Der letzte Wunsch
Toss a coin to your Witcher
Meine dritte März-Rezension 2024
Das Motto der Lesechallenge für März lautete: „A, B, C – Lies ein Buch, das mit dem ersten Buchstaben deines Nachnamens beginnt“. Das hat mich vor größere Probleme gestellt, als ich anfangs gedacht habe. Mein Nachnamen beginnt mit H, und ich hatte tatsächlich kein einziges Buch auf meinem SuB, das mit H beginnt. Wie sollte ich die Challenge also bestreiten? Sollte ich vielleicht einfach „Harry Potter und der Stein der Weisen“ rereaden? Oder ein Buch lesen, das mit G oder I beginnt, also den Buchstaben vor und nach dem H? Während ich vor dem Bücherregal stand, kam mir dann die zündende Idee: Ich könnte einen Band aus der Hexer-Reihe lesen. Gesagt, getan! „Der letzte Wunsch“ ist das erste Prequel der High Fantasy-Saga. Die Reihenfolge, in der man die Bücher lesen soll, ist teilweise umstritten. Ich habe mich aber für die Abfolge entschieden, die auf Lovelybooks empfohlen wird. „Der letzte Wunsch“ erschien 2006 auf Deutsch und ist eine Kurzgeschichten-Sammlung rund um den berühmten Hexer Geralt von Riva.
Inhalt
Geralt von Riva ist ein Hexer. Das heißt, dass er durch die Nördlichen Königreiche zieht und den Menschen seine Dienste im Kampf gegen Ungeheuer anbietet. Ob Drachen, Gabelschwänze, Striegen, Vampire, Bruxen, Ertrunkene, Kikimoren, Werwölfe, Waldschrate, Trolle oder andere fantastische Wesen: Mit dem nötigen Kleingeld löst der Hexer die Probleme von Bettlern bis hin zu Königen. Doch nicht immer sind die magischen Geschöpfe die wahren Monster. Als Geralt in Wyzima ankommt, der Hauptstadt Temeriens, wird er vom ansässigen Vogt um die Beseitigung einer Striege gebeten, die aus der Verbindung König Foltests mit seiner Schwester Adda hervorgegangen sein soll. Ob Geralt sie tötet oder sie von ihrem Fluch erlöst, ist allein seine Entscheidung. Um den Fluch zu brechen müsste Geralt allerdings von Sonnenuntergang bis -aufgang mit der Striege in derselben Gruft verbringen. Doch bisher hat niemand, der dies versucht hat, die Nacht überlebt.
Cover
Pünktlich zur Netflix-Serie The Witcher haben die Bücher neue, und meiner Meinung nach wunderschöne Cover erhalten. Es zeigt eine Fledermaus im Profil vor einem verschnörkelten Wappen in metallischen Silber-, Violett- und Weinrottönen. Dahinter liegt eine graue, fleckige Wand, die nach unten hin immer dunkler wird. Das besondere ist hier nicht nur das Cover selbst, sondern die Details am Buchumschlag. So ist der Hintergrund angeraut. Die Motive sind mit Hoch- und Tiefprägung akzentuiert. Ein besonderer Hingucker ist die Glanzfolie, die dem Wappen zusätzlich Tiefe verleiht. Kurzum, das Cover hier ist stilvoll und hochwertig.
Kritik
„Es ging auf den Morgen zu, als sie zu ihm kam.“, ist der erste Satz der ersten Episode, die einem Prolog anmutet, jedoch nicht als solchen bezeichnet wird. Allgemein ist die Struktur des Romans interessant wie außergewöhnlich. Es gibt sieben Episoden mit dem Namen „Die Stimme der Vernunft“, die die insgesamt sechs Kurzgeschichten einrahmen. Diese sechs Kurzgeschichten heißen „Der Hexer“, „Ein Körnchen Wahrheit“, „Das kleinere Übel“, „Eine Frage des Preises“, „Der Rand der Welt“ und „Der letzte Wunsch“. Dieser Roman ist also nach seiner letzten Kurzgeschichte benannt. Jede Geschichte erzählt eine andere Erfüllung eines Auftrags, den Geralt als Hexer erledigt.
Besonders schön ist übrigens auch die Karte der Nördlichen Königreiche, die sich in der Innenseite des Umschlags befindet. Sie macht die Leserschaft mit der fiktiven Welt des Hexers vertraut und ist für alle, die bereits The Witcher 3 gespielt haben, ein altbekanntes Bild. Gerade Hexer-Neulinge sollten sich die Zeit nehmen und die Karte aufmerksam studieren, um sich grob in der Fantasy-Welt zurechtzufinden. Königreiche wie Redanien, Temerien, Kaedwen, Cintra oder die Skellige-Inseln sowie das Herzogtum Ellander zu kennen, ist für das Verständnis der durchaus komplexen Welt sicherlich von Vorteil.
Protagonist ist Geralt von Riva, ein über 100 Jahre alter Hexer. Hexer haben übernatürliche Fähigkeiten und altern deutlich langsamer als gewöhnliche Menschen, weshalb er eher wie ein Mann mittleren Alters wirkt. Er gehört der Wolfsschule der Hexer an, die in Kaer Morhen ausgebildet werden, weshalb er um den Hals ein Medaillon mit einem Wolfskopf trägt. Dieses Medaillon reagiert auch auf Magie und macht sie durch Schwingungen für Geralt spürbar. Er hat schneeweiße Haare, dunkelgoldene, katzenartige Augen und eine Narbe, die von seiner Stirn hinunter über sein linkes Auge verläuft. Als Hexer trägt er stets zwei Schwerter bei sich. Eines aus Stahl für menschliche Feinde und eines aus Silber für übernatürliche Erscheinungen. Neben seines Schwertes setzt er im Kampf auch die sogenannten Zeichen wie Aard, Axii oder Yrden ein, eine spezielle Art von Zaubersprüchen. Seine Stimme soll einen unangenehmen, metallischen Klang haben und er soll selten, fast schon widerwillig lächeln. Oft wird ihm Gefühlskälte vorgeworfen, tatsächlich hat Geralt aber einen hohen Sinn für Gerechtigkeit und Mitgefühl für seine Mitmenschen. So nimmt er bspw. bei armen oder alten Menschen weniger Geld für seine Dienste oder wendet sich ggf. gegen seinen Auftraggeber, wenn dieser gegen Geralts Prinzipien agiert. Er ist gleichermaßen mysteriös, mürrisch, schweigsam, intelligent, zynisch und faszinierend. Für mich ist Geralt einer der besten Protagonisten aller Zeiten. Kein Mann der vielen Worte, aber einer des schnellen Geistes, der nach außen hin ein tougher Badass ist, hinter der Fassade aber verletzlicher ist, als es zunächst den Anschein hat.
Die Romanwelt zeigt viele Parallelen zum Spiel The Witcher 3, das ich gespielt und abgöttisch geliebt habe. Die Kurzgeschichten fühlen sich an wie ein Hexerauftrag, bei dem Geralt zuerst über verschiedene Wege an einen Auftrag kommt, mit dem Auftraggeber um den Preis feilscht, nach Spuren sucht und womöglich dann noch entscheiden muss, auf wessen Seite er steht. Nicht zu vergessen der packende Kampf. Grundsätzlich ist das Spiel atmosphärisch so nah an dem Buch, dass ich nur staunen konnte. Während ich mit der Netflix-Serie nie über die zweite Folge hinaus gekommen bin, passen Buch und Spiel wie die Faust aufs Auge. Solltet ihr The Witcher 3 also noch nicht gespielt haben, kann ich es euch nur ans Herz legen.
Der Schreibstil hat mich wahnsinnig schnell für sich eingenommen. Immer wieder habe ich mir Zitate im Buch markiert, die mich wirklich sehr berührt haben. Zwei Favoriten über Hexer bzw. das Monster im Menschen möchte ich euch hier zitieren:
„Ich hielt dich für ein blindes, blutrünstiges Werkzeug, für jemanden, der gedanken- und gefühllos tötet, das Blut von der Klinge wischt und das Geld zählt. Doch ich habe mich überzeugt, dass der Beruf des Hexers wirklich Achtung verdient. Du schützt uns nicht nur vor dem Bösen, das im Dunkeln lauert, sondern auch vor dem, das in uns selbst steckt.“ (S. 217)
„Wenn sie sich volllaufen lassen, betrügen, stehlen, die Frau mit dem Riemen prügeln, die alte Großmutter hungern lassen, mit der Mistgabel einen in die Falle geratenen Fuchs erstechen oder das letzte Einhorn der Welt mit Pfeilen spicken, stellen sie sich gern vor, dass die Mora, die im Morgengrauen durch die Hütten geht, noch schlimmer ist als sie.“ (S. 232)
Jede Kurzgeschichte bietet nicht nur eine Moral, sondern auch ein tiefgreifenderes Verständnis dafür, wer Geralt als Figur eigentlich ist, was seine Vorgeschichte ist und wie die Welt funktioniert, durch die er streift. So lernt man zum Beispiel Geralts moralischen Kompass und seine Fähigkeiten als Hexer besser kennen. Man findet Antworten auf Fragen wie: Wieso nennt man Geralt den „Schlächter von Blaviken“? Wer waren Ciris Eltern? Gibt es in den Nördlichen Königreichen eigentlich Elfen? Und wie haben sich eigentlich Geralt und Yennefer kennengelernt? Für Einsteiger in das Witcher-Universum also die perfekte Lektüre.
Das Ende liefert dann ordentlich Foreshadowing auf die Hauptreihe und lässt mich persönlich wehmütig zurück. Das soll es schon gewesen sein mit „Der letzte Wunsch“? Ich bin doch gefühlt gerade erst in der Welt des Hexers angekommen. Ich will mehr! Diese Fantasy-Welt hat sich mit ihrem komplexen Worldbuilding einen großen Platz in meinem Herzen ergattert. Für mich ist es das beste Fantasy-Universum, seitdem ich Das Lied von Eis und Feuer gelesen habe. Es gibt immer wieder neue spannende Informationen, die die Nördlichen Königreiche wie ein Sammelsurium aus gefährlichen Ungeheuern, exotischen Pflanzen und intriganter Politik präsentieren. Ich bin definitiv zu 100% angefixt!
Fazit
Wow, was für ein großartiges Buch! „Der letzte Wunsch“ von Andrzej Sapkowski hat alles, was eine perfekte High Fantasy-Saga braucht: ein komplexes Worldbuilding voller Überraschungen, einen ausgezeichneten Schreibstil, raffinierte Dialoge, einen spitzzüngigen Humor, tiefgründige Figuren und natürlich Geralt von Riva als facettenreichen und faszinierenden Protagonisten. Es würde den Rahmen sprengen alles aufzuzählen, was mich an diesem Roman begeistert hat, denn so schnell komme ich aus dem Schwärmen wohl nicht mehr heraus. Das Lesen hat enormen Spaß gemacht und als ich das Buch beendet hatte, war ich traurig, dass es (vorerst) schon vorbei ist. Immer ein sehr gutes Zeichen! Für mich sind diese High Fantasy-Kurzgeschichten ein Jahreshighlight. Deswegen bekommt „Der letzte Wunsch“ aus dem Jahr 2006 von mir alle fünf Federn. Vor allem die Kurzgeschichten „Der Hexer“, „Das kleinere Übel“ und „Eine Frage des Preises“ sind meiner Meinung nach außergewöhnlich gut. Auch wenn ich heute noch nicht weiß, wann ich den zweiten Vorgeschichten-Band „Das Schwert der Vorsehung“ lesen werde, nehme ich es mir felsenfest und mit großer Vorfreude vor.
Ihr braucht eine Zweitmeinung? Paula von „Zwischen Prinzen und Bad Boys“ hat ebenfalls eine lesenswerte Rezension über dieses Buch verfasst:
Zwischen Prinzen und Bad Boys: Der letzte Wunsch