Das Joshua-Profil

Das Joshua-Profil
20. Juli 2020 0 Von lara

Wer hat die Fäden in der Hand?

Meine dritte Juli-Rezension 2020

Nach „Die Blutschule“ von Max Rhode, hinter welchem sich eigentlich Sebastian Fitzek verbirgt, habe ich nun „Das Joshua-Profil“ von ihm gelesen. Die beiden Bücher hängen unmittelbar zusammen, denn Max Rhode ist sowohl der fiktive Autor ersteren, als auch der Protagonist des zweiten Werkes. In „Die Blutschule“ baut Rhode autobiografische Züge mit ein, in „Das Joshua-Profil“ wird er selbst zum Opfer einer brutalen Intrige. „Das Joshua-Profil“ erschien 2015 fast zeitgleich mit „Die Blutschule“ und ist dem Subgenre Psychothriller zuzuordnen. Ich habe es bei einer Rabattaktion in meiner Stamm-Buchhandlung gekauft.

Inhalt

Maximilian Rhode, kurz Max, der Autor von „Die Blutschule“, lebt mit seiner Ehefrau Kim und seiner zehnjährigen Pflegetochter Jola in Berlin. In vielerlei Hinsicht läuft es bei Max nicht gut. Seit seinem Debütroman „Die Blutschule“ kann er keine Erfolge mehr feiern, Kim und er befinden sich seit Kurzem in einer Paartherapie und Jola ist zwar ein kluges, aber auch aufmüpfiges Kind, das in der Schule öfters mal Schwierigkeiten macht. Nach einem Elterngespräch erhält er einen unerwarteten Anruf von einem schwerverletzten Patienten aus dem Krankenhaus. Max fährt zu ihm und erfährt, dass er das neue Opfer von Joshua sei und versuchen soll, sich in Sicherheit zu bringen. Doch als er zurück zum Auto läuft, in dem er Jola zurück gelassen hat, ist sie bereits spurlos verschwunden. Das einzige Indiz ist eine Flasche K.-O.-Tropfen, die im Handschuhfach des Autos liegt.

Cover

Wie bei „Die Blutschule“ ist dieses Cover schwarzweiß mit roter Schrift. Auf ihm sind zwei maskuline Hände, zwischen denen eine Kordel symmetrisch gespannt ist. Diese Kordel zeigt die Anfangsposition des sogenannten Fadenspiels, ein Geschicklichkeitsspiel, das ich selbst in der Grundschule gespielt habe. Durch das Abheben übernimmt man die Kordel des Mitspielers und bildet mithilfe verschiedener Grifftechniken neue Figuren. Die Aufnahme hier wirkt besonders roh und hart. Das Fadenspiel soll makaber wirken und die Frage aufwerfen, wer die Fäden in der Hand hält.

Kritik

Noch vor dem Prolog findet sich ein Zitat aus Depeche Modes Song „Walking in my shoes“ aus dem Jahr 1993, welches auf einen speziellen Charakter des Psychothrillers gemünzt ist. Der Prolog selbst ist ein Auszug aus dem bereits genannten Werk „Die Blutschule“, welchen ich nur grob überschlagen habe, weil ich den Thriller erst einen Tag zuvor beendet hatte. Zwischendurch habe ich auch das leicht gekürzte Hörbuch gehört. Es wird von Simon Jäger gelesen und ist fast siebeneinhalb Stunden lang.
„Dreizehn Leichen, elf vergewaltigte Frauen, sieben Verstümmelungen, ebenso viele Entführungen und zwei an ein Heizungsrohr angekettete Schwestern, die qualvoll verhungern würden, sollte man sie nicht rechtzeitig finden.“, ist der erste Satz des ersten von insgesamt 83 Kapiteln. Der Einstieg ist in seiner harten und Verwirrung stiftenden Art sehr gelungen. Der Leser fragt sich gleich mit was für einem geisteskranken Verbrecher er es hier zu tun hat. Tatsächlich ist es Max Rhode, der als Ich-Erzähler im Präteritum fungiert und gerade seine Bilanz nach einem arbeitsreichen Tag zieht. Er wird vereinzelt von Nebenfiguren wie Jola, Kim oder auch Frida Blum abgelöst, die von personalen Erzählern begleitet werden. Dass Max, wie der Einstiegssatz zeigt, bei seinen Werken offenbar mehr auf Quantität als auf Qualität wert legt, erklärt möglicherweise seinen mangelnden Erfolg. Er ist ein Mann mittleren Alters, der in Fitzeks öffentlichen Auftritten einen leicht angegrauten Vollbart und Totenkopf-Tattoos auf den Unterarmen trägt. Im Buch selbst wird seine Optik kaum beschrieben, außer dass er überdurchschnittlich groß ist und starke Ähnlichkeiten mit seinem älteren Bruder Cosmo hat. Insgesamt ist Max ein Protagonist, der aufgrund seiner miserablen Lebenslage Mitleid und Sympathie erntet, der aber auch zu impulsiv und vor allem zu flach gezeichnet ist. Letzteres trifft leider nicht nur auf ihn, sondern auch auf einige andere Figuren zu, die meist ihre vorgesehene Rolle gut ausfüllen, allerdings nicht darüber hinaus gehen.
Am Schreibstil ist wie immer nicht viel auszusetzen. Fitzek versteht es, mit präzisen und einfachen Sätzen den Leser zu unterhalten. Besonders das periphere Einstreuen von Allgemeinwissen hat mir gefallen. Bloß die künstlichen Cliffhanger, die sich an fast jedem Kapitelende finden, nur um sich kurz darauf in Wohlgefallen aufzulösen, verfehlen auf Dauer ihre Wirkung.
In „Das Joshua-Profil“ greift Fitzek erneut heikle Themen auf. Dieses Mal sind es vor allem Pädophilie, Pflegefamilien, Kindesmissbrauch und -misshandlung sowie Predictive Policing. Unter Predictive Policing versteht man die Analyse von Falldaten zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Straftaten. Im hiesigen Fall gerät Max Rhode ins Visier, weil er als Thrillerautor aus Recherchezwecken fragwürdige Eingaben in Suchmaschinen getätigt hat. War dies 2015 noch Fiktion, werden heutzutage in manchen Bundesländern tatsächlich Softwares zum Predictive Policing verwendet, in Berlin beispielsweise seit Oktober 2016. Allerdings dienen diese meist der Prävention von Einbrüchen und nicht von Mord und Totschlag. Um seine Themen besonders wirksam in Szene zu setzen, nutzt Fitzek gerne Worst Case-Szenarios, mit denen er Nachteile oder Kritikpunkte aufweist. Hier wäre es also „Was wäre, wenn ein Unschuldiger durch Predictive Policing ins Fadenkreuz einer Organisation geriete und bereits von vorne herein wie ein Verbrecher behandelt werden würde?“. Zugegeben, dieses Szenario ist ziemlich an den Haaren herbei gezogen. Dasselbe gilt leider auch für den Plot, der im Vergleich mit den meisten anderen Thrillern von Fitzek, die ich bisher gelesen habe, völlig überladen, bis hin zu übertrieben, verworren und kaum glaubwürdig. Speziell Jola wirkt für eine Zehnjährige viel zu gefasst und reagiert auf teils heftige Situationen nicht angemessen, sondern viel zu erwachsen und besonnen. Auch diese klischeebeladenen Momente, in denen beispielsweise mit einem Streichholz eine Benzinpfütze entzündet wird, kommen hier vor. Man hat es gefühlt schon hunderte Male im Fernsehen gesehen, tatsächlich funktioniert das aber gar nicht. Das Streichholz würde von der Flüssigkeiten erlöscht werden, noch bevor es etwas in Brand setzen kann. Anderes Beispiel: Jemand bekommt einen harten Schlag auf die Schläfe, fällt bewusstlos zu Boden und erwacht Stunden später gefesselt. Auch das ist ein Mythos, denn es ist deutlich wahrscheinlicher, dass ein einziger Schlag nicht ausreicht, um eine Bewusstlosigkeit auszulösen und falls doch, dauert diese nur wenige Sekunden an. Sollte jemand wirklich stundenlang nicht mehr ansprechbar sein, ist von schweren neurologischen Schäden auszugehen und diese Person erwacht sicherlich nicht wie nach einem Nickerchen ohne kognitive Einschränkungen, die weit über Kopfschmerzen hinaus gehen. Auch dieser Mythos wird hier trotz seiner Falschheit eingebunden.
Im Großen und Ganzen hat der deklarierte Psychothriller vielmehr etwas von einem Actionthriller. Der Spannungsbogen steigert sich in knapp über 400 Seiten langsam aber sicher, nimmt aber erst im letzten Drittel wirklich an Fahrt auf, weil zuvor schlichtweg zu viel Verwirrung gestiftet wurde. Wer gehört zu den Guten und wer zu den Bösen? Vor wem muss man überhaupt Angst haben? Durch diese Orientierungslosigkeit kommt die Spannung nur mäßig zur Geltung. Der klassische Thriller-Effekt, bei dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, wie es so oft heißt, kommt leider erst spät auf.
Das Ende ist extrem überraschend, schockierend und unheimlich. Damit wird garantiert niemand rechnen. Dadurch sticht es so positiv hervor, dass es sich sogar als Highlight des Buches versteht. Danach folgt noch ein Nachwort Fitzeks, in dem er zwar mit erhobenem Finger gesellschaftliche Probleme anspricht, es aber trotzdem lesenswert ist.

Fazit

Wenn man teilweise nur ein Kapitel pro Tag liest, ist das schon kein gutes Indiz für einen Psychothriller. „Das Joshua-Profil“ von Sebastian Fitzek ist sein erstes Werk, das mich leider nicht wirklich überzeugen konnte. Die Figuren sind teils zu flach und unglaubwürdig; Szenario und Plot zu konstruiert und abwegig. Außerdem kommt die Spannung schlichtweg zu spät in Fahrt. Da können auch der interessante Einstieg, die versteckte Sozialkritik und das herausragende Ende nur noch Schadensbegrenzung leisten. Insgesamt ist „Das Joshau-Profil“ ganz in Ordnung, mehr aber nicht. Deswegen gebe ich ihm zwei von fünf Federn. Trotzdem werde ich in Zukunft gewiss einen weiteren Fitzek lesen, wenn auch wahrscheinlich erst nächstes Jahr, um ihm die Chance zu geben, mich wieder so zu packen, wie es andere seiner Bücher geschafft haben.