Der Augenjäger

Der Augenjäger
13. August 2018 0 Von lara

Blind vor Angst

Meine zweite Juli-Rezension 2018

 

„Der Augensammler“ von Sebastian Fitzek hat mir sehr gut gefallen, deswegen habe ich mir die Fortsetzung „Der Augenjäger“ von einer Freundin ausgeliehen, um es direkt im Anschluss lesen zu können. Fitzek selbst hat inzwischen eine riesige Fangemeinde, die sich sogar über Deutschlands Grenzen erstreckt, denn seine Bücher werden in 24 Sprachen übersetzt und erscheinen unter anderem auch in den USA. Er pflegt den Kontakt zu seinen Fans stark und beantwortet sogar jede Mail persönlich, auch wenn das natürlich etwas länger dauern kann. Außerdem ist er bekannt dafür seine Bücher auf äußerst kreative Weise zu promoten. Für seinen aktuellen Psychothriller „Der Insasse“ suchte er Testleser, die sich dazu bereit erklären, sich nachts in einer Psychiatrie einsperren zu lassen, um das Buch zu lesen, während sie gefilmt werden. Ich hatte mich beworben, habe es aber letztendlich leider nicht geschafft. Dafür habe ich mich mit „Der Augenjäger“ aus dem Jahr 2011 beschäftigt.

Inhalt

Die blinde Physiotherapeutin Alina Gregoriev hat nach den jüngsten Ereignissen in Berlin Schreckliches miterleben müssen. Doch sie hat kaum Zeit das Geschehene zu verarbeiten, denn Philipp Stoya, der Leiter der Mordkommission, bittet sie um ihre Mithilfe bei einem anderen Fall namens Zarin Suker. Der Augenchirurg wird verdächtigt, mehrere junge Frauen entführt, ihnen die Augenlider entfernt und sie anschließend vergewaltigt zu haben, wenn sie nicht mehr wegschauen konnten. Beweise gibt es keine und nur eine potenzielle Zeugin, weil die anderen Opfer sich nach ihrem Martyrium umgebracht haben. Mit ihren hellseherischen Fähigkeiten soll Alina dazu beitragen, Suker zu überführen, bevor er aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss. Doch bei der Sitzung macht der Chirurg ihr ein verlockendes Angebot. Er verspricht, sie zu operieren, um ihr das Sehvermögen zurückzugeben, wenn sie von ihrer Kooperation mit der Polizei absieht.
Der 36-jährige Alexander Zorbach ist währenddessen verzweifelt auf der Suche nach seinem Sohn Julian, den der Augensammler gekidnappt hat. Die Frist von 45 Stunden und sieben Minuten ist vor Kurzem abgelaufen, als er einen Anruf vom Augensammler erhält. Sein Sohn wird unter der Bedingung das Leben geschenkt, wenn er seines im Gegenzug beendet.

Cover

Hardcover und Taschenbuch haben hier unterschiedliche Cover. Beide teilen die Gemeinsamkeit, dass ein geöffnetes Auge mit gelber Iris in Nahaufnahme zu sehen ist. In der Spiegelung des Auges lassen sich vage Räumlichkeiten erkennen, möglicherweise auch ein Fenster. Beim Taschenbuch ist die Umgebung um das Auge weiß, beim Hardcover dagegen anthrazitfarben bis schwarz. Die Cover verdeutlichen den Zusammenhang mit dem Augensammler, mir persönlich gefallen beide Versionen des Psychothrillers gleichermaßen.

Kritik

Bevor es mit dem Psychothriller losgeht, hat Fitzek eine kurze „Warnung“ voran gestellt, in der er darauf hinweist, dass „Der Augenjäger“ die Fortsetzung von „Der Augensammler“ ist und es deshalb ratsam wäre, den ersten Teil vorher zu lesen, weil es im umgekehrten Fall zu einem enormen Spannungsverlust kommen kann. Trotzdem betont er, niemanden zu seinem Glück zu zwingen. Auch ich kann euch nur dringendst dazu raten erst „Der Augensammler“ zu lesen, um das Vorwissen zu haben, da es in der Fortsetzung immer wieder Anspielungen auf den Augensammler gibt und inhaltlich fast alles gespoilert wird, falls man die Reihenfolge missachtet.
Beim Aufschlagen des Buches ist mir plötzlich ein schmaler Zettel entgegen gefallen, der aussieht wie ein Ausschnitt aus einer Tageszeitung. Er ist beidseitig bedruckt, auf einer Seite steht ein herausgerissener Artikel über den Augenjäger und den bisherigen Ermittlungsstand. Auf der anderen Seite steht Werbung für einen Optiker und ein Horoskop. Auf beiden Seiten ist derselbe QR-Code abgedruckt, mit dem man auf die Internetseite „vorsichtfitzek.de“ umgeleitet wird. Ein sehr kreatives Extra, was Fitzeks außergewöhnlichen Status unterstreicht.
Der Prolog beginnt mit einem weiteren Zeitungsartikel über Frank Lahmann, dem ehemaligen Volontär von Alexander Zorbach, der gestanden hat, der Augensammler zu sein und nun Julian in seiner Gewalt zu haben.
Im ersten Kapitel geht es um den Nebencharakter Johanna Strom, einer alkoholkranken Frau, die sich nach dem Scheitern ihrer Ehe in einer psychiatrischen Klinik befindet, um einen Entzug zu machen. Schnell wird ihr bewusst, dass sie dem Augenjäger näher ist, als ihr lieb ist, doch niemand will ihr so recht glauben.
Fitzeks Schreibstil ist wie gewohnt schlicht und teilweise vulgär. Die Kapitel sind, wie beim Vorgänger, sehr kurz, teilweise nur eine Seite lang, sodass sich auf knapp über 400 Seiten 73 Kapitel erstrecken.
Die Protagonistin Alina Gregoriev steht dieses Mal mehr im Vordergrund als noch in „Der Augensammler“, jedoch fand ich sie nicht durchweg sympathisch. Ich habe einerseits großen Respekt vor ihrer Eigenständigkeit und ihrem Ehrgeiz, die sie sich trotz ihrer Blindheit bewahrt hat, andererseits fand ich sie mit ihrer vorlauten, forschen und vulgären Art oft sehr anstrengend, auch wenn ich verstehe, dass gerade eine Blinde mit diesen Charakterzügen Klischees bricht und besonders faszinierend wirken kann.
Die Idee eines Psychopathen, der seinen Opfern die Augenlider entfernt, sodass sie nie wieder die Augen schließen, nicht einmal blinzeln können, ist so pervers und doch so einzigartig, dass es mir, auch wenn es morbide klingt, noch besser gefallen hat als die Grundzüge des Augensammlers. Auch wenn der Spannungsbogen erst Richtung Ende abrupt in die Höhe schießt, war es konsequent interessant. Zwischendurch gab es immer wieder Offenbarungen oder kleinere Plottwists, die mich bei der Stange gehalten haben, trotzdem habe ich für „Der Augenjäger“ ein paar Tage länger gebraucht als für den Vorgänger, weil die Spannungskurve eben erst später, aber dafür heftiger ansteigt.
Das Ende war grandios und konnte mir all das bieten, was mir bei „Der Augensammler“ noch gefehlt hat. Es war unvorhersehbar, schockierend und eindeutig das Beste am ganzen Psychothriller. Alleine für das Ende hat sich das Lesen gelohnt, auch wenn der Rest keinesfalls schlecht ist. Ein kleineres Manko wäre, dass manche Ereignisse hart an der Grenze der Realität kratzen, beispielsweise das Überleben einer schweren Verletzung. Wenn so etwas oder etwas Ähnliches jedoch häufiger vorkommen, wird man das Gefühl nicht los, dass hier ein paar Augen zugedrückt wurden.

Fazit

Wer einen Psychothriller sucht, dessen Ende einem metaphorisch die Schuhe auszieht, ist hier an der richtigen Adresse. Jedoch sollte man vorher wirklich „Der Augensammler“ gelesen haben. Wenn ich die beiden Bücher miteinander vergleiche, finde ich sie beide insgesamt gleich gelungen, allerdings mit unterschiedlichen Schwachpunkten. Bei „Der Augensammler“ war der Spannungsbogen konstant auf einem hohen Niveau, dafür kann „Der Augenjäger“ seinen Vorgänger am Ende noch übertrumpfen. Der zweite Teil war für mich unvorhersehbarer, allerdings fand ich Alina, die hier häufiger auftritt, recht anstrengend. Unterm Strich kommen beide Psychothriller von Sebastian Fitzek bei mir gleich gut weg, deshalb gebe ich „Der Augenjäger“ vier von fünf Federn.