Die Zwerge
Die Kleinsten werden die Größten sein
Meine zweite Dezember-Rezension 2024
Wer sich vielleicht noch ein wenig an meinen Booktalk vom Februar erinnern kann, hat vielleicht mitbekommen, dass ich mir für 2024 eine dicke Fantasyreihe vorgenommen hatte: Die Zwerge von Markus Heitz. Tatsächlich habe ich 2024 nur den ersten Band geschafft, die anderen werde ich mir noch dieses Jahr vorknöpfen. Ich habe mir die Bücher vor einiger Zeit auf einem Bücherflohmarkt besorgt, weil ich schon so viel Gutes über die inzwischen siebenteilige Reihe gehört habe. Die Idee, in einer High Fantasy-Welt den Fokus auf das Zwergenvolk zu setzen, hat mich sofort angesprochen. Außerdem fand ich es spannend, mal einen Fantasy-Epos von einem deutschsprachigen Autoren zu lesen. Der erste Band trägt denselben Namen wie die gesamte Reihe: Die Zwerge.
Inhalt
Tungdil Bolofar ist mit seinen 63 Jahren noch ein verhältnismäßig junger Zwerg. Er ist der einzige Zwerg im Zauberreich Ionandar, denn er war ein Findelkind, das vom Magus Lot-Ionan großgezogen wurde. Als der Famulus Jolosin Tungdil einen bösen Streich spielt, eskaliert dieser so schwer, dass Tungdil zur Strafe auf einen Botengang geschickt wird. Er soll Lot-Ionans ehemaligen Famulus Gorén einige Dinge zurückbringen, der nun in einem Berg namens Schwarzjoch lebt. Auf dem Weg zum Tafelberg begegnet Tungdil Menschen, Orks und Albae. Zum ersten Mal in seinem Leben entdeckt er die Welt, von der er zuvor nur in Büchern gelesen hat. Der Zwerg erfährt auf seiner Reise mehr über seine Herkunft und lüftet dabei Geheimnisse über das Zwergenvolk, die verheerende Auswirkungen haben könnten.
Cover
Im Mittelpunkt des Covers steht eine massive Doppelaxt mit kunstvollen Verzierungen. Die Klinge reflektiert Licht, und die Axt selbst scheint von einem intensiven Feuer umgeben zu sein, das vom Griff emporlodert. Im Hintergrund erkennt man die schemenhaften Augen eines dämonischen Wesens und darunter den Umriss dreier Vögel. Der Himmel ist in einem Tiefrot bis Orange, was die feurige Atmosphäre des Covers verstärkt. Die grüne Graslandschaft, in die die Streitaxt geschlagen ist, bildet am unteren Rand einen kleinen Kontrast zu den warmen Farben des Himmels. Das Cover spiegelt die fantastische und bedrohliche Atmosphäre von „Die Zwerge“ sehr gut wider, allerdings finde ich die aktuellen Ausgaben noch etwas schöner.
Kritik
„Weißer Nebel füllte die Schluchten und Täler des Grauen Gebirges.“, ist der erste Satz des Prologs, welcher 1035 Jahre vor der eigentlichen Handlung spielt. Im Zentrum des Prologs steht der Zwerg Glandallin Hammerschlag vom Stamm der Fünften, der an der Grenze des Geborgenen Landes Wache hält. Insgesamt gibt es in dieser Welt fünf verschiedene Zwergenstämme, die über die gesamte Karte verteilt an der Grenze des Geborgenen Landes, dem Handlungsraum, leben. Zumindest waren es einst fünf Stämme, denn der Prolog erzählt von der Vernichtung des Fünften Stamms im Jahr 5199, die durch eine finstere Macht ausgelöst wurde. Ein auktorialer Erzähler berichtet von diesem über 600 Seiten langen Zwergen-Epos, der sich in zwei Teile unterteilt, im Präteritum. Interessant ist auch, dass Teil II wieder mit einem ersten Kapitel beginnt. Rechnet man die acht Kapitel aus Teil I mit den zehn aus Teil II sowie dem Zwischenspiel zusammen, besteht das Buch somit aus gerade einmal 19 Kapiteln. Außerdem gibt es zwei Karten zum Geborgenen Land sowie den Zauberreichen innerhalb des Landes, allerdings sind diese meiner Meinung nach detailarm und nicht sonderlich schön gestaltet.
Protagonist ist der 63-jährige Zwerg Tungdil Bolofar. Da er fernab von seinesgleichen im Zauberreich Ionandar aufgewachsen ist, ist er nicht unbedingt ein typischer Zwerg. Sein Ziehvater Lot-Ionan vermittelte ihm viel akademisches Wissen, weshalb er neben dem Schmieden auch das Lesen für sich entdeckt hat. Tungdil hat einen kurzgeschorenen Bart, lange braune Haare und braune Augen. Er ist neugierig, humorvoll, mutig und hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Der Botengang, auf den Lot-Ionan ihn schickt, ist für Tungdil auch der Beginn einer Reise zu sich selbst. Er erfährt dabei nicht nur mehr über die Lebensweise von Zwergen, sondern auch über seine persönliche Herkunft. Sein Charakterwandel besteht nicht zuletzt darin, zu einem echten Zwerg zu werden. Tungdil ist sicherlich eine sympathische Hauptfigur, die man als Leser schnell ins Herz schließen kann.
Wie bei High Fantasy nicht unüblich, kann es eine Weile dauern, bis man sich mit dem Worldbuilding und der riesigen Welt zurecht findet. Besonders nützlich ist hierbei das Figurenverzeichnis am Anfang des Buches. So erhält man auch einen ersten Überblick über die verschiedenen Völker, die in dieser Reihe eine Rolle spielen. Neben Zwergen gibt es nämlich noch Menschen, Magier, Elben, Albae, Orks, Oger und Gnome. Auch die Beziehungen zwischen diesen Völkern sowie den Zwergenstämmen untereinander ist vielschichtig und muss erst einmal verstanden werden, bevor man so richtig in der Geschichte Fuß fassen kann. Letztendlich war die Hürde aber doch nicht so groß wie befürchtet und wer schon öfter High Fantasy gelesen hat, wird damit keine Probleme haben.
Heitz‘ Schreibstil ist klar und zugänglich, sodass man leicht in die Geschichte eintauchen kann. Die Beschreibung der epischen Schauplätze ist eher pragmatisch und schnörkellos. „Die Zwerge“ wird stilistisch häufig mit „Der Herr der Ringe“ verglichen, doch Heitz schreibt weniger blumig und ausschweifend, was den Zwergen einen deutlich moderneren Stil verpasst. Dabei spielen Dialoge eine zentrale Rolle, die oft von trockenem Humor und Schlagfertigkeit geprägt sind. Es gibt einen rasanten Einstieg und allgemein ist das Tempo der Handlung zügig, was dazu beiträgt, dass die Spannung konstant erhalten bleibt. Die Atmosphäre ist abwechselnd düster, gefährlich, episch oder humorvoll. Die Kombination macht „Die Zwerge“ zu einem wirklich guten Leseerlebnis.
Vielmehr als sprachlich hat die Geschichte inhaltlich viele unverkennbare Parallelen mit „Der Herr der Ringe“. In beiden Plots steht der Konflikt zwischen den Mächten des Guten und einer dunklen, zerstörerischen Macht im Mittelpunkt. Außerdem gibt es in beiden Werken scheinbar unbesiegbare Gegner. Mit den Zwergen stehen genauso wie mit den Hobbits Kleinwüchsige im Mittelpunkt, die gemeinsam mit Angehörigen anderer Völker eine Gruppe von Gefährten bildet, die ein höheres Ziel verfolgen. Sowohl Tungdil als auch Frodo werden mit Lot-Ionan bzw. Gandalf von einem Zauberer auf die Reise geschickt. In beiden Fällen gibt es einen Magierring, bei Tolkien Istari genannt, von denen einer abtrünnig wird. Außerdem hat der Zwerg Boïndil Zweiklinge charakterlich starke Ähnlichkeit mit Gimli. Auch die Darstellung der Zwerge als traditionsbewusste bärtige Männer, die stets kampfbereit sind, unter der Erde leben und sich gut mit Schmieden, Edelsteinen sowie Steinarbeiten auskennen, ist bei beiden identisch. Zudem sind in beiden Geschichten magische Gegenstände von Bedeutung, wie etwa der Eine Ring. Trotz der Parallelen hat „Die Zwerge“ aber eine eigene Identität, indem bspw. Albae vorkommen oder der Fokus deutlich stärker auf dem Zwergenvolk liegt und ihr Mythos noch erweitert wird. Es ist also garantiert mehr als ein bloßer Abklatsch von „Der Herr der Ringe“, wie manche bösen Zungen behaupten.
Vollends packen konnte mich das Buch aber erst mit seiner großartig gelesenen Hörbuch-Version. Johannes Steck haucht den Figuren erst so richtig das Leben ein. Wie er den kampflustigen Boïndil, den hinterlistigen Bislipur oder den eingebildeten Mimen Rodario spricht, gibt der Geschichte einen ganz eigenen Charme. Dank des Hörbuches konnte ich auch kleinere Längen schnell überwinden und wurde vom rasanten Tempo mitgerissen. Das Ende mag zwar ein wenig abrupt und zügig abgehandelt sein, jedoch ist Heitz durchaus bereit, seine Figuren einen qualvollen Tod sterben zu lassen. Es wird stellenweise spannend, aber schraubt eure Erwartungen hier nicht allzu hoch.
Fazit
Die Zwerge ist ein gelungener Fantasy-Roman, der vor allem durch seinen Humor, seine actionreiche Handlung und die liebevolle Darstellung der Zwergenkultur überzeugt. Die klare, moderne Sprache macht das Buch zugänglich und Tungdil ist ein liebenswürdiger Protagonist. Vielleicht könnte die High-Fantasywelt noch etwas ausgefeilter sein, aber ich warte erst einmal ab, was die Fortsetzungen noch bringen werden. Das Ende ist sicherlich nicht das beste, das ich je gelesen habe, aber insgesamt hebt sich das Buch von Markus Heitz von anderen Fantasy-Werken ab. Deswegen erhält Die Zwerge aus dem Jahr 2003 von mir vier von fünf Federn. Ich werde die Reihe weiterverfolgen und schon bald zu Der Krieg der Zwerge greifen.