Frauenpower in Büchern
Faktastischer November 2020
Der November ist meiner Meinung nach der düsterste Monat des gesamten Jahres. Es wird früher dunkel, es ist kalt und oft nass. Doch häufig liegt der erste Advent schon in den letzten Novembertagen und vertreibt so zumindest die Düsternis. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit ist dies auch der vorletzte Artikel der Bloggeraktion „Faktastisches 2020“ von Our Favorite Books. Dieses Mal geht es um ein für mich besonders wichtiges Thema: „Frauenpower in Büchern“. Warum es so wichtig ist und warum die Gleichberechtigung noch nicht in der Literaturszene angekommen ist, erkläre ich selbstverständlich.
Lesen ist ein Hobby, dem im 21. Jahrhundert immer weniger Menschen nachgehen. Allerdings sind zwei Drittel der bekennenden Leser*innen in Deutschland weiblich. Geht man dagegen in eine durchschnittliche Buchhandlung, sind statistisch gesehen nur etwa 40% der Bücher von weiblichen Autorinnen. Das ist allerdings auch vom Genre abhängig, denn bei Liebesromanen und Belletristik sind häufiger Autorinnen vertreten, bei Krimis und historischen Romanen stammt zumindest fast die Hälfte aus der Feder einer Frau. Doch nicht nur in der Quantität gibt es augenscheinlich Differenzen. Schreibt eine Frau ein Buch, vielleicht mit einer weiblichen Protagonistin, bekommt dieses Buch schnell den Stempel „Frauenroman“. Und das ist durchaus abwertend gemeint. Frauen sind ja so gefühlsduselig, ihre Synapsen sind von den ganzen Hormonen so verklebt, dass sie gar nicht ordentlich denken können. Frauenromane? Stupider Tand, hinfort damit!
Zugegeben, einen gewissen Kitsch kann man bestimmten Frauenromanen nicht absprechen, doch ist es nicht merkwürdig, dass diese Unterteilung nur bei Frauen stattfindet? Niemand spricht doch bei einem Actionthriller eines männlichen Autoren mit männlichem Protagonisten von Männerliteratur, obwohl es das irgendwo ist. Die deutsche Literaturszene ist klar männlich dominiert, wohingegen die Leserschaft es nicht ist. Das ist definitiv ein Problem. Literaturpreise werden überwiegend an Männer verliehen, so war unter den 15 nominierten Büchern für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse 2016 ein einziges Buch von einer Autorin. Und selbst wenn Frauen dann mal Preise gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Bücher in andere Sprachen übersetzt werden, geringer als bei den Männern. Von allen deutschsprachigen Werken, die ins Englische übersetzt wurden, stammen nur 29% von Frauen. Wenn man „Das Literarische Quartett“ schaut, erkennt man auch da Tendenzen. Durchschnittlich sind mehr männliche als weibliche Gäste eingeladen und es werden eher Bücher männlicher Autoren vorgestellt, auch wenn sich seit diesem Jahr erstmals ein Wandel erkennen lässt. Umso wichtiger auf Frauenpower in Büchern hinzuweisen.
Nicht umsonst veröffentlichte Joanne K. Rowling ihre Harry Potter-Saga damals unter dem Namen J.K. Rowling. Damit konnte sie ihr Geschlecht anonymisieren und den Vorurteilen von Verlagen und Lesern entgehen. Doch um sie soll es hier nicht weiter gehen, sondern um eine ihrer Figuren, die für mich der Inbegriff von Frauenpower ist und die erste in einer Reihe von vier emanzipierten jungen Frauen. Natürlich ist die Rede von Hermine Granger, Harry Potters bester Freundin. Zwar ist sie nicht die Hauptfigur dieser Reihe, aber dennoch essenziell für Harrys Sieg über Lord Voldemort. Als Tochter zweier Muggel hat Hermine es ohnehin nicht leicht auf einer Schule, in der besonders von einem Haus Rassismus gelebt wird. Ihre Eltern konnten ihr zudem kein magisches Wissen vermitteln, wodurch sie im Grunde genommen im Nachteil war. Dabei ist sie jedoch sehr intelligent, strebsam und idealistisch, wodurch sie schnell zur Jahrgangsbesten avanciert. Dass sie ihre Freunde Harry und Ron kognitiv in die Tasche steckt, steht außer Frage. Zudem hätte Harry ohne Hermine in Hogwarts ohnehin nicht lange überlebt. Wie wir dank „Harry Potter und das verwunschene Kind“ wissen, wird Hermine später auch Zaubereiministerin, was das höchste politische Amt in der magischen Welt ist. Damit steht sie hierarchisch letztendlich auch über Harry, der als Auror tätig ist.
Eine Protagonistin, die Hermine in puncto Frauenpower in nichts nachsteht, ist Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“. Schon früh muss Katniss viel Verantwortung übernehmen. Im Alter von elf Jahren stirbt ihr Vater bei einem Minenunglück, ihre Mutter verfällt in Depressionen und ist meist vollkommen apathisch, sodass Katniss allein die Familie ernähren muss. Dank der Jagderfahrung mit Pfeil und Bogen, dessen Umgang sie von ihrem Vater gelernt hat, gelingt es ihr ihre Familie zu versorgen. Später nutzt sie diese Waffen, um ihr Überleben bei den Hungerspielen zu sichern. Dabei beweist Katniss aber nicht nur Geschick, sondern auch Mut, Intelligenz und Tapferkeit. Auch wenn manche Leser sie aufgrund ihrer skeptischen und manchmal mürrischen Art unsympathisch fanden, ist sie für mich eine der größten Heldinnen der modernen Literaturgeschichte.
Eine andere Protagonistin bewundere ich genauso. Ihr Name ist Flavia de Luce aus der gleichnamigen Reihe von Alan Bradley. Flavia ist übrigens die einzige meiner hier genannten Figuren, die aus der Feder eines Mannes stammt. Sie ist ein junges Mädchen von anfangs elf Jahren, die mit ihrem Vater, zwei Schwestern und einer Haushälterin zusammen lebt. Ihre Mutter ist bei einer Expedition im Himalaya unter mysteriösen Umständen verstorben. Da ihr Vater, Colonnel de Luce, sich nicht viel mit Flavia oder ihren Schwestern beschäftigt, hat sich Flavia aus reiner Langeweile fast ein vollständiges Chemiestudium autodidakitsch vermittelt. Dieses Wissen verwendet sie in der Krimi-Reihe mehrmals, um geheimnisvolle Morde aufzuklären. Dabei steht sie völlig auf eigenen Beinen und ist so eine intelligente und dickköpfige Person, dass man sich das Schmunzeln manchmal nicht verkneifen kann. Ich weiß zwar nicht, wie Flavia als Erwachsene sein wird, aber dass sie keine Angst vor männlicher Konkurrenz haben muss, steht außer Frage.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine Romanheldin aufmerksam machen, die aus der klassischen Literatur nicht mehr wegzudenken ist. Ihre Schöpferin wird bis heute als Galionsfigur der emanzipierten Schriftstellerinnen gesehen. Gemeint ist Jane Austen und die Figur der Elizabeth Bennet aus ihrem erfolgreichsten Roman „Stolz und Vorurteil“. Der Roman spielt etwa Anfang des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die gesellschaftliche Position der Frau völlig konträr zu Heute ist. Elizabeth, eine von fünf Töchtern der durchaus wohlhabenden Familie Bennet, soll aus finanziellen Gründen mit einem Mann verheiratet werden, der ihr durch und durch unsympathisch ist. Stattdessen verliebt sie sich in einen anderen Mann, mit dem sie viel lieber ihr Leben verbringen würde. Auch wenn der Roman auf eine Hochzeit als Ziel hinausläuft und die Bindung mit einem Mann, der in diesem Zeitalter noch viel Kontrolle über seine Ehefrau hatte, nicht zwingend emanzipatorisch ist, beinhaltet „Stolz und Vorurteil“ dennoch Frauenpower. 1813, als das Buch veröffentlicht wurde, war es alles andere als üblich, dass Frauen als Protagonistinnen im Mittelpunkt einer Geschichte standen. Außerdem hat Elizabeth eine so komplexe Persönlichkeit, wie es damals absolut unüblich war darzustellen. Sie ist intelligent, verspielt, lebhaft und fröhlich, aber auch aufmüpfig und willensstark. Auch wenn einige Aspekte inzwischen veraltet sind, ist die Geschichte ein Meilenstein der britischen Literatur, der nach wie vor zeitlos ist.
Frauenpower hat viele Gesichter und viele Namen. Starke Frauen heißen Hermine, Katniss, Flavia oder Elizabeth. Sie können aber auch Julia, Laura, Anna, Michelle, Katharina oder sonst wie heißen. Fakt ist, Mädchen und Frauen können sich nur in einer Gesellschaft entwickeln, in der sie Rechte und Freiheiten haben. Nationen, in denen die Geschlechtergerechtigkeit gut ausgeprägt ist, sind gleichzeitig die Länder, die wohlständig sind, beispielsweise Japan, Australien, Kanada oder viele mitteleuropäische Länder. Dagegen sind Länder, in denen Frauen unterdrückt werden häufig Entwicklungsländer oder seltener Schwellenländer wie Indien, Pakistan, Guatemala, Madagaskar oder Länder in Zentralafrika. Von einer Geschlechtergerechtigkeit würden also auch Männer profitieren, da Frauen die wirtschaftlichen Bedingungen verbessern würden. Dennoch kann man auch in entwickelten Ländern nicht von Ausgewogenheit sprechen. Nach wie vor werden Berufe, die traditionell von Frauen ausgeübt werden, zum Beispiel Erzieher oder Krankenpfleger, schlechter bezahlt als vergleichbare Berufe, die eher von Männern ausgeübt werden. Erst 2018 kam heraus, dass die Tokyo Medical University über mindestens ein Jahrzehnt die Ergebnisse der Aufnahmetests für das Medizinstudium manipulierte, um Frauen am Studium zu hindern. Es gibt also noch viel zu tun und ich hoffe, dass dieser Artikel zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten kann vor allem die Literaturszene zu verbessern.