Pandemonium
Chaos, Wirrnis und Tumult
Meine zweite August-Rezension 2018
Cliffhanger können echt böse sein. Noch schlimmer sind sie, wenn die Fortsetzung noch nicht veröffentlicht ist oder im schlimmsten Fall aus verschiedenen Gründen keine Fortsetzung mehr erscheinen soll. Glücklicherweise konnte ich im Fall von „Delirium“ von Lauren Oliver sofort mit Band zwei der sogenannten Amor-Trilogie „Pandemonium“ aus dem Jahr 2014 weitermachen. Der dystopische Jugendroman handelt von einer jungen Frau, die sich in einem Amerika der Zukunft aus Liebe gegen den Staat auflehnt, um ein Leben in Freiheit zu haben.
Inhalt
Nach dem Fluchtversuch aus Portland, bei dem Alex angeschossen und festgenommen wurde, muss Magdalena, kurz Lena, in der Wildnis um ihr Überleben kämpfen. Physisch und psychisch vollkommen am Ende ringt sie mit dem Tod, doch in letzter Sekunde wird sie von einer Gruppe Invalider gefunden und in ihren Stützpunkt gebracht. Ihr bleibt kaum Zeit zu genesen, denn die Anführerin Raven fordert von ihr, sich in der Gemeinschaft zu integrieren und bei den täglichen Arbeiten zu helfen, die für das Überleben notwendig sind. Für Lena beginnt eine harte Zeit, denn sie ist sich sicher, dass Alex inzwischen tot ist und auch bei den Invaliden findet sie kaum Anschluss und fühlt sich wie eine Außenseiterin.
Cover
Dieses Mal bildet das Cover auf der linken Seite die Gesichtshälfte einer jungen Frau aus frontaler Perspektive ab. Der Hintergrund ist im dunklen Türkis gehalten und wieder liegt über dem gesamten Cover mehrfach ein einziges Wort in Schreibschrift, hier ist es anstatt „Liebe“ jedoch „Kampf“. Mir persönlich gefällt dieses Cover etwas besser als das von „Delirium“, auch wenn es kein absoluter Blickfang ist.
Kritik
„Alex und ich liegen nebeneinander auf einer Decke im Garten der Brooks Street 37.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels und wirft den Leser zu den Ereignissen von „Delirium“ zurück, als Lena und Alex einen Großteil des Sommers in dem verlassenen Haus verbrachten.
Die Geschichte wird wieder von Lena aus der Ich-Perspektive und im Präsens erzählt. Dieses Mal gibt es jedoch zwei unterschiedliche Zeitstränge, die am Anfang jedes Kapitels entweder mit „Damals“ oder „Jetzt“ deklariert werden, wobei sich diese stets abwechseln. Der Zeitstrang von „Damals“ findet unmittelbar nach dem Ende von „Delirium“ statt und beschreibt Lenas Leben in der Wildnis bei den Invaliden. Trotzdem ist dieser Zeitstrang, wie der andere auch, im Präsens verfasst, was für mich etwas gewöhnungsbedürftig war, obwohl mir die Idee und die Umsetzung zweier Zeitstränge gut gefallen hat. Der Zeitstrang im „Jetzt“ berichtet von Lena, die als Invalide wieder in die Gesellschaft in New York eingeschleust wurde, um dort die größte Bedrohung der Invaliden auszuspionieren, die „VDFA“, also die Vereinigung für ein deliriafreies Amerika. Als Leser kann man theoretisch also entscheiden, ob man das Buch von vorne nach hinten durchliest, oder erst die „Damals“-Kapitel und anschließend die „Jetzt“-Kapitel liest. Ich blieb aber bei der klassischen Variante.
Olivers Schreibstil bleibt wie gewohnt stark metaphorisch, für mich an manchen Stellen leider etwas zu sehr, beispielsweise als Lena das Foto eines schneebedeckten Berggipfels sieht und ihn mit Sahne auf einem Löffel vergleicht, die sie gerne ablecken würde. Vielleicht war sie in dem Moment aber auch einfach nur sehr hungrig, wer weiß? Ansonsten kann ich mich über den Schreibstil aber alles andere als beschweren und betrachte Oliver nach wie vor als sprachlich talentierte Autorin.
Lena hat seit Beginn der Trilogie einen enormen Wandel durchlebt. Von dem braven, devoten und gehorsamen Mädchen ist nichts mehr übrig. Nun ist sie vielmehr eine gereifte, skeptische und mutige Kämpfernatur, die sich auch durch die schwierigsten Situationen beißt. Allerdings ist sie auch überemotional, was einerseits in ihrer Lage verständlich ist, sie aber auch andererseits anstrengend macht, wenn zum Beispiel auf einen Wutausbruch unmittelbar ein verkrampftes Weinen folgt und das nicht nur in Ausnahmesituationen. Trotzdem ist sie mir nicht unsympathisch.
Inhaltlich lässt „Pandemonium“ auf den letzten 100 Seiten leider nach. Während anfangs noch unheimlich viel passiert, sind für den Plot später verhältnismäßig wenige Ereignisse von Relevanz. Auch wenn es zwischendurch immer wieder spannend wird, plätschert der Rest der Geschichte einfach nur langsam vor sich hin, ohne in totale Langeweile zu verfallen. Das liegt vor allem daran, dass das letzte Kapitel fast 80 Seiten lang ist und sich deswegen schlechter in die Geschichte einreihen kann als andere Kapitel, die teilweise nur zwei oder drei Seiten umfassen.
Das Ende hält dann noch eine große Überraschung bereit, mit der ich allerdings schon etwas gerechnet hatte und die so plötzlich und schon fast plump daher kommt, dass sie mich nicht sonderlich begeistern konnte. Vielleicht geht es anderen Lesern da aber anders und ein großer Cliffhanger bleibt das Ende allemal. Um die Amor-Trilogie abzuschließen, werde ich direkt im Anschluss den dritten Band „Requiem“ lesen.
Fazit
Insgesamt hat mir „Pandemonium“ gut gefallen, auch wenn es hier mehrere kleinere Punkte zu kritisieren gibt, sei es derselbe Tempus in unterschiedlichen Zeitsträngen, die etwas langatmigeren letzten 100 Seiten oder das abrupte Ende. Am meisten hat mich jedoch gestört, dass Oliver dazu neigt zu übertreiben, sowohl sprachlich mit ihren Metaphern, als auch mit den Emotionen der Protagonistin. Andererseits hat der zweite Band der Amor-Trilogie auch viel Gutes zu bieten, beispielsweise die actionreichen Szenen, Lenas Charakterwandel, die Übergänge zwischen den einzelnen Kapiteln, die viel Liebe fürs Detail beweisen oder auch die Darstellung der Invaliden mit ihren Charakteren. Es ist kein einfacher Abklatsch von „Delirium“, sondern eine Fortsetzung, die einen ganz neuen Weg einschlägt mit anderen Stärken und Schwächen. Rückblickend finde ich beide Teile nahezu gleich gut und gebe diesem dystopischen Jugendbuch deshalb drei von fünf Federn.