Das Kind

2. Oktober 2025 0 Von lara

Von Hellsehern, Wiedergeburten und Serienmördern

Meine zweite September-Rezension 2025


Das Lesemotto für die Lesechallenge im September lautete: „Lies ein Buch eines deutschen Autors“. Da ich ohnehin dieses Jahr noch einen Psychothriller von Sebastian Fitzek lesen wollte, hat sich das perfekt getroffen. Anfangs habe ich seine Bücher wild durcheinander gelesen, nun versuche ich, chronologisch vorzugehen. Deswegen habe ich „Das Kind“ aus dem Jahr 2008 vom SuB gezogen. Es ist Fitzeks drittes Werk und handelt von einem zehnjährigen Jungen, der behauptet, in seinem früheren Leben ein Serienmörder gewesen zu sein. Fitzeks Thriller sind wie eine Wundertüte: Mit etwas Glück bekommt man nervenaufreibende Spannung, allerdings sind manche Thriller auch eher mittelmäßig. Ich war also gespannt, was mich dieses Mal erwartet hat.

Inhalt

Robert Stern ist ein renommierter Strafverteidiger, der auf den ersten Blick ein gutes Leben führt: Seine Kanzlei läuft ausgezeichnet und er wohnt in einer schicken Villa am Rande Berlins. Doch hinter der Fassade ist er ein gebrochener Mann. Vor zehn Jahren ist sein Sohn Felix im Krankenhaus am plötzlichen Kindstod verstorben. Daraufhin zerbrach seine Ehe. Während seine Exfrau Sophie inzwischen einen neuen Mann und zwei Töchter hat, lebt Robert vereinsamt und zurückgezogen. Seine einzige Freundin ist die Krankenschwester Carina, die ihn mit ihrem zehnjährigen Patienten Simon um Hilfe bittet. Nach einer Rückführung behauptet der krebskranke Junge, in seinem früheren Leben Menschen ermordet zu haben. Als Robert mit Carina und dem Jungen zum Industriegelände fährt, wo der erste Mord vor 15 Jahren stattgefunden haben soll, finden sie dort tatsächlich eine Leiche, der mit einer Axt der Schädel gespalten wurde. Obwohl Simons Schilderungen exakt zutreffen, kann Robert nicht glauben, dass der Junge tatsächlich die Reinkarnation eines Serienmörders sein soll.

Cover

Mit der Zeit sind verschiedene Cover von „Das Kind“ erschienen, schließlich ist das Buch schon 17 Jahre alt. Das bekannteste und heute noch gedruckte Cover ist ein fast vollständig schwarzes Foto, vor dem sich die grünliche Silhouette eines Kopfs abhebt. Nur die Haare sind sichtbar, das Gesicht des Kindes liegt im Dunkeln. Dadurch, dass der Kopf des Kindes von hinten angestrahlt wird und ein Großteil des Covers schwarz ist, wird eine düstere und leicht unheimliche Atmosphäre erzeugt. Ich persönlich finde das Cover zwar passend, irgendwie aber auch nichtssagend. Allerdings sagte Fitzek selbst mal, dass jene Cover seiner Bücher, die am unscheinbarsten aussehen, den brutalsten Inhalt hätten.

Kritik

„Als Robert Stern vor wenigen Stunden diesem ungewöhnlichen Treffen zugestimmt hatte, wusste er nicht, dass er damit eine Verabredung mit dem Tod einging.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Ich finde den Satz gelungen, da er auf wenig subtile, aber doch effektive Weise einen Hook erzeugt. Diese Verabredung ist Roberts erste Begegnung mit Simon, dem krebskranken Jungen, der behauptet, in seinem früheren Leben ein Serienmörder gewesen zu sein. „Das Kind“ ist in sechs Akte mit den Titeln „Das Treffen“, „Die Suche“, „Die Erkenntnis“, „Der Handel“, „Die Wahrheit“ sowie „Der Anfang“ unterteilt. Dabei ist „Der Handel“ der längste Akt und „Der Anfang“ der kürzeste. Jeder Akt beginnt mit Kapitel 1, was mich wirklich sehr irritiert hat. Ich musste also alle Kapitel aus den Akten addieren, um herauszufinden, wie viele Kapitel das Buch hat. Insgesamt sind es 90 Kapitel plus Epilog auf annähernd 400 Seiten. Vor jedem Akt befinden sich unterschiedliche Zitate: teils Lebensweisheiten, teils Auszüge aus der Bibel oder Zitate von Philosophen, Wissenschaftlern oder anderen Prominenten.

Als personale Erzähler im Präteritum fungieren hier verschiedene Figuren. Protagonist ist aber der Strafverteidiger Robert Stern. Seine Persönlichkeit ist stark von seiner Vergangenheit geprägt. Er ist ein erfolgreicher Anwalt, der nach außen hin kühl, rational und professionell wirkt. Doch innerlich trägt er große Schuldgefühle wegen seines verstorbenen Sohnes vor zehn Jahren mit sich. Auch nach einer ganzen Dekade hat er die Trauer nicht überwunden, seine Lebenslust hat er seitdem verloren. Dies soll Robert zu einer Hauptfigur machen, mit der die Leserschaft Mitleid empfindet. Allerdings ist es nun schon der dritte Protagonist Fitzeks, der mithilfe von verschwundenen oder verstorbenen Kindern gebrochen erscheinen soll. Sowohl in Fitzeks Debüt „Die Therapie“ als auch in seinem zweiten Werk „Amokspiel“ hat er die Totes-Kind-Karte gezogen. Dass er dasselbe nun auch in seinem dritten Thriller macht, wirkt fast so, als wüsste Fitzek nicht, wie er seinen Protagonisten sonst Tiefe geben soll. Vielleicht ist das auch der Grund, aus dem ich keinen emotionalen Bezug zu Robert gefunden habe. Vielleicht ist es aber auch sein distanziertes Auftreten, das dafür sorgt, dass viele Leser*innen ihn als unnahbar oder gar unsympathisch beschreiben.

Fitzeks verwendet einen klaren, direkten und filmisch geprägten Schreibstil. Die Sprache ist einfach, modern und schnörkellos. Fitzek verzichtet auf lange, komplexe Sätze, denn besonders bei Thrillern liegt in der Kürze die Würze. Die Dialoge sind pointiert und treiben die Handlung voran, was das Tempo erhöht. Obwohl sich die Handlung auf gerade einmal vier Tage erstreckt, überschlagen sich die Ereignisse und es gibt nur wenig Ruhephasen. Dennoch würde ich „Das Kind“ nicht als Fitzeks spannendsten Thriller bezeichnen. Hauptsächlich lebt die Spannung von psychologischen Elementen, die aber deshalb nicht gut funktionieren, weil der emotionale Bezug zu den Figuren fehlt, sowie von den Mini-Cliffhangern am Ende fast jeden Kapitels. Wenn man aber schon einige Fitzeks gelesen hat, ist einem klar, dass diese nur ein Trick sind, um den Spannungsbogen künstlich aufzublähen, der wenige Seiten später wieder verpufft. Es gibt hier zwar keine Längen, aber eine Sogwirkung, wie ein sehr guter Thriller sie bietet, bleibt hier ebenfalls aus.

Der Psychothriller versucht sich an ernsten Themen wie Wiedergeburten, Krebserkrankungen, plötzlichem Kindstod oder Menschenhandel, bleibt dabei aber eher oberflächlich und setzt mehr auf Schockeffekte als auf eine tiefgehende Auseinandersetzung mit diesen Themen. Dadurch wirken sie mehr wie ein Mittel zum Zweck, statt authentisch oder sensibel beleuchtet zu werden. Auch wenn es Fitzek sicherlich fern lag, einen reißerischen Eindruck zu generieren, fehlte mir persönlich an manchen Stellen die angemessene Tiefe. Dies scheint jedoch ein Problem zu sein, das sich mit der Zeit bei ihm verwachsen hat, sind seine später publizierten Thriller, die ich teilweise gelesen habe, in dieser Hinsicht ganz anders verfasst.

Mein größtes Problem bei diesem Buch liegt jedoch woanders: Je länger man den Plot betrachtet, umso löchriger wird er. Zum Beispiel kommt Simon zu Beginn auf Robert zu und erklärt ihm, er bräuchte einen Strafverteidiger, weil er in seinem früheren Leben mehrere Menschen getötet habe. Aber warum sollte ein Zehnjähriger, der nicht einmal strafmündig ist, einen Anwalt brauchen? Mal abgesehen davon, dass man wohl eher in der Psychiatrie landet als im Gefängnis, wenn man einem Richter erklärt, man habe in einem früheren Leben gemordet und möchte jetzt doch bitte bestraft werden. Ein anderes Beispiel betrifft ebenfalls Simon. Als krebskrankes Kind liegt er auf einer neurologischen Station. Aufgrund der Chemo- und Bestrahlungstherapie ist sein Immunsystem stark geschwächt. Simon hat also eine erhöhtes Infektionsrisiko und zieht sich im Buch tatsächlich eine Lungenentzündung zu. Spätestens dann hätten die Ärzte bei ihm ein Schutzisolierung angeordnet, damit weitere Infektionen vermieden werden. Stattdessen bekommt Simon jedoch einen Mitpatienten, der mit ihm auf dem Zimmer liegt. Medizinisch betrachtet ist das für den Jungen eine lebensgefährliche Situation und kein realistisches Szenario. Dennoch möchte ich Fitzek nicht vorwerfen, er habe nicht recherchiert. Denn bei vielen medizinischen Fakten merkt man, dass Fitzek sich gut mit Krankheiten, Symptomen und Therapien auseinandergesetzt hat. Jedoch hat dies mir immer wieder vor Augen geführt, dass ich hier eine wild konstruierte Geschichte lese, die mit der Realität wenig zu tun hat. Bei Thrillern bevorzuge ich Plots, die nicht an den Haaren herbeigezogen wirken.

Das Ende ist teils vorhersehbar, teils unvorhersehbar. Das Finale ist durchaus spannend, aber da bis zuletzt der emotionale Bezug zu den Figuren fehlte, fiebert man nicht wirklich mit. Letztendlich bleiben viele Fragen offen. Dennoch kann man mit dem Abschluss einigermaßen zufrieden sein.

Fazit

„Das Kind“ gehört eher zu den schwächeren Psychothrillern von Sebastian Fitzek. Der schnelle Schreibstil und der spannende Einstieg machen erst einmal einen guten Eindruck, doch je weiter die Geschichte voranschreitet, umso konstruierter wirkt das Ganze. Robert Stern ist mal wieder einer von Fitzeks Protagonisten, der ein Kind verloren hat, um möglichst gebrochen zu erscheinen. Doch beim dritten Protagonisten in Folge ist das einfach nur noch einfallslos. Die Spannung wird auch dadurch erheblich abgeschwächt, dass der emotionale Bezug zu den Figuren eher schwierig ist. Insgesamt ist der Thriller aus dem Jahr 2008 zwar unterhaltsam, hat mich aber weder berührt noch zu einem Pageturner entwickelt. Deswegen erhält das Buch von mir zwei von fünf Federn. Dennoch werde ich auch nächstes Jahr einen weiteren Fitzek lesen, in der Hoffnung, dass „Der Seelenbrecher“ wieder besser sein wird.