Midnightsong

Eine Melodie verändert deinen Herzschlag
Meine April-Rezension 2025
Das Motto für die Lesechallenge im April lautet verkürzt: „Lies ein signiertes Exemplar“. Davon hatte ich exakt zwei auf meinem SuB, weshalb ich euch in meiner Story habe entscheiden lassen, welches Buch ich für die Challenge lesen soll. Gewonnen hat „Midnightsong“ von Nica Stevens. Diesen Liebesroman habe ich 2020 in einem Überraschungspaket vom Carlsen Verlag zugeschickt bekommen, über das ich mich wahnsinnig gefreut hatte. An dieser Stelle also noch einmal vielen Dank an den Carlsen Verlag für das Rezensionsexemplar! Da ich aber eine furchtbar schlechte Buchbloggerin bin, habe ich dieses Buch fünf Jahre lang auf meinem SuB versauern lassen (es tut mir leid!). Denn auch, wenn sich diese Rockstar-Romance ganz nett anhört, trifft sie kaum meinen Lesegeschmack und eigenständig hätte ich mir dieses Buch wohl eher nicht gekauft. Meine Hemmschwelle, noch zu diesem Buch zu greifen, wurde von Jahr zu Jahr größer. Die Lesechallenge hat mir also dabei geholfen, eine SuB-Leiche zu lesen, die sich zwar unterhaltsam anhört, an die ich aber keine hohe Erwartungshaltung hatte.
Inhalt
Die 18-jährige Lynn Collins ist erst vor wenigen Wochen aus ihrem Dorf in Virginia nach New York zu ihrer 24-jährigen Schwester Emily und ihren Freund Luca gezogen. Während Lynn noch nach einem Studienplatz in Kommunikationsdesign sucht, hilft sie gelegentlich im Café Eagle Rock aus, das ihre Schwester betreibt. Als Lynn eines Morgens das Café alleine öffnet, muss sie plötzlich die Band Reanimation vor einer Horde kreischender Fans retten. Der Sänger Ryle Cooper mit den dunkelblauen Augen geht ihr nach dieser Begegnung nicht mehr aus dem Kopf. Da eine Beziehung mit einem Rockstar jedoch aussichtlos ist, versucht Lynn ihn zu vergessen. Doch dann bekommt sie von Ryle einen Backstage-Pass für das kommende Konzert zugeschickt, und ihr Herz wird erneut auf eine harte Probe gestellt.
Cover
Auf dem Cover ist eine Nahaufnahme eines Pärchens abgebildet, das die Augen geschlossen hat und die Gesichter so dicht beieinander hält, dass sie sich fast berühren. Das Bild hat eine weiche, leicht verschwommene Ästhetik mit warmen, gedämpften lilafarbenen Tönen und einer sanften Lichtstimmung mit Bokeh-Effekten, die eine romantische Atmosphäre erzeugen. Überlagert wird das Cover von sechs dünnen, hellen, vertikalen Linien in der Mitte, die vermutlich die Saiten einer Gitarre darstellen sollen, um zu verdeutlichen, dass es sich hierbei um eine Rockstar-Romance handelt. Das Cover ist zwar ganz süß, aber auch etwas kitschig. Zudem bin ich einfach kein Fan von Covern mit echten Menschen darauf.
Kritik
„Mein erster Eindruck von New York war überwältigend und zugleich beängstigend gewesen.“, ist der erste Satz des ersten Kapitels. Die Protagonistin fungiert hier als Ich-Erzählerin im Präteritum. Obwohl der erste Satz tatsächlich im Plusquamperfekt steht, was für einen ersten Satz recht ungewöhnlich ist. Mit nicht einmal 350 Seiten und 38 Kapiteln plus Epilog ist „Midnightsong“ ein verhältnismäßig kurzer Roman, den man problemlos nebenbei lesen kann.
Protagonistin ist die 18-jährige Lynn Collins, die seit einigen Wochen bei ihrer älteren Schwester Emily in New York wohnt. Sie ist eine weiße US-Amerikanerin mit langen, braunen Haaren und grünen Augen. Ihre Persönlichkeit lässt sich hingegen weniger genau beschreiben, denn abgesehen von ihrer Leidenschaft für Fotografie und Bildbearbeitung, ist sie ein doch recht unscheinbares Mädchen. Sie ist eher ängstlich, still und weder besonders dumm noch besonders intelligent. Sie ist also insgesamt ein sehr durchschnittliches Mädchen, außer dass sie eine kleine Dramaqueen ist. Wenn Ryle plötzlich den Blick abwendet: Drama! Wenn ihm ein anderes Mädchen schreibt: Drama! Wenn sie zum hundertsten Mal feststellt, dass die beiden in verschiedenen Welten leben, die kaum miteinander vereinbar sind: Drama! Kein Wunder also, dass ich Lynn schnell nur noch als austauschbaren Platzhalter wahrgenommen habe. Als eine Protagonistin, in die sich jede 18-Jährige möglichst gut hineinversetzen können soll, und die deswegen möglichst wenig Ecken und Kanten hat. Deswegen habe ich Lynn als Protagonistin weder besonders gemocht noch verabscheut.
Stevens‘ Schreibstil ist eher flach und oberflächlich, aber dadurch auch leicht zu lesen. Die Sprache ist sehr gradlinig. Sie verzichtet größtenteils auf Details, wodurch ein schnelles Tempo erzeugt wird. Für meinen Geschmack ein zu schnelles Tempo, denn oft hatten emotionale Passagen zu wenig Zeit, um sich atmosphärisch zu entfalten. Auch die Dialoge wirken häufig künstlich, insbesondere in der ersten Hälfte des Romans. So säuselt Ryle Lynn bei ihrem ersten Treffen aus dem Nichts zu: „Eine Melodie verändert deinen Herzschlag. Ihr sanfter Klang streichelt deine Seele, ein schneller Rhythmus beschleunigt deine Atmung und kraftvolle Akkorde setzen Adrenalin frei.“ (S. 15). Ich habe diese Stelle meinem Freund laut vorgelesen und wir beide mussten darüber lachen. Denn welcher Typ redet schon so? Vor allem mit einer Fremden nach einer Stresssituation? Nicht selten wirkt dieses Buch klischeebeladen und banal.
Um es noch einmal deutlich auszudrücken: Dieses Buch ist Urlaub fürs Gehirn. Das muss allerdings nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Denn nach einem anstrengenden Arbeitstag oder wenn man mit Kopfschmerzen im Bett liegt, kann solch eine seichte Unterhaltung auch wohltuend sein. Was mir hier jedoch fehlt, ist irgendeine Form von Mehrwert. Sei es ein glaubhafter Blick hinter die Kulissen vom Arbeitsalltag einer erfolgreichen Band oder auch nur ein Hauch von Musiktheorie. Stattdessen gelingt es der Autorin während des ersten Konzertes nicht einmal genau zu erklären, wer welches Instrument spielt. Bei zwei Bandmitgliedern wird erwähnt, dass sie ihre Gitarren stimmen. Sie hält es aber erst später für nötig zu erwähnen, dass es sich bei einer Gitarre um eine Bassgitarre handelt. Ich hatte mich schon kurz gefragt, ob die Band keinen Bassisten hat, weil ich bei zwei Gitarren von einem Lead- und einem Rhythmusgitarristen ausgegangen war. Anderes Beispiel: Die Band Reanimation tourt während der Handlung durch die USA. Gleichzeitig behauptet Ryle aber, er müsse für das kommende Album noch einen Song schreiben und hätte dafür eine Deadline. Wenige Tage später ist dieser Song bereits fertig aufgenommen und als Datei auf einem USB-Stick. Einige Tage danach sieht Lynn die Band im Fernsehen, wie sie ihr neues Album promotet. Als passionierter Rockmusik-Fan bin ich beim Lesen mehrmals vom Glauben abgefallen. Denn die Arbeitsstruktur einer Rockband folgt immer einem relativ klaren Zyklus: Der Songwriting-Phase, der Studiophase, der Promo-Phase, der Tourphase und zum Schluss das Reboot. Obwohl Reanimation zu Beginn des Buches von einem Promotermin kommt, spielen sie am selben Abend ein Konzert ihrer Tour, nur um einige Tage später dann Songwriting zu betreiben. Außerdem haben sie offensichtlich mindestens einen Tag im Studio verbracht, um kurz darauf das nächste Album zu promoten. Hier schmeißt die Autorin also alle Phasen wild durcheinander. Offenbar geht es hier nicht um Logik, sondern um eine schnulzige Liebesgeschichte.
Dieses Buch ist leider in vielerlei Hinsicht nicht wirklich zu Ende gedacht. Zwei Beispiele: Als Lynn die Band als Tourfotografin begleiten soll, sucht sie beim Packen nach ihrem Reisepass. Am Flughafen, als sie von New York nach Chicago fliegt, wird sogar angedeutet, dass sie Probleme bekommen könnte, wenn sie den Pass nicht bei der Kontrolle vorzeigen kann. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Inlandsflug, und da Lynn US-Amerikanerin ist, muss sie überhaupt keinen Reisepass vorlegen. Ihr Führerschein oder ihre State-ID (Personalausweis) wären absolut ausreichend. Oder als Lynn etwas näher Bekanntschaft mit Ryles Bodyguard Bruce macht und ihm sagt: „Sie brauchen mich nicht zu siezen“. Wir erinnern uns: Lynn und Bruce sind US-Amerikaner. Die Geschichte spielt in den USA. Sie reden also offensichtlich auf Englisch, einer Sprache, in der grundsätzlich nicht gesiezt wird. Ich musste mich erst einmal facepalmen, als ich dieses leise „You can say you to me“, in meinem Ohr hörte. Ein bisschen Mitdenken ist manchmal doch ganz nützlich.
Ein ganz großes Problem, das Midnightsong leider hat ist, dass es falsch vermarktet wurde. Es wird als Rockstar-Romance beworben, aber wenn Reanimation etwas nicht ist, dann eine Rockband. Als ich den Klappentext gelesen habe, habe ich mir vor meinem geistigen Auge eine süße Lovestory mit dem Sänger einer aufstrebenden Indie-Rockband aus New York vorgestellt (so ähnlich wie Vampire Weekend). Was man jedoch aufgetischt bekommt, ist eine weichgespülte Boyband, die für kreischende Teenies gecastet wurde, uniformiert gekleidet und völlig durchkommerzialisiert ist. Solltet ihr Fans von One Direction oder BTS sein, kommt ihr hier vielleicht auf eure Kosten. Dass Reanimation hingegen die absoluten Superduperstars sein sollen, die schon mithilfe ihres Debütalbums zu Multimillionären wurden, hat der Geschichte für mich einer Menge Romantik beraubt. Ist es wirklich Ryles Persönlichkeit, die Lynn anzieht, oder doch vielmehr sein Geld und sein Ruhm? Oder ist es vielleicht das Konzept, dass er tausende Mädchen hätte haben können, sich aber für Lynn entschieden hat? So oder so, wäre das Marketing des Buches anders gewesen, wären weniger Erwartungshaltungen gebrochen worden.
Der Plot mag zwar vorhersehbar sein und auch die klischeehaften Figuren sind sicherlich kein Novum. Auf eine banale Art hat mich Midnightsong aber gut unterhalten. Es gibt keine nennenswerten Längen und mit seinem künstlichen Drama (gerade geknutscht, jetzt gefetzt) macht es ähnlich viel Spaß wie manchmal Reality TV. Wie die Lovestory wird auch das Ende für meinen Geschmack zu hastig abgehandelt, aber insgesamt ist der Roman zufriedenstellend zu einem Abschluss gebracht.
Fazit
„Midnightsong“ von Nica Stevens ist ein oberflächlich unterhaltsamer, aber wenig Tiefgang bietender Liebesroman, der sich vor allem an weibliche Leserinnen im Alter von 16-20 Jahren richtet, die sich an seichter Romantik erfreuen. Die flache Sprache, klischeehafte Dialoge und logischen Brüche machen es schwer, emotional in die Geschichte einzutauchen oder sie als realistisch zu empfinden. Die Protagonistin bleibt austauschbar, die Handlung folgt bekannten Mustern, und der versprochene Rockstar-Vibe entpuppt sich als weichgespülte Boyband-Fantasie. Bei aller Kritik an diesem Buch möchte ich noch einmal betonen, dass ich mich zwar sehr über die Bloggerbox gefreut habe, mir das Buch aber nie selbst ausgesucht hätte und ich allgemein eine sehr undankbare Abnehmerin für dieses Genre bin. Dennoch erfüllt das Buch seinen Zweck als leichte Lektüre für zwischendurch, wenn man mal den Kopf freibekommen möchte. Deswegen bekommt „Midnightsong“ aus dem Jahr 2020 von mir volle zwei von fünf Federn. Falls ihr das Buch gerne lesen wollt, müsst ihr es entweder gebraucht oder die überarbeitete Neuauflage kaufen, die bei einem Kleinverlag erschienen ist.
