würde Viktor etwas sehr Wichtiges verdrängen.
Cover
Von „Die Therapie“ gibt es inzwischen verschiedene Cover. Das bekannteste ist wohl das aktuelle, auf dem hinter Milchglas auf der rechten Seite die dunkelblaue Silhouette eines Armes ist, der die Finger auf die Scheibe legt. Die Hand ist noch klein wie die eines Kindes. Der lange Ärmel und der Teil der Hüfte deuten darauf hin, dass das Kind ein Kleid trägt, also vermutlich ein Mädchen ist. Wahrscheinlich soll sie Josephine darstellen, die verschwundene Tochter. Von allen Covern, die es von „Die Therapie“ gibt, finde ich das aktuelle am besten. Es ist unspektakulär, hat aber eine klare Linie und eine gute Farbwahl.
Kritik
„Als die halbe Stunde verstrichen war, wusste er, dass er seine Tochter nie wiedersehen würde.“, ist der erste Satz des Prologs. Der Leser wird direkt in die Handlung hinein geworfen. Josephines Verschwinden ist unmittelbar erfolgt, der Protagonist Viktor ist vor Schreck erstarrt, um dann mehr als merkwürdig zu reagieren. Sowohl die Angestellte der Praxis, als auch der Arzt selbst beteuern, dass Josy die Praxis nicht betreten und sie keinen Termin gehabt hätte. Viktor behauptet das Gegenteil und erntet damit umgehend die Skepsis der Leserschaft, denn offenbar ist der Protagonist psychotisch.
Auf annähernd 350 Seiten mit Prolog, 60 Kapiteln und Epilog führt ein auktorialer Erzähler durch die Geschichte, in der er Realität und Halluzination geschickt verwischt, sodass der Leser selbst nicht weiß, was man glauben oder wem man trauen kann. Diese knappen, stakkatohaften Kapitel sind allgemein typisch für Thriller, Fitzek treibt es hier jedoch an die Spitze.
Dr. Viktor Larenz ist ein Mann mittleren Alters und von hoher Bildung. Er wird als gepflegter Mann mit einem breiten Kreuz und einem für sein Alter gut trainierten Körper beschrieben. Seit dem Verschwinden seiner Tochter fühlt er sich nicht länger dazu in der Lage, seine Psychotherapie-Praxis weiterzuführen und verkauft sie. Von Anfang an wirkte er auf mich verdächtig. Ich hatte das unmittelbare Gefühl, dass er etwas mit Josys Krankheit und Verschwinden zu tun hat. Doch eine plausible Erklärung für mangelnde Beweise und Zeugen hatte ich nicht. Als direkt zu Beginn erläutert wird, dass Josy krank ist, aber dass die Ärzte nichts finden, kam mir sofort ein Gedanke: Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Es ist das Erfinden oder Verursachen einer Krankheit bei Dritten, oft Kindern. Die Täter sind zu 90% Frauen, meist die leiblichen Mütter. Dabei ist doch Viktor der psychisch Angeschlagene, oder vielleicht doch nicht?
Man verstrickt sich hier also schnell in Hypothesen, um diese merkwürdigen Zusammenhänge irgendwie zu erklären. Der Plot entwickelt sich schnell in eine Richtung, mit der man nicht rechnet. Zudem gibt es hier eine interessante Binnenerzählung. Einerseits liegt Viktor in einer geschlossenen Psychiatrie fixiert in einem Bett. Um dort zu landen, muss man schon mehr getan haben, als ein wenig verrückt zu sein. Er muss ein schweres Verbrechen begangen haben. Nur welches? Hat er selbst etwas mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun? Hat er letztendlich den Täter gefunden und ihn zur Strecke gebracht? In der Psychiatrie unterhält sich Viktor mit dem behandelnden Oberarzt Dr. Roth. Er erzählt dem Psychiater, wie er herausgefunden hat, was mit seiner Tochter passiert ist. Damit führt uns der Protagonist in die erste Binnenerzählung auf die fiktive Nordseeinsel Parkum. Innerhalb dieser Erzählung liest er unter anderem einen Ausschnitt aus einem Buch, was wiederum eine neue Binnenerzählung eröffnet. Es geht hier also bis in die Metadiegese. Dabei jedoch einen auktorialen Erzähler zu verwenden, der eben auch Dinge beschreibt, die Viktor nicht sieht oder bemerkt, wie beispielsweise das Verwehen von Fußspuren vor seinem Haus, macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn. Es ist ungeschickt, eine Binnenerzählung auktorial aufzubauen, da hier Informationen offenbart werden, von denen der ans Bett gefesselte Viktor nichts wissen und deswegen auch nicht Dr. Roth erzählt haben kann. Ein klarer stilistischer Bruch, der daran erinnert, dass dies das Debüt eines einst laienhaften Autors ist.
Die Sprache ist wie gewohnt einfach, lässt sich leicht lesen, geht bei brutalen Szenen aber auch nüchtern ins Detail. Das Tempo ist rasant, der Spannungsbogen nimmt kontinuierlich zu. Schon am ersten Abend hatte ich fast 100 Seiten gelesen. Das flaut dann in der zweiten Hälfte minimal ab.
Das Finale ist eher verwirrend als fesselnd. Bei der Auflösung bin ich zwiegespalten. Ich konnte sie teilweise vorhersehen, teilweise auch nicht. Doch vor allem ist sie unbefriedigend. Als Leser fallen einem immer wieder kleinere Details auf, über die man sich abseits des Buches noch das Hirn zermartert. Und dann wird das Ganze so uninspiriert gelöst. Auch dieser ausgelutschte Sturm, der einen nicht mehr von der Insel kommen lässt, ist so ein typisches Thriller-Klischee, von dem ich spätestens seit „Abgeschnitten“ mehr als genug gelesen hatte. Kurzum, ich hatte mir von diesem Debüt mehr erhofft.
Fazit
„Die Therapie“ von Sebastian Fitzek ist ein guter Psychothriller, der mich leider nicht gänzlich überzeugen konnte. Er ist spannend, verworren und lässt einen dauerhaft miträtseln. Die von einem auktorialen Erzähler berichtete Binnenhandlung, Thriller-Klischees und vor allem die unterschiedlich starke Auflösung, schwächt meine Meinung von diesem Psychothriller doch etwas. Von meinem absoluten Favoriten „Die Chemie des Todes“ ist „Die Therapie“ leider weit entfernt. Dennoch ist es lesenswert, wenn man über manche Makel hinwegsehen kann. Deswegen gebe ich Fitzeks Debüt aus dem Jahr 2006 drei von fünf Federn. In Zukunft werde ich weitere Thriller von Fitzek lesen, aber vorerst habe ich genug davon.