Singe, fliege, Vöglein, stirb
Wer ist vertrauenswürdig?
Meine zweite Oktober-Rezension 2017
Mit „Singe, fliege, Vöglein, stirb“ aus dem Jahr 2014 endet Janet Clarks Jugendtrilogie. Der Thriller hat fast 350 Seiten und erzählt wie gewohnt eine von den Vorgängern unabhängige Geschichte. Neues Spiel, neues Glück und sowohl die Möglichkeit die ersten beiden Bände zu übertrumpfen, als auch gnadenlos in ihren Schatten zu stehen.
Inhalt
Cover
Kritik
Ina ist die letzte weibliche Protagonistin dieser Trilogie, die übrigens alle sehr ähnliche Namen haben. Vielleicht erinnert ihr euch, dass die vorherigen Hauptfiguren Jana und Sina hießen. Wie auch diese, hat Ina eine besondere Leidenschaft. War es bei Jana das Zeichnen und bei Sina das Basketball spielen, ist es bei Ina das Motorrad fahren. Außerdem kommt sie aus einem sehr ökologisch orientierten Elternhaus und ist außergewöhnlich tierlieb. Mir hat es besonders gut gefallen, dass sie für eine junge Frau ungewöhnliche Interessen hat, ohne gleich als burschikos dargestellt zu werden. Sie wäre mir fast sympathisch gewesen, wäre da nicht ihre starke Eifersucht. Als sie Aaron und Casey in einer Umarmung sieht, ist sie emotional so geladen, dass sie nicht gerade zur Deeskalation der Situation beiträgt und später geraten Casey und sie dann erneut aneinander. Sie gibt Aaron kaum eine Gelegenheit sich zu rechtfertigen und misstraut ihm von jetzt auf gleich, als würde sie Casey eher glauben als ihm. Letztendlich landen Aaron und Ina auch im Visier der Polizei, weil Ina kurz vor Caseys Tod in der Öffentlichkeit noch ein Handgemenge mit ihr provoziert hat. Hätte sie etwas mehr Reife für ihr Alter bewiesen, hätte sie Aaron und sich wohl einige Anfeindungen erspart.
Mit Aaron bin ich leider noch weniger warm geworden, was vor allem an seiner sprachlichen Darstellung lag. Wenn zwei Protagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen, sollten idealerweise zwischen beiden so große sprachliche Unterschiede liegen, dass man sie problemlos differenzieren kann. Das ist eigentlich besonders gut möglich, wenn sie unterschiedlichen Geschlechts sind. Hier ist es allerdings vollkommen misslungen, denn außer ein paar gekürzten Worten, besitzt Aaron kaum Individualität. Im Gegenteil: Seine Formulierungen sind teilweise zu blumig und zu metaphorisch für einen jungen Mann und besitzen eher Clarks weibliche Handschrift. So beschreibt er beispielsweise einmal, dass ihm etwas die Luft abschnüren würde wie ein zu strammes Korsett. Macht jetzt bitte nicht den Fehler und stellt euch einen jungen Mann im Korsett vor, der leicht bläulich anläuft, das nimmt der Szene dann jede Seriosität. Aber vielleicht ist Aaron auch einfach ein feminin angehauchter Typ, wer weiß?
Ein weiterer Kritikpunkt wäre die Darstellung der Medien, die hier gänzlich realitätsfremd ist. So soll die Presse während laufender Ermittlungen Verdächtige namentlich und bildlich abgedruckt und Ermittlungsdetails veröffentlicht haben, was der Polizei eher Steine in den Weg legen würde und von dieser umgehend verurteilt worden wäre. Außerdem werden die Informationen normalerweise streng unter Verschluss gehalten. Zwar beschuldigt Aaron die Polizei einen Spitzel in ihren Reihen zu haben, doch das wird mit einem Schulterzucken einfach hingenommen. Als vor dem Präsidium ein Mob an Wutbürgern Hassparolen über Aaron ruft, unternimmt die Polizei weder etwas, um den Mob aufzulösen, noch um Aaron vehement davon abzuhalten vor die Tür zu treten und mit Steinen beworfen zu werden. Dazu kommt, dass auf Facebook angeblich alle Kommentare Shitstorms gegen Aaron seien, nur Ina ihn in Schutz nimmt und dafür direkt verbal attackiert wird. Die Realität sieht aus: Heute noch habe ich einen Artikel über einen Hausarzt gelesen, der von einer Patientin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt wurde. Es wurde weder der Name des Arztes oder der Patientin, noch Bilder von ihm oder seiner Praxis abgebildet. Die einzige Information war die Nennung des Ortsteils, in dem sich die Praxis befindet. Ginge es nach Clark, wäre die Kommentarspalte voll mit Beleidigungen, Wut und Hass. In Wahrheit waren die Top-Kommentare aber eine Frau, die kritisierte, dass die Nennung des Ortsteils bereits grenzwertig sei, da sich in diesem nur zwei Hausarztpraxen befänden und die Zeitung selber, die in ihrem Kommentar noch einmal auf die Unschuldsvermutung aufmerksam machte und darüber informierte, dass beleidigende Kommentare umgehend gelöscht werden. Doch wie schon in „Sei lieb und büße“ kombiniert Clark einfach Überdramatisierung mit Realitätsferne und versucht sich ohne großen Erfolg an Gesellschaftskritik.
Zu „Singe, fliege, Vöglein, stirb“ habe ich mir selbst bereits zwei Rezensionen von Booktuberinnen angeschaut und beide waren sich einig, dass sie bei der Vermutung, wer der Täter war, falsch gelegen hatten und die Auflösung nicht vorhersehbar sei. Dem muss ich persönlich widersprechen. Noch schneller als bei „Schweig still, süßer Mund“ hatte ich einen Verdacht, der sich letztendlich auch bestätigt hat. Es war für mich keine große Überraschung, denn noch vor Seite 50 werden im Abstand von nicht einmal zehn Zeilen zwei offensichtliche Zusammenhänge genannt, die den Täter für mich schon nahezu entlarvt haben. Als im weiteren Verlauf dann versucht wurde in alle möglichen Richtungen falsche Fährten zu legen, hat mich das Ganze so stark an den ersten Band erinnert, dass ich mir ab dem zweiten Drittel nahezu sicher war den Täter zu kennen. Ab diesem Punkt wurde der Jugendthriller für mich auch wahnsinnig langatmig, weil die meisten Passagen aus Dialogen bestehen, die Hypothesen und Theorien über potenzielle Täter und Tathergänge auftischen, während ich mir sicher war, dass die meisten davon nur Gespräche sind, die den Leser fehlleiten sollen. Durch die letzten 100 Seiten habe ich mich dann weitestgehend gequält, nur getröstet von kleineren gelungenen Plottwists.