Die Stadt der besonderen Kinder

Die Stadt der besonderen Kinder
15. März 2021 0 Von lara

Miss Peregrines Fluch

Meine März-Rezension 2021

Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen möglichst viele Bücher zu lesen, die ich ungelesen zu Hause habe, und möglichst wenig neue Bücher zu kaufen. Denn wenn ich auf meinen Stapel ungelesener Bücher blicke, sind darunter einige Kandidaten, die schon seit gut drei Jahren darauf warten, von mir gelesen zu werden. Dazu gehört auch „Die Stadt der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs, dem zweiten Band der Jugendbuchreihe „Die besonderen Kinder“. Damals habe ich mir den ersten Band in einer Buchhandlung in Oberhausen gekauft. Den zweiten und dritten Band habe ich dann ein paar Monate später nachbestellt, weil ich dachte, dass es sich bei der Reihe um eine Trilogie handle. Tatsächlich hat diese aber sechs Bände, von denen bislang fünf auf Deutsch erschienen sind. „Die Stadt der besonderen Kinder“ wurde 2016 auf Deutsch veröffentlicht.

Inhalt

Nachdem das Waisenheim auf Cairnholm vom deutschen Militär zerbombt und die Zeitschleife aufgelöst wurde, kann Jacob Portman nicht mehr in seine eigene Welt zurückkehren. Stattdessen macht er sich im September 1940 mit neun weiteren besonderen Kindern auf die Suche nach einer Möglichkeit, die Heimleiterin und sogenannte Ymbryne Miss Peregrine aus ihrer Gestalt als Wanderfalken in einen Menschen zurück zu verwandeln. Die Spuren führen sie nach London, doch der Weg dorthin ist beschwerlich und voller Gefahren. Denn sie werden einerseits von sogenannten Hollowgasts und Wights gejagt sowie andererseits Zeugen der berüchtigten Luftschlacht um England im Zweiten Weltkrieg.

Cover

Auch dieses Cover zeigt eine manipulierte Schwarzweiß-Fotografie aus Riggs privater Sammlung, die dieses Mal digital einen Gelbstich erhalten hat. Darauf zu sehen ist ein Mädchen mit blondem Bobschnitt und einem dunklen, kurzärmeligen Kleid mit weißen Knöpfen und Bubikragen. Ihr Gesicht ist ausdruckslos, die Hände hängen schlaff herab. Im Hintergrund erkennt man durch einen Krieg zerstörte Häuser und verstreuten Schutt. Das Auffälligste ist jedoch das kreisrunde Loch im Oberbauch des Mädchens, durch den man auf den Schutthaufen hinter ihr schauen kann. Wie schon im Vorgänger, ist auch dieses Foto Teil der Geschichte und wird näher beschrieben: „Noch seltsamer war, dass ihre Wunde nicht einmal blutete, es war auch kein geronnenes Blut zu sehen oder heraushängende Eingeweide , wie ich es aus Horrorfilmen kannte. Stattdessen sah Sam aus wie eine Papierpuppe, in die ein Loch gestanzt worden war.“ Im Original sind die Cover übrigens fast identisch, nur fehlen der Farbstich und die Verschnörkelungen in den Ecken.

Kritik

Zu Beginn ist mir direkt bei der Widmung etwas aufgefallen. Diese lautet nämlich „Für Tahereh“, ein außergewöhnlicher Vorname, der mir doch bekannt vorkam. Gemeint ist mit der Widmung Tahereh Mafi, die seit 2013 Riggs Ehefrau ist. Mir sagte der Name allerdings deshalb etwas, weil sie ebenfalls eine Jugendbuch-Autorin ist, die in Deutschland mit ihrer „Shatter Me“-Trilogie bereits kleinere Erfolge verbuchen konnte. 2020 veröffentlichte sie den Roman „Wie du mich siehst“, in dem es um ein muslimisches Mädchen in einer US-amerikanischen Kleinstadt geht, das unter den rassistischen Äußerungen ihrer Mitmenschen leidet. Aber das nur am Rande.
Vor dem ersten Kapitel findet sich ein Zitat aus Dantes „Göttliche Komödie“, einem epischem Gedicht aus dem 14. Jahrhundert, was bis heute zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur gehört und Italienisch als Schriftsprache begründete. In dem Zitat geht es um die Überfahrt des Flusses Styx, der in der griechischen Mythologie in der Unterwelt die Welt der Toten von den Lebenden trennt. Ein düsterer Einstieg für ein düsteres Jugendbuch.
Erstmals ist ein Buch dieser Reihe in zwei Teile unterteilt, die ungefähr gleich lang sind. Mit annähernd 500 Seiten und 13 Kapiteln ist dieser Band spürbar länger als sein Vorgänger und auch die Kapitel selbst sind verhältnismäßig lang.
„Wir ruderten aus dem Hafen, vorbei an Booten, die auf dem Wasser tanzten und rostige Tränen aus den Schweißnähten ihrer Rümpfe weinten.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, der einen ersten Einblick auf das Setting und Riggs Hang zu Personifikationen ermöglicht. Die Geschichte setzt unmittelbar nach dem abrupten Ende des ersten Bandes ein. Jacob erzählt weiterhin aus der Ich-Perspektive im Präteritum. Er wird begleitet von neun weiteren besonderen Kindern und der Heimleiterin Miss Peregrine, auf der ein Fluch liegt, weshalb sie sich nicht in einen Menschen zurückverwandeln kann.
Eines dieser besonderen Kinder ist Emma Bloom. Sie ist eigentlich 88 Jahre alt, aber da sie mit 16 Jahren in Miss Peregrines Zeitschleife geraten ist, ist sie seitdem weder physisch, noch geistig gealtert. Deswegen hatte Emma auch Abraham Portman, Jacobs Großvater, kennen und lieben gelernt, bis dieser die Zeitschleife verlassen hat. Sie hat sandfarbene, wellige Haare und grüne Augen. Jacob beschreibt sie außerdem als blasses und schönes Mädchen, in das er sich schon in „Die Insel der besonderen Kinder“ verliebt. Emma ist ein kluges, aber auch starrsinniges und aufbrausendes Mädchen, dessen besondere Fähigkeit es ist, mit ihren Händen Flammen beschwören zu können, an denen sie sich nicht verbrennt. In der Verfilmung ist ihr Charakter leider stark abgewandelt worden, sodass sie dort schweben und den Wind kontrollieren kann. Das ist vor allem deshalb schade, weil das Feuer vielmehr ihre temperamentvolle Persönlichkeit repräsentiert und dies im Film völlig verloren geht.
Im Kosmos der besonderen Kinder in ihrer Urban-Fantasywelt fallen immer wieder die Worte Ymbryne, Wight und Hollowgast, die einem als Nichtleser dieser Reihe fremd sind. Eine Ymbryne ist eine Spezialform der sogenannten Besonderen. Ymbrynes sind stets weiblich. Sie können Zeitschleifen erschaffen und sich in eine spezifische Art von Vogel verwandeln, die oft durch ihren Nachnamen offenbart wird. So kann Miss Peregrine die Gestalt eines Falco peregrinus, also einem Wanderfalken, annehmen. Miss Avocet verwandelt sich dagegen in einen Recurvirostra avosetta, einen Säbelschnäbler. Bei Miss Wren wäre es ein Zaunkönig und bei Miss Finch ein Fink. Die Ymbrynes haben es sich zur Aufgabe gemacht, Zeitschleifen zu erschaffen, um dort verstoßene Besondere großzuziehen und vor Gefahren zu schützen.
Wights sind jedoch keine guten Figuren. Sie sind weiterentwickelte Formen der Hollowgasts und sehen aus wie Menschen, abgesehen von ihren weißen Augäpfeln, da ihnen die Iris fehlt. Um unsterblich zu werden, nehmen sie jedes Risiko in Kauf und versuchen sowohl Ymbrynes als auch Besondere zu ihren Gunsten zu versklaven.
Hollowgasts, kurz Hollows, sehen dagegen nicht wie Menschen aus. Sie sind Monster mit Tentakelarmen und einer langen, starken Zunge. Diese kann jedoch nur Jacob sehen, da dies seine besondere Fähigkeiten ist. Für alle anderen sind die Hollowgasts unsichtbar und damit eine noch größere Gefahr. Hollows waren früher Menschen, bei denen ein übernatürliches Experiment fehlgeschlagen ist. Nun haben sie jede Menschlichkeit verloren und suchen nach besonderen Kindern, um sie zu fressen.
Erneut wird die Geschichte von den alten Fotos aus Riggs Privatsammlung begleitet, was mich im ersten Band begeistern konnte, Die Begeisterung lässt hier jedoch leicht nach. Man merkt immer wieder, dass zugunsten der Einbindung der Fotografien Bögen in den Plot geschlagen werden. Dadurch entsteht das Gefühl, dass sich die Geschichte an den Fotos entlang hangelt, weniger Eigendynamik hat und teilweise zu konstruiert wirkt. Auch sprachlich lässt Riggs hier minimal nach und kreiert unrunde Metaphern wie „der rauchige Atem von Regen“ oder baut Fehler ein. Im zwölften Kapitel wird beispielsweise ein Zimmer beschrieben, zu dem es auch ein Foto gibt. Zu sehen ist dort eine Wandmalerei eines männlichen Gesichts, dessen Mund aus einem in der Wand eingelassenem Wasserspender besteht. Im Buch heißt es „Rings um den Mund war auf Niederländisch ein Motto geschrieben“, das von einem Besonderen wie folgt übersetzt wird: „‚In den Mündern unserer Ältesten entspringt eine Fontäne der Weisheit.’“ Wenn man sich das Foto allerdings genauer anschaut, erkennt man erstens, dass diese Sprache nicht Niederländisch, sondern Plattdeutsch ist, und zweitens, dass der Satz übersetzt lautet: „Das ist Hans Wurst, löscht hier den Durst.“ Klar, das ist bei Weitem nicht so philosophisch wie Riggs frei gewählter Satz, aber hat er nicht darüber nachgedacht, dass die Leser sich das Bild genauer anschauen könnten? Das ist wohl der Preis, den man dafür zahlen muss, wenn man auf Biegen und Brechen Fotografien in den Plot einbinden will. Man bricht mutwillig die Atmosphäre und erntet unfreiwillige Lacher. Am schlimmsten ist jedoch ein Fehler, bei dem ich am liebsten das Buch an die Wand geworfen hätte, denn er ist mir 2017 in „Im Herzen die Gier“ von Elizabeth Miles fast genauso schon einmal begegnet. Jacob erzählt in Kapitel 12: „Seit unserer Zugfahrt nach London hatte keiner von uns etwas gegessen, und das schien Lichtjahre her zu sein.“ Alter Schwede! Ein Lichtjahr ist selbstverständlich keine Zeiteinheit, sondern die Strecke, die eine elektromagnetische Welle innerhalb eines Jahres im Vakuum zurücklegt. Demnach wäre Jacobs Zugfahrt über 9,5 Billionen Kilometer her? Sehr unwahrscheinlich, die Distanz zwischen Wales und London beträgt nämlich grob nur 350km.
Das Ende ist wieder abrupt und lässt viele Fragen offen, ohne ein klassischer Cliffhanger zu sein. Es ist aber spannend genug gewesen, um in mir die Vorfreude auf die Fortsetzung zu wecken.

Fazit

Im Vergleich zum ersten Band hat „Die Stadt der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs spürbar nachgelassen. Der Plot wirkt stellenweise zu konstruiert, es gibt sprachliche Stolpersteine und einen ziemlich peinlichen Fehler. Das ändert nichts daran, dass diese Jugendbuchreihe düster, spannend und unterhaltsam ist, weshalb ich sie dennoch gerne lese. Aufgrund der benannten Schnitzer reicht dies jedoch nicht mehr für Bestnoten, weshalb der zweite Band aus dem Jahr 2016 drei von fünf Federn erhält. Als Nächstes werde ich den Folgeband „Die Bibliothek der besonderen Kinder“ lesen.