Gone Girl
Das perfekte Opfer
Meine zweite Januar-Rezension 2019
Als ich 2016 das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse war, hatte ich mir natürlich für unterwegs im Fernreisebus ein Buch mitgenommen. Leider war ich damit schon fast am Ende, sodass ich es bereits auf der Hinreise durchgelesen hatte. Da die Buchmesse an dem Tag, an dem ich dort war, noch nicht verkaufsoffen war, bin ich also in eine Buchhandlung direkt im Frankfurter Hauptbahnhof gegangen und glücklicherweise fündig geworden. Den Psychothriller hatte ich auf der Rückreise angelesen, zuhause jedoch vorerst in den Schrank gestellt und nach einem anderen Buch gegriffen. Dieses Jahr hab ich den besagten Roman allerdings aus seinem Exil befreit, nachdem mir klar wurde, dass er nun schon sehr lange auf mich wartete. Die Rede ist von „Gone Girl“ von Gillian Flynn aus dem Jahr 2013, welcher 2014 von David Fincher verfilmt wurde. Den Kinofilm hatte ich sogar damals gesehen, weshalb ich gespannt war, welche Unterschiede zwischen beiden Medien vorliegen.
Inhalt
Der 34-jährige Lance Nicholas Dunne, kurz Nick, lebt mit seiner 38-jährigen Frau Amy in einem Haus in der fiktiven US-amerikanischen Kleinstadt North Carthage im Bundesstaat Missouri. Die beiden sind auf dem ersten Blick ein Vorzeigepaar, das eine glückliche Ehe führt. Doch am 5. Juli 2012, ihrem fünften Hochzeitstag, verschwindet Amy spurlos. Als Nick die offene Haustür und das verwüstete Wohnzimmer entdeckt, ruft er umgehend die Polizei. Diese findet bald heraus, dass die Ehe nicht so problemlos funktionierte, wie es anfangs den Anschein machte. Beim Verhör verstrickt Nick sich immer mehr in Widersprüchen und Lügen. Er scheint außerdem kaum besorgt um seine Frau zu sein, sodass er selbst schnell zum stärksten Verdächtigen wird, obwohl er seine Unschuld beteuert.
Cover
Minimalistisch, düster, aber sehr passend. Auf dem schwarzen Hintergrund sind links feine weiße Haarsträhnen zu erkennen, die nach rechts ein wenig in Zentrum geweht werden. Die korallfarbene Schrift setzt einen starken Kontrast zum farblosen Hintergrund. Die Innenseite des Einbands ist übrigens das Cover spiegelverkehrt. Hier lässt sich auch deutlich die Hochprägung ertasten. Mir gefällt das Cover, gewählt hatte ich dieses Buch aber wegen der guten Verfilmung.
Kritik
„Wenn ich an meine Frau denke, fällt mir immer ihr Kopf ein.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels, welcher übrigens fast wörtlich auch der erste Satz in der Verfilmung ist. Zuvor findet sich ein Zitat aus Tony Kushners „The Illusion“. Der Psychothriller ist in drei Teile gegliedert, was an die Akte eines Dramas erinnert. Die Teile heißen „Junge verliert Mädchen“, welcher mit über 300 Seiten auch der längste Teil ist, „Junge trifft Mädchen“ mit etwa 200 Seiten Länge und der letzte und kürzeste Teil „Junge bekommt Mädchen zurück (oder andersherum)“. Insgesamt umfasst der Roman über 550 Seiten.
Erzählerisch wechseln sich die Protagonisten Nick und Amy ab, wobei beide aus der Ich-Perspektive berichten, Nick allerdings im Präteritum und Amy im Präsens, beide richten sich sogar gelegentlich direkt an den Leser. Von Amy finden sich im ersten Teil ausschließlich Tagebucheinträge. Die Differenzierung durch den Tempus ist gut durchdacht, da sie den Einstieg zwischen den Kapiteln sehr erleichtert.
Der erste Protagonist ist Nick Dunne, der in North Carthage geboren und aufgewachsen ist, zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Zwillingsschwester Margo. Zur Handlungszeit ist er 34 Jahre alt und arbeitete als Journalist in New York, bis er arbeitslos wurde und mithilfe eines Treuhandfonds von Amys Familie zusammen mit seiner Schwester eine Kneipe in North Carthage eröffnete. Er wirkt recht zurückhaltend, verunsichert, phlegmatisch und fast schon devot, manchmal beweist er aber auch seine schlechte Seite mit anfallsartigen Aggressionen, fragwürdigen Reaktionen und Lügen. Er erntet sowohl das Mitgefühl, als auch die Skepsis des Lesers.
Amy Dunne, geborene Elliott, ist Nicks 38-jährige Ehefrau und ist in New York als Einzelkind geboren und bei wohlhabenden Eltern aufgewachsen. Sie hat einen Master in Psychologie und arbeitete für ein Frauenmagazin, bis auch sie arbeitslos wurde. Außerdem ist sie die Vorlage der Kinderbuchfigur „Amazing Amy“, deren Autoren ihre Eltern sind. Die Reihe ist in den USA ein großer Erfolg und gilt dort inzwischen als zeitloser Klassiker der Kinderliteratur. Sie ist klischeehaft verwöhnt, perfektionistisch und gilt als äußerst hübsch, also augenscheinlich makellos. Allerdings schwingen diese Attribute auch manchmal in Egoismus, Dickköpfigkeit und Eitelkeit um. Obwohl sie liebenswerte Züge hat, erscheint sie gelegentlich eher bittersüß. Insgesamt finde ich Nick und Amy beide großartig und facettenreich gezeichnet, bieten dem Leser aber kaum Identifikationsmöglichkeiten.
Motive, die regelmäßig aufgegriffen werden, sind Probleme bei langjährigen Paaren, die Wirtschaftskrise Ende der 2000er-Jahre und der Verlust der Privatsphäre durch ungewollte mediale Aufmerksamkeit. Der Schreibstil springt blitzartig zwischen hochgestochen, einfach, kindlich und vulgär. Dabei geht es oft bis ins allerletzte, teils unnötige Detail, was auch gewissermaßen die Länge des Psychothrillers erklärt. Beispielsweise erinnert sich Nick daran, was seine Schwester einst zu ihm sagte. Anstatt lückenlos an der Aussage anzusetzen, erinnert sich Nick noch wo und wann er mit seiner Schwester zu dem Zeitpunkt war, wie das Wetter war, was er an dem Tag gegessen hat und welche Kleidung er trug, zumindest gefühlt. Vollkommen irrelevante Details, die die Spannung streckenweise bremsen. Dagegen sind einige Wechsel zwischen den Kapiteln besonders gelungen und die düstere, bedrückende Atmosphäre kombiniert mit einem heißen, drückenden Sommer zieht sich konsequent durch die Geschichte.
Außerdem sind mir in der achten Auflage zwei Tippfehler aufgefallen, was mich doch stark gewundert hat. Erstens: in der Geschichte gibt es eine Fernsehmoderatorin, die mit ihrer nach ihr selbst benannten Show „Ellen Abbott“ täglich über Amys Verschwinden berichtet. Auf Seite 395 wird die gute Frau aber einmalig „Allen Abbott“ genannt, als hätte sie eine Geschlechtsumwandlung gehabt. Zweitens: Auf Seite 473 steht anstatt Augenblick „Augeblick“. Das sind keine gravierenden, aber vollkommen vermeidbare Fehler, die den Lesefluss unterbrechen.
Zugegebenermaßen ist „Gone Girl“ aber kein klassischer Psychothriller, sondern durch die Motive noch viel mehr. Das mag für manche Leser anstrengend sein, zumal der Roman im Klappentext eindeutig mit dem metaphorischen Stempel „Psychothriller“ wirbt. Je nach Erwartungshaltung, kann der Leser definitiv enttäuscht werden. Dafür begeistert der Roman mit unerwarteten Plottwists, die ich durch den Kinofilm zwar bereits kannte, die allerdings auch beim zweiten Mal noch mit Raffinesse punkten konnten.
Aufgrund der Verfilmung kannte ich natürlich auch das Ende, was ich schon damals ab einem gewissen Punkt zu naheliegend, inszeniert und deswegen zu simpel fand. Im Buch geht es allerdings noch ein Stückchen weiter, wo der Film bereits aufhört. Allerdings hat mit das Ende des Films sogar besser gefallen. Im Großen und Ganzen weicht der Film nur minimal vom Buch ab, was auf den roten Faden deshalb kaum Einfluss hat.
Fazit
Es ist nicht leicht ein Buch zu beurteilen, das schon nicht recht hält, was es mit seinem Genre eigentlich verspricht. „Gone Girl“ ist kein wirklicher Psychothriller, trotz seiner durchgängig düsteren Atmosphäre. Vielmehr spielen Beziehungsprobleme, Geldsorgen und Medienkritik eine Rolle. Dafür fehlt die charakteristische Spannung. Das mag manche Leser mehr stören als andere, weshalb die Kritiken des Romans auch so kontrovers ausfallen. Speziell vom Ende bin ich leider enttäuscht. Außerdem sind die Figuren und der Schreibstil absolut gewöhnungsbedürftig. Wobei „gewöhnungsbedürftig“ nicht zwingend negativ gemeint ist, da es auch außergewöhnlich und mutig bedeuten kann. Aber gewöhnungsbedürftig ist ebenfalls nicht sonderlich umwerfend. Wer den Film schon gesehen hat, muss „Gone Girl“ nicht noch zusätzlich lesen, da es inhaltlich wenig Unterschiede gibt. Wer die Geschichte noch nicht kennt, macht mit dem Buch aber auch keinen Fehlgriff, da es inhaltlich sehr gut durchdacht ist und die Plottwists schockieren. Kurzum: Kann man lesen, muss man aber nicht unbedingt. Deswegen erhält dieser Roman von mir gerade noch drei von fünf Federn. Momentan habe ich nicht vor, weitere Bücher von Gillian Flynn zu lesen.