Requiem

Requiem
19. September 2018 0 Von lara

Missa pro defunctis

Meine September-Rezension 2018

„Missa pro defunctis“ ist Latein und bedeutet in etwa „Totenmesse“. Das Synonym dafür ist „Requiem“, das sowohl die Heilige Messe, als auch das dazugehörige Musikstück bezeichnet. „Requiem“ ist aber auch der dritte und letzte Band der Amor-Trilogie von Lauren Oliver aus dem Jahr 2016. Mit dem Abschluss der dystopischen Jugendbuch-Trilogie entscheidet sich, ob die Bemühungen der Rebellengruppe, der die Protagonistin angehört, erfolgreich sind oder ob sie gegen den amerikanischen Staat letztendlich doch scheitert.

Inhalt

Kaum hat Lena sich einigermaßen mit Alex‘ vermeintlichen Tod abgefunden und Gefühle für Julian Fineman entwickelt, dem Sohn des kürzlich ermordeten Vorsitzenden der VDFA, der Vereinigung für ein deliriafreies Amerika, taucht Alex plötzlich wieder auf. Doch er will nichts mehr mit Lena zu tun haben, da sie ihn offensichtlich bereits ausgetauscht hat. Schlimmer noch, als zu der Gruppe Invalider ein neues Mädchen namens Coral stößt, scheint diese sich blendend mit Alex zu verstehen und Lena begreift nicht nur zum ersten Mal in ihrem Leben, was Eifersucht bedeutet, sondern auch, dass sie Alex mehr geliebt hat, als sie Julian jemals lieben wird. Zwischen all dem Gefühlschaos verfolgen die Invaliden, die von Raven angeführt werden, aber immer noch ein gemeinsames Ziel: Sie wollen sich der größten Rebellengruppe der Umgebung anschließen, um die zivilisierte Welt von ihrem krankhaften Regime zu befreien.

Cover

Auf dem Cover ist wieder dieselbe junge Frau, wie auf den vorherigen zwei. Dieses Mal ist es eine frontale Aufnahme ihrer rechten Gesichtshälfte mit geschlossenen Augen. In der linken Bildhälfte sieht man einen goldgelben Hintergrund, der nach unten hin dunkler wird. Über dem gesamten Cover steht wie gewohnt ein Wort in Schreibschrift mehrmals in unterschiedlichen Größen. Dieses Mal ist es: Freiheit.
Von der gesamten Trilogie ist „Pandemonium“ mein Lieblingscover, vor allem wegen der Farbe, aber auch, weil der Blick der Frau darauf am ausdruckstärksten ist. Trotzdem finde ich die Cover insgesamt eher mittelmäßig.

Kritik

„Ich habe wieder angefangen, von Portland zu träumen.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Wo im ersten Moment der Satz, verglichen mit den beiden vorherigen, recht nichtssagend wirkt, nachdem Alex förmlich wieder in die Geschichte hineingeplatzt ist, sagt er doch einiges über Lenas Gemütszustand aus, die aus der Ich-Perspektive im Präsens berichtet. Portland ist ihre Heimatstadt, in der sie Alex kennengelernt hat und keinen Ort verbindet sie mehr mit ihm als dieser. Wenn sie nicht mehr von Portland geträumt hat, hat sie gewissermaßen auch nicht mehr von Alex geträumt. Dass sie jetzt wieder damit angefangen hat, beweist nur, dass Alex sie jetzt wieder beschäftigt, sei es, weil er auch physisch wieder zurück ist, oder weil sie nun neue Hoffnung schöpft.

Auf exakt 400 Seiten, die am Ende auch eine exklusive Kurzgeschichte über Alex mit einschließt, ist Lena jedoch zum ersten Mal in der Trilogie nicht die einzige Erzählerin. Ihre beste Freundin Hana erzählt abwechselnd mit Lena aus der Ich-Perspektive. Hana ist bereits geheilt und mit Fred Hargrove, dem Sohn des von den sogenannten Schmarotzern ermordeten Bürgermeisters, verlobt. Auch wenn sie zu den reichsten Menschen Portlands gehört, große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genießt, sich selbst als hübsch betrachtet und ihr Zukünftiger der neue Bürgermeister von Portland werden soll, hat sie doch das Gefühl, anders als andere Menschen zu sein. Sie träumt sogar noch, was für Geheilte selten ist. Immer mehr beschleicht sie der Verdacht, dass bei ihrem Eingriff ein Fehler unterlaufen sein muss und ihre Gefühle nur leicht gedämpft wurden, anstatt vollkommen unterdrückt. Ich habe mich riesig gefreut, dass Hana in diesem Band einen Erzählstrang bekommt und somit fast so eine große Rolle spielt wie Lena.

Während Lena stark aus dem Blickwinkel der Regierungsgegner und Rebellen berichtet, erfährt man durch Hana, was sich seit Lenas Abwesenheit aus Portland alles geändert hat und wie sie durch ihren Verlobten, der eine hohe politische Position bekleiden soll, zu einer Unterstützerin der Regierung wird. Damit stehen zwei ehemals beste Freundinnen an unterschiedlichen Fronten, sodass das Finale noch spannender wirkt. Außerdem mag ich Hana als Charakter unheimlich gerne, vielleicht sogar mehr als Lena, die wohl ewig eine kleine Drama-Queen bleiben wird, auch wenn es hier erträglicher ist als in „Pandemonium“.

In Hanas Erzählstrang ist mir jedoch zum ersten Mal in meinem Bloggerleben ein Kontinuitätsfehler aufgefallen. Auf Seite 71 beschreibt Hana sie stecke ihre „Haare zu einem lockeren Dutt hoch“, um dann fünf Seiten später „das Basecap wieder über den Pferdeschwanz“ zu ziehen. Dazwischen gibt es keinerlei Andeutungen, dass sie ihre Frisur noch einmal verändert habe. Wie konnte aus dem Dutt also plötzlich ein Pferdeschwanz werden? Bisher dachte ich solche Fehler gäbe es nur in Filmen.

Zu einem dystopischen Jugendbuch mit einer weiblichen Protagonistin gehört etwas, was ich schon fast vermisst hätte, wäre es dann nicht doch noch im letzten Band aufgetaucht: Die Dreiecksbeziehung. Von diesem klischeebelasteten Plot war ich anfangs recht enttäuscht, die Umsetzung konnte mich dann aber tatsächlich noch positiv überraschen. Die erste Figur wäre Lena, deren erste große Liebe Alex ist, sie ihn aber für tot hielt und deswegen auf die Annäherungsversuche von Julian einging. Nun merkt sie, dass sie mehr für Alex empfindet als für Julian. Alex gibt ihr aber einen klaren Korb. Diese Zurückweisung verletzt sie so sehr, dass sie Trost bei Julian sucht, was Alex wiederum noch abweisender macht und so steckt Lena tief in einem inneren Konflikt. Auch Alex‘ Sicht ist verständlich, der Lena am Ende von „Delirium“ gerettet hat, verhaftet und gefoltert wurde und laut eigener Aussage durch die Hoffnung Lena wiederzusehen nicht aufgegeben hat, um sie letztendlich in den Armen eines anderen Typen wiederzufinden. Lena hat aber auch Mitleid mit Julian, der sich in sie verliebt hat und die einzige Bezugsperson für ihn ist, da er als Überläufer bei den Invaliden einen schlechten Stand hat. Ich selbst hatte gehofft, dass am Ende Lena und Alex wieder ein Paar werden.

Apropos Ende, der Schluss war leider so abrupt, wie schon in den vorherigen Bänden. Es war spannend, wenn auch verhältnismäßig unspektakulär, aber nach dem großen Finale kommt kein Ausklang. Viele Fragen bleiben offen. Was ist mit Lenas Tante und ihrer Familie geschehen? Wie sieht die Zukunft aus, sowohl politisch, als auch persönlich? Viele Dialoge oder Verhältnisse, bei denen noch Klärungsbedarf existiert, bleiben ungeschrieben. Der Leser kann nur vermuten, was mich sehr enttäuscht hat. Dabei sind offene Enden bis zu einem bestimmten Grad wirklich schön, aber die essenziellen Fragen sollten zumindest beantwortet sein, was hier leider nicht der Fall ist.

Im Anschluss folgt noch die Kurzgeschichte von Alex, in der er unter anderem von seiner Kindheit und seiner Zeit in Gefangenschaft berichtet. Auch hier fehlt mir die Szene, in der er Lena nach dem Ende von „Delirium“ wiedersieht. Außerdem wird deutlich, dass Alex nicht der unschuldige Charakter ist, für den man ihn vielleicht gehalten hat. Die Kurzgeschichte ist ein netter Bonus, der aber die Gesamtwertung nicht beeinflusst hat.

Fazit

Insgesamt ist „Requiem“ der beste Band der Trilogie. Ich mochte die Handlungsstränge von Lena und Hana, die trotz ihrer Freundschaft ein Kontrastprogramm und somit Abwechslung bieten konnten. Gerade Hanas Geschichte konnte mich positiv überraschen und machte den letzten Band facettenreicher. Aber leider konnte mich das Ende wenig begeistern, weil es gefühlt in die letzten Seiten gequetscht wurde. „Requiem“ hört genau da auf, wo es noch einmal hätte aufregend werden können. Da das Ende einer Trilogie ausschlaggebend ist, fällt es hier noch mehr ins Gewicht. Deswegen gebe ich dem dritten Band der Amor-Trilogie drei von fünf Federn.