Die Mächtige
Ein magisches Buch?
Meine August-Rezension 2022
Nebenjob und Hausarbeiten sind aktuell meine absoluten Lesekiller. Wenn ich nebenbei noch viel Fachliteratur lesen muss, bleibt das literarische Hobby leider auf der Strecke. Im August habe ich tatsächlich nur ein Buch beendet, dafür aber einen dicken Schinken mit über 700 Seiten: „Die Mächtige“ von Trudi Canavan. Der dritte Band der vierteiligen High Fantasy-Reihe erschien 2017 auf Deutsch und sollte ursprünglich die Saga abschließen. Erst unmittelbar nach der Veröffentlichung des vermeintlichen Finales wurde bekannt, dass ein damals noch titelloser vierter Band die Reihe beenden wird. Deshalb wollte ich wissen, ob der dritte Band bereits einen runden Abschluss hat, oder ob sich am Ende herauskristallisiert, dass noch viele Fragen offen sind.
Inhalt
Fünf Jahre sind vergangen, seitdem der Raen sich selbst getötet hat und der magische Wiederbelebungsversuch gescheitert ist. Ohne Nachfolger versinken die tausend Welten immer mehr im Chaos. Der junge Magier und ehemalige Anführer der Rebellengruppe Tyen Eisenschmelzer, der sich jetzt Tyen Scheibenmacher nennt, hat sich ein neues Leben als Erfinder in einer Töpferwerkstatt der Stadt Alba in der Welt Doum aufgebaut. Auch wenn er als Außenweltler mit Ablehnung und Vorurteilen zu kämpfen hat, hat er den Respekt einiger Bewohner gewonnen, indem er ihnen mit seinen Erfindungen die Arbeit erleichtert. Doch dann wird der Töpfermarkt von Unbekannten überfallen, zerstört und Händler werden ermordet. Meisterglaser Rayf bittet Tyen um Hilfe bei den Untersuchungen und dieser findet schnell heraus, dass die Auftraggeber Händler aus der Parallelwelt Murai sind. Als Tyen sich dann mit dem Kaiser Murais anlegt, ist sein Leben in ernsthafter Gefahr, denn auf ihn wird eine Magierin angesetzt, die noch stärker sei soll als er: Rielle Lazuli.
Cover
Das Cover reiht sich wunderbar in die Reihe ein. Der Hintergrund ist wie immer schwarz. Im Vordergrund steht eine illustrierte junge Frau in einer weiten rotorangen Kapuzenrobe. Zum ersten Mal lässt sich das weibliche Gesicht erkennen. An den Ärmeln und an der Brust ist das Gewand mit goldenen Stickereien verziert und auch die weiten goldenen Spitzenärmel sind auffällig. Die junge Frau, die vielleicht Rielle sein soll, obwohl ihre Haut dafür zu hell ist, hält ihre linke Handfläche nach oben, während sie die rechte nach vorne ausstreckt. Um ihre Körpermitte kreisen unterschiedlich große glühende Kugeln, die leuchtende kreisrunde Bahnen um sie ziehen. Vielleicht soll dies symbolisieren, dass Rielle mächtig genug ist, um die Welten, die die Kugeln darstellen, nach ihrem Willen zu lenken. Möglicherweise ist dies sogar eine Anspielung darauf, dass nun Rielle die Herrschaftsposition des Raen übernimmt. Aber das ist vorerst nur Mutmaßung.
Kritik
„Das Rumpeln war eher zu fühlen als zu hören, ein tiefes Beben, das von den Füßen aufgenommen durch Mark und Bein ging und in der Brust seine natürliche Resonanz fand.“, ist der erste, ziemlich lange Satz des ersten Kapitels. Hiermit beginnt ein Wendepunkt in Tyens Leben, das die Leserschaft noch gar nicht kennt, denn auch hier liegt der Zeitsprung zwischen zwei Büchern wieder bei fünf Zyklen, was ungefähr fünf Jahren entspricht, so wie es schon bei „Der Wanderer“ war. Perspektivisch und strukturell hat sich ebenfalls nicht viel im Vergleich zu den Vorgängern verändert. Wieder sind es knapp über 700 Seiten, die dieses Mal in 11 Teile plus Epilog aufgespalten sind. Jeder Teil erzählt die Geschichte eines der Protagonisten im Präteritum und der personalen Perspektive, entweder durch Tyen oder Rielle. Neu ist, dass die beiden sich inzwischen kennen und regelmäßig treffen. Beide haben Respekt voreinander, auch wenn sie auf unterschiedlichen Seiten stehen. Es kommt gleichermaßen zu einem Kräftemessen, als auch zu dem Versuch, gemeinsam einen Kompromiss zu finden und zusammenzuarbeiten. Interessant ist auch, dass sie sich attraktiv und anziehend finden. Möglicherweise läuft es hier noch auf eine Liebesgeschichte zwischen beiden Protagonisten hinaus. Wobei der Klappentext in „Die Begabte“ vielmehr andeutete, dass Tyen in Pergama verliebt sei, allerdings habe ich das nie eindeutig aus den Büchern herausgelesen. Es gibt zwar Anspielungen darauf, aber selbst Tyen zweifelt, ob man wirklich von Liebe sprechen kann.
Eine der wichtigsten Figuren neben Tyen und Rielle ist Baluka. Er ist ein dunkelhäutiger junger Mann, der als muskulös beschrieben wird. Seine Nase ist breit und flach, seine Lippen voll. Er gehört dem Volk der Fahrenden an, Händler, die durch die Welten reisen und exotische Waren an- und verkaufen. Obwohl das Weltenreisen unter dem Regime des Raen verboten war, haben die Fahrenden dafür eine Sondergenehmigung und mussten keine Strafen fürchten. Baluka ist derjenige, der Rielle in einer einsamen Wüstenwelt findet, in die sie von der Magierin Inekera gestoßen wurde, und rettet ihr so das Leben. Er verliebt sich in Rielle und verlobt sich mit ihr. Als dann Valhan auftaucht und Rielle mitnimmt, um ihre magischen Kräfte zu nutzen, schließt sich Baluka, von Wut zerfressen, den Rebellen an, bei denen er zügig zum Anführer avanciert. Zwar gelingt es der Rebellengruppe, den Raen in die Enge zu treiben und seinen Tod auszulösen, dennoch kann er Rielle damit nicht zurückgewinnen. Baluka ist ein gutmütiger, kluger und mutiger junger Mann, dessen Intelligenz und magische Fähigkeiten aber nicht mit denen von Tyen und Rielle mithalten können, sodass er stets die zweite Geige spielt. Zwar bittet er Tyen, ihn bei seiner Suche nach Rielle zu unterstützen, scheint sich aber gleichzeitig gelegentlich Interesse an anderen Frauen zu zeigen. Da Baluka Rielle in vielerlei Hinsicht nicht das Wasser reichen kann, bezweifle ich, dass aus den beiden ein Paar wird. Auf mich wirkt er zudem recht austauschbar und profillos.
Besonders bei Rielle spürt man, dass sie einen starken, aber glaubhaften Charakterwandel durchlebt hat. Von einem ängstlichen und naiven Mädchen, das sich vor ihrer eigenen Familie fürchtete, ist sie zu einer mächtigen, schönen und willensstarken jungen Frau geworden, die sogar als potenzielle Nachfolgerin des Raen gehandelt wird. Auch ist sie zunehmend sympathischer geworden. Inzwischen ist Rielle eine stolze und bewundernswerte Magierin.
Ein großes Problem, das ich dagegen mit „Die Mächtige“ hatte, war das zunehmende Entfernen vom ursprünglichen Ziel des Plots. Während im ersten Band noch das wichtigste Ziel war, Pergama wieder zu einem echten Menschen zu machen, rückt dies inzwischen zunehmend in den Hintergrund. In „Der Wanderer“ entwickelte sich der Plot in dieser Hinsicht durch das Abkommen zwischen Tyen und dem Raen nach vorne, aber seit dem Tod Valhans wird bloß auf der Stelle getreten. Vielmehr hat sich das Geheimnis um Pergama inzwischen herum gesprochen und Tyen muss aufpassen, dass sie ihm nicht gewaltsam geraubt wird. Canavan hat hier leider den roten Faden verloren und sich in den komplexen Welten, die sie aufgebaut hat, verstrickt und verheddert.
Sprachlich habe ich nach wie vor dieselben Kritikpunkte wie bei den Vorgängern, denn es gibt unfassbar viele wiederholende Floskeln der Mimik und Gestik, die mich nach inzwischen über 2000 Seiten Canavan zunehmend nerven. Fast auf jeder Seite finden sich exakt dieselben Sätze: „Er runzelte die Stirn“, „Er schüttelte den Kopf“, „Er zog die Augenbrauen hoch“ oder mein persönlicher ‚Favorit‘: „Er zuckte die Achseln“. Die Formulierung ist an sich schon nicht die beste, nachdem ich sie aber, ohne Übertreibung, mehrere hundert Mal gelesen habe, hängt sie mir richtig zum Hals raus. Dies trübt den eigentlich stillen, soliden und nicht zu banalen Schreibstil der Autorin. Hinzu kommen spürbare Längen. Es gibt zu viele Verhandlungen und zu wenig Handlungen. Negativ verstärkt werden die zahllosen Dialoge durch die repetitiven Gestikfloskeln. Irgendwer wird garantiert wieder Zuckungen in den Achselhöhlen haben oder sich durch das ständige Kopfschütteln das Genicke brechen. Die Dialoge erscheinen steif, mechanisch und uninspiriert. Auch die Monologe der Protagonisten werden deutlich überstrapaziert. Hier werden alle Details seitenlang durchdacht und jede Eventualität abgewogen. Man hat das Gefühl, Canavan traut ihrer Leserschaft kein eigenständiges Denken zu und möchte es ihr abnehmen, indem sie einem alles vorkaut. Um diese Längen zu verhindern, hätte man locker 100 Seiten aus dem Buch kürzen können.
Das alles führt dazu, dass der Sog, der sich bei Canavan normalerweise ab dem dritten Band entwickelt, ausbleibt. Langsam kristallisiert sich heraus, dass diese Reihe mit den anderen der Autorin nicht mithalten kann. Die Protagonisten springen durch viele Welten, deren Landschaften allesamt beschrieben werden, obwohl diese meist der Weg und nicht das Ziel sind. Sie rauschen an einem vorbei, wie bei einer stundenlangen Zugfahrt. Dazu wird immer wieder detailliert erklärt, dass die Figuren Haken schlagen und Umwege gehen, um potenzielle Verfolger abzuhängen. Auch hier gibt es zu viele überflüssige Details, die den Mittelteil sehr langatmig machen. Bis zum Endteil muss man sich leider mit eisernem Willen durchbeißen.
Hat man das Ende dann endlich erreicht, wird man nur teilweise dafür belohnt. Es ist zwar irgendwo zufriedenstellend, aber weder spektakulär, noch überraschend. Nicht alle Konflikte werden gelöst, wodurch hier spürbar Raum für eine Fortsetzung gelassen worden ist. Gerade weil nicht alle Fragen beantwortet sind, möchte ich, trotz aller Kritik, die Reihe nicht abbrechen, sondern mit dem letzten Band „Die Schöpferin“ weitermachen.
Fazit
Pergama mag zwar ein magisches Buch sein, „Die Mächtige“ ist es aber leider nicht. Ein verlorener roter Faden, erhebliche Längen, mechanische Dialoge und sprachliche Schwächen machen den dritten Band von „Die Magie der tausend Welten“ zum anstrengendsten Buch, das ich bisher von Trudi Canavan gelesen habe. Auch die starken Protagonisten und ein eigentlich gutes Worldbuilding können nicht verhindern, dass dieses High Fantasy-Buch eine mittelschwere Geduldsprobe ist. Es tut mir wirklich leid, dennoch kann ich dem Werk nicht mehr als zwei von fünf Federn geben. Zwar glaube ich nicht mehr an ein Wunder, jedoch hoffe ich zumindest mit „Die Schöpferin“ einen besseren Abschluss der Reihe zu bekommen.