Silber – Das erste Buch der Träume

Silber – Das erste Buch der Träume
29. November 2020 2 Von lara

Träume einen kleinen Traum

Meine November-Rezension 2020

Im Jahr 2017 habe ich die „Edelstein-Trilogie“ von Kerstin Gier gelesen und rezensiert. Zu Weihnachten bekam ich dann ihre zweite Jugendbuch-Trilogie geschenkt. Diese heißt offiziell die „Trilogie der Träume“, inoffiziell hat sich aber die Bezeichnung „Silber-Trilogie“ durchgesetzt. „Silber – Das erste Buch der Träume“ ist, wie der Titel subtil vermittelt, der Auftakt der Urban Fantasyreihe und erschien 2013 auf Deutsch. Meine Ausgaben sind in diesem wunderschönen Pappschuber. Auch die „Edelstein-Trilogie“ hatte ich in der Schuberausgabe und ich muss sagen, dass diese beiden die mitunter schönsten Buchschuber sind, die man aktuell im Buchhandel kaufen kann. Nun bin also endlich dazu gekommen die enthaltenen Bücher auch zu lesen.

Inhalt

Die 15-jährige Olivia Silber, kurz Liv, hat schon viele Umzüge miterlebt. So ist es für sie und ihre jüngere Schwester Mia auch nichts Neues, als sie nach den Sommerferien, die sie bei ihrem Vater verbracht haben, zu ihrer Mutter Ann Matthews nach England ziehen, wo diese schon seit einigen Wochen lebt. Doch anstatt wie geplant nach Oxford zu ziehen, liegt die neue Wohnung mitten in London, da Anns neuer Lebensgefährte, der Staranwalt Ernest Spencer, dort wohnt. Als Ann und Ernest Liv, Mia und seinen beiden Kindern gestehen, dass sie schon bald zusammenziehen und somit eine Patchwork-Familie gemeinsam mit Livs und Mias Kindermädchen Lottie Wastlhuber gründen wollen, steht Livs Welt endgültig Kopf. Außerdem hat sie in letzter Zeit eigenartige Träume, die sowohl surreal, als auch verstörend echt wirken und auf die sie sich noch keinen Reim machen kann. Und ganz nebenbei ist auch noch der ganz normale Schulwahnsinn an der „Frognal Academy“ zu meistern.

Cover

Eva Schöffmann übernimmt hier, wie auch schon bei der „Edelstein-Trilogie“, die Illustrationen sowohl bei den Covern, als auch beim zauberhaften Schuber. Der Hintergrund des ersten Bands ist eintönig schwarz, die Illustrationen haben weiße, rote graue und hellblaue Akzente. Der wortwörtliche Eyecatcher ist das blaue Auge mit einer feinen roten Ader auf der Iris im Zentrum des Covers. Die anderen detaillierten Illustrationen bestehen aus einem Stern, einer Eule, Ranken mit Blüten und Blättern, einer Tür, sowie einer gestreiften Echse, die ihre Zunge um einen Schlüssel gewickelt hat. Die Schuberausgabe ist dagegen rot und hat etwas weniger Illustrationen zu bieten, darunter aber auch wieder Ranken, eine Tür und einen Schlüssel. Ich liebe die Illustrationen von Schöffmann, finde es allerdings auch schade, dass die Bücher in der Schuber- und der normalen Ausgabe voneinander abweichen.

Kritik

Vor dem ersten Kapitel befindet sich ein Ausschnitt aus dem Gedicht „What if you slept?“ von Samuel Taylor Coleridge, einem englischen Dichter der Romantik, in dem es darum geht, dass Traum und Realität sich miteinander vermischen. Dies ist zentraler Bestandteil dieses Buches, wie man im Verlauf erfährt.
„Der Hund schnüffelte an meinem Koffer.“, ist der erste Satz des ersten von insgesamt 31 Kapiteln. Die Geschichte wird von der Protagonistin und Ich-Erzählerin Olivia Gertrude Silber, kurz Liv, erzählt. Sie ist 15 Jahre alt und zum Zeitpunkt des ersten Satzes mit ihrer jüngeren Schwester Mia am Flughafen in London kurz vor Ende der Sommerferien 2014, als ein Drogenspürhund bei ihrem Koffer anschlägt. Diese Szene wandelt sich schnell in eine witzige Situation um, die einen kleinen Vorgeschmack auf Giers bekannt humorvollen Stil auf den darauffolgenden über 400 Seiten bietet.
Liv, die Erzählerin, ist ein verträumtes, neugieriges, freundliches und doch leicht sarkastisch veranlagtes Mädchen, das aufgrund des Berufs ihrer Mutter Ann schon an vielen Orten der Welt gelebt hat. Ihre Eltern sind geschieden, weshalb sie zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Hund und dem deutschen Kindermädchen Lottie aufgewachsen ist. Sie ist blond, blauäugig und Brillenträgerin mit einer, nach eigener Aussage, zu großen Nase. Außerdem hat sie vor Kurzem bei sich zunehmend wachsende Brüste festgestellt, womit sie sich eindeutig mitten in der Pubertät befindet. Trotz allem ist sie ein ganz normales Mädchen mit normalen Interessen, mit der sich die Zielgruppe gut identifizieren kann.
Giers Schreibstil weiß, wie schon bei der „Edelstein-Trilogie“, zu überzeugen. Er ist einfach und locker, aber souverän. Es gibt überspitzt humorvolle Szenen, mit albernen Wortspielen und Running Gags, die gleichzeitig aber so charmant und liebevoll gestalten sind, dass sie oft gezündet haben und mich schmunzeln ließen. Auch die kleine Portion Selbstironie, die gelegentlich offenbart wird, ist auf eine ganz individuelle Art und Weise entwaffnend, sodass man sich schlichtweg unterhalten fühlt. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass auf manche Kraftausdrücke wie „Scheiße“ oder „Schlampe“ verzichtet worden und gegen etwas Originelleres und weniger Vulgäres ausgetauscht worden wären, ein Kritikpunkt, den ich übrigens schon damals bei der „Edelstein-Trilogie“ angemerkt habe.
Apropos „Edelstein-Trilogie“, es gibt merkbar viele Parallelen zwischen den beiden Trilogien. Erst einmal wäre da die weibliche Teenager-Protagonistin, das Subgenre Urban Fantasy, die Erzählperspektive, aber auch Konkreteres wie London als Handlungsort, einer wohlhabenden Patchwork-Familie im Fokus und eine enge Freundschaft zwischen der Protagonistin und einem anderen Mädchen. Bei der „Edelstein-Trilogie“ waren es Gwen und Leslie, hier ist es Liv mit ihrer Schwester Mia. Aber dass Gier damit auf Altbewährtes setzt, stört bei so einer charmanten Geschichte nicht weiter. Auch wenn es keine andauernde Spannung gibt, bleibt das Interesse erhalten und „Silber – Das erste Buch der Träume“ entwickelt sich schnell zu einem Pageturner.
Zu den typischen Jugendbuch-Elementen gehören hier primär die erste große Liebe, der Schulalltag und der Tittle-Tattle-Blog, ein Blog, in dem ein Schüler oder eine Schülerin unter dem Pseudonym Secrecy den neuesten Klatsch und Tratsch der Schule verbreiten, was den Druck nicht aufzufallen wohl noch mehr erhöht als ohnehin schon. Als kleinen Marketing-Gag gibt es diesen Blog tatsächlich und er ist bis heute noch online. Fans finden ihn unter tittletattleblog.de und können alle Blogeinträge, die ihm Buch abgedruckt sind noch einmal nachlesen.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal die wunderbaren Illustrationen loben, die sich über den Umschlag hinaus erstrecken. Auf den Seiten befinden sich am Rand wiederholend Ranken mit Blüten und Blättern. Außerdem sind die Einträge des Tittle-Tattle-Blogs tatsächlich wie Internetseiten gestaltet. Kurzum, in diesem Buch steckt wirklich viel Herzblut.
Livs Mutter ist zudem Literaturwissenschaftlerin, weshalb immer mal wieder auf Klassiker der britischen Literatur und deren Autoren angespielt werden, wie William Shakespeares „Othello“, „Das Gespenst von Canterville“ von Oscar Wilde oder „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë. Gerade für die tendenziell jugendliche Zielgruppe ist dies ein kleiner Allgemeinbildungs-Snack für zwischendurch.
Leider ist mir der Plot manchmal zu klischeebeladen und vorhersehbar, auch wenn Gier durchscheinen lässt, dass ihr dies durchaus bewusst ist. Mit kleinen atmosphärischen Brüchen und humorvollen Einwürfen kann sie dies zwar halbwegs gut kaschieren, über das eigentliche Problem aber nicht ganz hinweg täuschen. Außerdem bin ich am Ende über einen Fehler gestolpert, der wohl aus Unachtsamkeit entstand. Auf einem Schulball steht zur musikalischen Darbietung ein Streichquintett, das sich nach einer Seite wie von Zauberhand in ein Streichquartett verwandelt, aber sei es drum.
Das Ende hat mir gut gefallen. Es war spannend, überraschend und kurzweilig. Zudem ist der Plot in sich geschlossen, deutet aber auch klar auf die Fortsetzung hin, die ich als nächstes lesen werde.

Fazit

Wer in „Silber – Das erste Buch der Träume“ nach Hochliteratur sucht, hat wohl klar daneben gegriffen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn es ist eine tolle Lektüre für Mädchen im Alter von 14-18 Jahren, mit der ich aber auch noch mit meinen Mitte 20 Spaß hatte. Die Geschichte ist liebevoll gestaltet, witzig und bringt eine Prise Leichtigkeit mit, die den ersten Band der Trilogie locker flockig daherkommen lässt. Kleinere Makel, wie platte Kraftausdrücke, eine gewisse Vorhersehbarkeit und ein Kontinuitätsfehler auf dem Schulball liegen noch in einem tolerierbaren Rahmen und fallen deswegen nur ein wenig ins Gewicht. Deshalb gebe ich dem Urban Fantasy-Jugendbuch von 2013 vier von fünf Federn und freue mich schon auf „Silber – Das zweite Buch der Träume“.