Die Flucht
Der Krieg beginnt
Meine zweite August-Rezension 2016
Die Liebesgeschichte um „Cassia & Ky“ geht weiter! Stell dir vor, die Regierung will, dass du einen anderen Menschen liebst, als den, an den du dein Herz verloren hast. Um das zu erreichen, schickt sie ihn fort von dir und plant sogar seinen Tod. Würdest du versuchen ihn zu retten? Cassia zweifelt keine einzige Sekunde daran und macht sich auf die Suche nach ihrem geliebten Ky. „Die Flucht“ von Ally Condie aus dem Jahr 2011 ist die Fortsetzung des dystopischen Jugendromans „Die Auswahl“, der mich voll und ganz gefesselt hat. Inwiefern das dem zweiten Band gelungen ist, erfahrt ihr nun hier.
Inhalt
Nachdem die 17-jährige Cassia mit ihrer Familie in die Provinz Keya zwangsumgesiedelt wurde, lässt sie sich freiwillig in ein Arbeitslager für Aberrationen, den Menschen zweiter Klasse, bringen. Sie hofft in den sogenannten äußeren Provinzen zu landen, denn sie ist sich sicher, dass ihre große Liebe Ky Markham dort als Soldat im Krieg kämpfen muss. Tatsächlich findet sie Hinweise auf seinen Verbleib und plant gemeinsam mit einer neuen Freundin eine wagemutige Flucht, um ihm zu folgen.
Cover
Das Cover ist eine optische Fortsetzung des ersten Teils und behält, typisch für eine Reihe, den Stil bei. Wieder sieht man ein Mädchen, das die Protagonistin darstellen soll und wieder sitzt sie in einer Glaskugel. Dieses Mal trägt sie jedoch ein blaues T-Shirt, das vermutlich die von der Gesellschaft vorgeschriebene Zivilkleidung ist. Sie schaut nach unten und hält die rechte Hand von innen an das Glas. Ihre linke Hand ist zu einer Faust geballt, ein Symbol des Widerstands, die aus der Kugel hinaus schlägt. Dabei bricht ein Loch mit tiefen Furchen aus dem Glas. Scherben und Splitter fliegen durch die Luft, wodurch Brutalität vermittelt wird.
Die repräsentative Absicht hinter diesem Motiv ist hier genauso deutlich wie beim Vorgänger. Cassia hat einen Weg gefunden, aus der Gesellschaft auszubrechen. Durch die Überschreitung der Gesetze hat sie einen irreparablen Schaden angerichtet. Der entschlossene Gesichtsausdruck des Mädchens macht aber deutlich, dass sie aus voller Überzeugung handelt und sich des daraus resultierenden Risikos absolut bewusst ist.
Mit diesem Cover wird die Geschichte des Vorgängers bildlich weitererzählt. Viele andere Reihen haben lediglich Cover, die sich zwar farblich, aber nicht inhaltlich verändern. Hier verhält es sich anders und das macht es deutlich aufregender und bemerkenswerter. Wie auch zuvor kann ich die Gestaltung nur in den höchsten Tönen loben.
Kritik
Bereits im ersten Kapitel sticht die erste signifikante Veränderung im Vergleich zu „Die Auswahl“ ins Auge: Neben Cassia hat nun auch Ky einen Erzählstrang in der Ich-Perspektive und im Präsens. Die Kapitel mit einer ungeraden Zahl handeln von Ky, während jene mit einer geraden Zahl von Cassia handeln. So soll der Leser den männlichen Protagonisten nun besser kennenlernen und sich gegebenenfalls auch mit ihm identifizieren können. Mir selbst ist das nur in Maßen gelungen, denn mir persönlich konnte Condie die beiden Charaktere sprachlich nicht genug differenzieren. Kys Wortwahl und Gedankenstrukturen waren manchmal zu nah an denen von Cassia, sodass es ihm, obwohl er ein sympathischer Charakter ist, an Individualität mangelt. Cassia dagegen ist eine lebhaftere Figur, die sich bereits positiv weiterentwickelt hat. Sie begegnet ihrer Umwelt erkennbar skeptischer, zudem hat sie deutlich an Willensstärke dazu gewonnen, ohne dabei an Authentizität einzubüßen. Trotzdem legen beide Charaktere ein gelegentliches Fehlverhalten an den Tag, über das man sich als Leser vielleicht ärgern mag, das die Figuren allerdings realistischer wirken lässt und durch daraus resultierende Konflikte sogar zur Spannung des Romans beiträgt.
Der zweite große Unterschied zum Vorgänger ist ein radikaler Ortswechsel. Spielte „Die Auswahl“ noch in der vorstädtischen Provinz Oria, befindet sich Cassia nun in einer namenlosen Provinz in der Peripherie der Gesellschaft, in der die Canyons liegen. Da Condie selbst im US-Bundesstaat Utah lebte, ist davon auszugehen, dass der Grand Canyon Vorlage für diese Landschaft war, falls der Jugendroman nicht sogar tatsächlich dort spielt, was bei einer Dystopie wie dieser, die zweifelsfrei auf der Erde stattfindet, nicht einmal allzu abwegig ist.
Durch die lokale Trennung wird zwar ein klarer Schnitt zwischen den Bänden gemacht, doch ob dies frischen Wind in die Reihe bringt ist fraglich. Denn wie jeder weiß ist der Grand Canyon trocken und öde, obwohl ein Besuch sicherlich auch imposant ist. Ähnlich verhält es sich auch in „Die Flucht“. Die anfängliche Aufregung verblasst nach einigen Seiten, da Cassia Ky durch das Gelände folgt und er dieselben Dinge sieht wie sie einige Kapitel später. So geht der Leser also jeden Weg zweimal: Einmal mit Ky und einmal mit Cassia, was der Geschichte leider einen kleinen Dämpfer verpasst.
Auch die Liebesgeschichte schreitet in diesem Band schleichender voran. Xander kommt lediglich am Rande vor und Cassias Emotionen erhalten aus unterschiedlichen Gründen negative Nuancen. Wer sich also auf romantische Passagen gefreut hat, wird folglich eher unzufrieden sein. Trotz der Schwächen gibt es in dem dystoptischen Jugendroman keine Tiefpunkte, die vor Langeweile kaum zu überwinden sind. Immer wieder tauchen Dialoge, Ereignisse, Wendungen oder Figuren auf, die der Geschichte einen Aufschwung verpassen und sie somit konstant vorantreiben. Zwar ist die Handlung merklich entschleunigt, dafür erfährt der Leser allerdings mehr über die Vergangenheit der Charaktere, vor allem Kys leibliche Eltern tragen dazu viel bei.
Die Fragen, die ich mir nach „Die Auswahl“ gestellt habe, sind bis auf eine einzige beantwortet worden, doch natürlich habe ich nach Beenden der Fortsetzung mit über 450 Seiten neue Fragen: Wann wird Cassia Ky und Xander wiedersehen? Was wird Cassia in ihrer neuen Umgebung erwarten? Wird die Erhebung die Gesellschaft stürzen können? Wird Cassia ihre Familie wiedersehen? Ich werde definitiv auch den letzten Band der Reihe „Die Ankunft“ lesen, da ich immer noch wissen möchte, wie die Geschichte endet.
Fazit
Zwar hat „Die Flucht“ einige Schwächen, sie sind aber nicht gravierend genug, um den Lesefluss stark zu erschweren. Für mich ist der dystopische Jugendroman eine gute Fortsetzung, die allerdings nicht an den Auftakt heranreicht. Trotzdem ist mein Interesse an der Trilogie „Cassia & Ky“ noch ungehemmt und ich hoffe, dass der letzte Teil mich wieder bedingungslos in seinen Bann zieht.
Deswegen gebe ich „Die Flucht“ von Ally Condie vier von fünf Federn.
Deswegen gebe ich „Die Flucht“ von Ally Condie vier von fünf Federn.