Selection

Selection
15. Juni 2021 0 Von lara

Die Tribute von Panem meets The Bachelor

Meine dritte Juni-Rezension 2021

Als literarisches Trash-TV wurde „Selection“ von Kiera Cass schon bezeichnet, von vielen Buchbloggerinnen aber auch als eine der liebsten Jugendbuchreihen. Da nun so langsam die nächste Prüfungsphase auf mich zukommt, wollte ich ohnehin etwas leichtere Kost lesen. Der erste Band „Selection“ der Pentalogie erschien 2013 und ist ein dystopisches Jugendbuch mit einer Liebesgeschichte, so wie ich es schon von „Die Tribute von Panem“, „Cassia & Ky“, „Die Bestimmung“, der Amor-Trilogie oder der Gaia Stone-Trilogie kenne. Ich war also skeptisch, ob mir diese Reihe noch etwas Besonderes bieten konnte.

Inhalt

Die 17-jährige America Singer lebt in unbekannter Zukunft in der Provinz Carolina des fiktiven Königreichs Illeá mit ihren Eltern und ihren zwei jüngeren Geschwistern May und Gerad in einem kleinen Haus. Ihre Lebensumstände könnten besser sein, denn sie und ihre Familie sind im Kastensystem ihrer Regierung eine Fünf, also die untere Mittelschicht. Oft gibt es nicht genug zu essen, und das Geld ist auch immer knapp. Trost spendet America ihr Freund Aspen Leger, mit dem sie sich aber nur heimlich treffen darf, weil er einer niedrigeren Kaste angehört. Als die Familie Singer dann ein Brief erreicht, in dem America zu einem Casting eingeladen wird, weil der Prinz des Königreichs, Maxon Schreave, nun im heiratsfähigem Alter ist, ist die Freude groß. Sollte America es tatsächlich schaffen Prinzessin zu werden, könnte sie ihre Familie so aus der Armut befreien. Doch eigentlich möchte sie viel lieber Aspen heiraten als irgendeinen wildfremden Schnösel.

Cover

Dass ich mir diese Reihe zugelegt habe, lag nicht zuletzt am mädchenhaften Cover. Zu sehen ist eine junge Frau im türkisfarbenen Kleid mit Prinzessinnenschnitt, das schichtenweise Tüll aufweist. Sie steht seitlich zur Kamera, hat ihren Kopf aber in diese Richtung gedreht und hält ihren linken Arm an ihren Hinterkopf, sodass ihr Gesicht teilweise verdeckt ist. Ihre rechte Hand hält sie vorne an den Rock ihres Kleides gedrückt. Ihre blauen Augen und ihre roten Haare deuten darauf hin, dass sie die Protagonistin America ist. Im Hintergrund stehen Spiegel, in dem Lichtreflexe aufblitzen und America noch vier Mal aus verschiedenen Winkeln zu sehen ist. Unter den Covern, auf denen irgendein Mädchen abgebildet ist, sticht dieses aufgrund seiner Extraportion Dekadenz klar hervor.

Kritik

„Meine Mutter war völlig ekstatisch, als wir den Brief bekamen.“, ist der erste Satz des ersten von insgesamt 25 Kapiteln. Die Geschichte beginnt also direkt mit dem Brief des Königshauses, der Americas Leben komplett umkrempeln wird. Wie man am ersten Satz erkennt, erzählt die Protagonistin America Singer aus der Ich-Perspektive im Präteritum. Mit über 350 Seiten hat „Selection“ eine durchschnittliche Länge für ein Jugendbuch.
America ist das mittlere Kind ihrer Eltern Magda und Shalom, jedoch ist sie das älteste Kind, das noch bei ihren Eltern wohnt. Sie lebt in einer Künstlerfamilie, die deswegen der Kaste Fünf angehört. Ihre Mutter ist Musikerin, ihr Vater Maler. Seit Kurzem hat America keinen Privatunterricht mehr, sondern unterstützt ihre Familie als Musikerin finanziell mit. Sie kann singen und verschiedene Instrumente wie Klavier oder Violine spielen. America hat lange rote Haare und blaue Augen. Aufgrund ihrer sozialen Herkunft ist sie sehr schlank und blass. Sie ist temperamentvoll, rebellisch und dickköpfig. Außerdem kann sie berechnend sein, entschuldigt sich aber auch bei ihren Mitmenschen, wenn sie einen Fehler gemacht hat. Dennoch hat sie Selbstzweifel, vergleicht sich gerne mit anderen Mädchen und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht so hübsch ist wie diese. Ihre Gedanken und Gefühle konnte ich oft nachvollziehen, aber nicht immer. Insgesamt ist sie eine starke und authentische Frauenfigur, mit der sich die Zielgruppe gut identifizieren kann.
In welchem Jahr genau America lebt, geht aus den Informationen im Buch bislang nicht hervor, jedoch sind es schätzungsweise einige Jahrhunderte in der Zukunft, da erwähnt wird, dass der Vierte Weltkrieg bereits vergangen sei. Das neu entstandene Königreich Illeá liegt dort, wo heutzutage die USA liegen, da America beispielsweise aus der Provinz Carolina kommt, wie der gleichnamige US-Bundesstaat, oder der Palast sich in der Stadt Angeles, eine Anspielung an Los Angeles, befindet. Doch es gibt nicht nur eine aus dem Boden gestampfte Monarchie, sondern auch neue Gesetze. So gibt es zum Beispiel eine Ausgangssperre, die das nächtliche Verlassen des Hauses unter Strafe stellt. Es ist den Einwohnern zudem nicht gestattet vor der Eheschließung Geschlechtsverkehr zu haben. Auch das Internet scheint es nicht mehr zu geben, sodass ganz altmodisch Briefe geschrieben werden. America selbst beschreibt die Gesetzeslage so: „Doch all diese Vorschriften waren beengend. Es kam mir vor, als würde ich von unsichtbaren Ketten gefesselt und bekäme keine Luft mehr.“
Die wohl größte gesellschaftliche Einschränkung ist das Kastensystem Illeás. Ähnlich wie in Indien oder Sri Lanka, gehören Menschen, je nach sozialem Stand einer bestimmten Kaste an. In „Selection“ werden diese numerisch von Eins bis Acht einkategorisiert, wobei Eins der höchste Rang ist, so wie die Königsfamilie, und Acht der niedrigste, zu dem beispielsweise Obdachlose gehören. Ein Auf- oder Abstieg in eine andere Kaste ist möglich, wenn man seinen Beruf wechselt. So sind Soldaten oder Polizisten zum Beispiel eine Zwei. Eine Heirat zwischen zwei verschiedenen Kasten ist nur möglich, wenn die Eltern des Brautpaares zustimmen. Viele Eltern wollen aber vor allem ihre Töchter nicht in eine niedrigere Kaste, sondern lieber in eine höhere einheiraten. Somit werden Töchter mal gerne Mittel zum Zweck und büßen viel Emanzipation ein. Das Kastensystem, wie man es vorzugsweise aus Indien kennt, gibt es dort offiziell nicht mehr. Es wird in der Gesellschaft aber teilweise noch gelebt, da ein Nachname Rückschlüsse auf die ursprüngliche Kaste zulässt. Dass dieses System nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch nicht sinnvoll ist, weil diese Endogamie vermehrt zu Erbkrankheiten führt, macht es umso unrealistischer, dass es in Zukunft so einen offensichtlichen Rückschritt geben wird. Eine Monarchie mit Kastensystem ohne Internet ist somit kein glaubwürdiges dystopisches Setting.
Da andere Rezensenten immer wieder den Vergleich zwischen „Selection“ und „Die Tribute von Panem“ genannt haben, hat mich interessiert, welche Parallelen es zwischen den beiden Buchreihen gibt. Und tatsächlich gibt es eine ganze Menge. Nicht nur das dystopische Setting im Gebiet der USA, bei dem die Gesellschaft sozial entweder in Distrikte oder Kasten unterteilt wird, sondern auch eine jugendliche, rebellische und mutige Protagonistin, die aus armen Verhältnissen kommt und viel Verantwortung übernehmen muss, gibt es in beiden Reihen. Zudem heißen die Hauptstädte in beiden Fällen Kapitol, beziehungsweise Capitol. Hinzu kommt eine Dreiecksbeziehung zwischen einem Kindheitsfreund und einem neuen Bekannten sowie natürlich, dass der Plot sich hauptsächlich um ein großes Event dreht, bei dem die ganze Nation zusieht und dessen Sieg entscheidend für die Protagonistin ist. In dieser Hinsicht erfindet „Selection“ das Rad also definitiv nicht neu, was nicht zwingend schlimm ist, wenn es sich dennoch in anderen Punkten abhebt. Um dies zu beurteilen, reicht der erste Band jedoch nicht aus.
Die Sprache ist recht einfach, der Schreibstil solide und flüssig. Auf viele Details wird verzichtet und auch unspektakuläre Tage werden überflogen, sodass das Tempo recht zügig ist. Es gibt gewiss bessere Stile, aber definitiv auch schlechtere. Der Spannungsbogen wird kontinuierlich gehalten, weshalb ich das Buch teilweise stundenlang am Stück gelesen habe.
Das Ende bemüht sich, noch einmal an Fahrt aufzunehmen und bietet einen Plottwist sowie eine große Entscheidung, ist aber auch nicht sonderlich nervenaufreibend. Im Großen und Ganzen bin ich angefixt genug, um die Fortsetzung lesen zu wollen.

Fazit

Ja, „Selection“ ist tatsächlich ein wenig wie Trash-TV. Urlaub fürs Gehirn, aber auch sehr unterhaltsam. Sieht man darüber hinweg, dass das dystopische Setting unrealistisch ist und eindeutig nicht die Krone der Gesellschaftskritik bietet sowie die offensichtlichen Parallelen zu „Die Tribute von Panem“, macht das Jugendbuch aus dem Jahr 2013 wenig falsch. Zwischendurch habe ich zwar gemerkt, dass ich nicht mehr in die weibliche Teenager-Zielgruppe passe, das hat aber eher selten gestört. Deswegen gebe ich dem ersten Band der Selection-Pentalogie von Kiera Cass gerade noch vier von fünf Federn. Ich freue mich schon auf den zweiten Band „Selection – Die Elite“.