Der Name des Windes

Der Name des Windes
17. September 2024 0 Von lara

Die Geschichte eines Königsmörders

Meine September-Rezension 2024


Für die Lesechallenge im Juli hieß es: „Vertrau auf die Meinung anderer – lass Freunde entscheiden, welches Buch du liest“. Also habe ich mir meinen Freund geschnappt, ihn vor mein Bücherregal gestellt und gefragt, was ich lesen soll. Ohne zu zögern griff er nach „Der Name des Windes“ von Patrick Rothfuss. Den High Fantasy-Roman hat er nämlich selbst vor einigen Jahren gelesen und geliebt. Eine Zeit lang kam er aus dem Schwärmen nicht mehr heraus und das, obwohl er eher selten liest. Jetzt war ich also dran mit dem ersten Band der Königsmörder-Chronik aus dem Jahr 2008. Teil zwei „Die Furcht des Weisen“ ist auf Deutsch in zwei Bänden erschienen. Auf den finalen Band warten Fans übrigens seit über zwölf Jahren (!) vergeblich. Ob und wann „The Doors of Stone“ erscheint, ist unklar.

Inhalt

Seit gut einem Jahr betreibt der Wirt Kote bereits seine Schenke „Zum Wegstein“ im kleinen Dörfchen Newarre der Welt Temerant. Er ist noch keine 30 Jahre alt, doch ihn umgibt eine geheimnisvolle Aura. Gerüchte über spinnenartige Wesen, die unschuldige Dorfbewohner überfallen und töten, kursieren. In diesen unsicheren Zeiten macht sich Devan Lochees, ein Chronist, auf, um nach dem sagenumwobenen Kvothe zu suchen. Kvothe, der größte Arkanist aller Zeiten. Kvothe, der Königsmörder. Als er Kote trifft, ist er sich sicher, Kvothe gefunden zu haben. Und tatsächlich willigt dieser ein, ihm seine Geschichte zu erzählen. Drei Tage lang erzählt Kvothe, während Devan die Königsmörder-Chronik mitschreibt.

Cover

Das Cover ist in einem rostbraunen Ton gehalten, bei dem im Hintergrund zwei Bilder überlappen. Einmal ein pergamentartiger Grund, der vereinzelt mit Schriftzeichen einer fremden Sprache überzogen ist. Andererseits lässt sich ein wolkenverhangener Himmel mit Bergen, einer Festung sowie vereinzelt Personen im unteren Bereich erkennen. Diese Überlappung deutet geschickt darauf hin, dass hier eine Geschichte in einer Geschichte erzählt wird. Im Vordergrund hebt sich die Silhouette eines jungen Mannes, vermutlich Kvothe, hervor. Er wendet dem Betrachter den Rücken zu und scheint in die Ferne zu blicken. Dabei trägt er einen langen Mantel. In den Händen hält er eine lange Rute, während an seinem Gürtel links noch eine Schwertscheide hängt. Sein mittellanges Haar wird vom Wind nach links geweht. Anfangs fand ich das Cover zwar typisch für ein Fantasy-Buch, aber doch recht unscheinbar. Nun, da ich die Geschichte besser kenne, verstehe ich erst, wie passend es gewählt wurde.

Kritik

„Es war wieder Abend geworden.“, ist der erste Satz des Prologs. Dieser ist recht knapp, aber da die Handlung in einer Gastschenke beginnt, ist der Abend die betriebsamste Zeit. Die Geschichte setzt also direkt mitten im Geschehen ein. Ebenfalls auffällig ist, dass Prolog und Epilog mit „Eine dreistimmige Stille“ denselben Titel haben. Offensichtlich wird hier also ein Kreis geschlossen. Mit über 850 Seiten und insgesamt 92 Kapiteln plus Prolog und Epilog ist „Der Name des Windes“ ein wirklich dicker Schinken. Ich habe fast zwei Monate gebraucht, um es zu lesen, auch weil die Hardcover-Ausgabe viel zu schwer und sperrig ist, um sie mit in den Sommerurlaub zu nehmen. Es ist also keine Lektüre für Zwischendurch. Erwähnenswert ist auch die Karte der Welt Temerant im Buchdeckel. Ich liebe Karten von Fantasy-Welten, allerdings ist diese mir zu wenig detailliert. Gerade zu Beginn des Buches werden immer wieder Städte und Dörfer erwähnt, die auf der Karte nicht verzeichnet sind. So sucht man auch Newarre, die Stadt, in der Kote inzwischen lebt, vergebens auf der Karte.

Besonders außergewöhnlich ist auch die Erzählform, denn es wird eine Binnenerzählung genutzt. Der Chronist Devan, der Kovthe im Wegstein erkennt und ihn anschließend bittet, seine sagenumwobene Biografie zu schildern, bietet die Rahmenhandlung, die in Fachkreisen als Extradiegese bezeichnet wird. Kvothe, der seine Lebensgeschichte aus der Ich-Perspektive im Präteritum schildert, eröffnet die Intradiegese. Das bedeutet, dass jede Information, die die Leserschaft von Kvothe erfährt, auf seinem eigenen Bericht beruht. Entsprechend wäre es möglich, dass Kvothe bei seinen Aussagen übertreibt, etwas verschweigt oder sogar lügt, um sich anders darzustellen, als es der Wahrheit entspricht. Vermutlich stimmt zwar der Großteil dessen, was er erzählt, aber mit absoluter Sicherheit kann man es nicht wissen. Das gibt der Geschichte einen ganz eigenen Reiz.

Dementsprechend ist Kvothe der Protagonist, den man von Kindheit an begleitet, wenn auch retrospektiv. Als er in der Taverne arbeitet, ist er vermutlich noch keine 30 Jahre alt. Seine Lebensgeschichte spielt also vor allem in seiner Zeit als Teenager bis hin in seine Zwanziger. Kvothe hat blasse Haut, grüne Augen, feuerrotes Haar und soll schlank, aber trainiert sein. Mit seiner überdurchschnittlichen Intelligenz, seiner Schlagfertigkeit, seinem Mut und seiner Neugier ist er eine faszinierende Persönlichkeit. Außerdem ist er ein extrem talentierter Musiker, dessen Fähigkeiten nicht lange unentdeckt bleiben. Auf den ersten Blick wirkt Kvothe wie ein Alleskönner, der seine Konkurrenz mit einem Fingerschnippen besiegt. Allerdings hat auch er seine Schwächen. Er hat ein hitziges Temperament, kann rücksichtslos, arrogant oder sogar frech sein. Außerdem ist er teilweise sozial unbeholfen und eckt mit seinen Äußerungen bei seinen Mitmenschen an. Trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten als Schüler, Musiker oder Arkanist wirkt er dadurch dennoch durch und durch menschlich.

Rothfuss‘ hat einen poetischen und detailreichen Schreibstil, der eine gewisse Literarizität beweist. Die Sprache ist elegant und dennoch zugänglich, sodass sich diese fantastische Welt und ihre Bewohner lebhaft vorstellen lassen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf den Dialogen, die mit ihrem Humor, ihrer Raffinesse oder ihrer Tiefgründigkeit zu begeistern wissen. Die präzise Wortwahl findet sich auch in den Figuren unterschiedlicher Herkunft und Schichten wieder. Insgesamt ist das Tempo eher entschleunigt, kann aber in actionreichen Szenen anziehen. Dennoch gibt es hier keinen klassischen Spannungsbogen, da bspw. Kvothes jahrelange Mühen beschrieben werden, verschiedenes Wissen über Magie zu erwerben. Wer hier epische Schlachten und spritzendes Blut erwartet, wird also enttäuscht werden. Es gibt auf den über 850 Seiten immer wieder Längen. Auch, wenn ich die dichte, düstere Atmosphäre der Fantasy-Welt genossen habe, konnte mich der Plot nie völlig fesseln. Da mir meine Hardcover-Ausgabe z.B. zu dick und zu sperrig für den Sommerurlaub war, habe ich das Buch nicht mitgenommen und die Lektüre entsprechend zwei Wochen lang pausiert. Und was soll ich sagen? Das Buch hat mir weder gefehlt, noch hatte ich nach meiner Rückkehr das Bedürfnis, sofort weiterzulesen. Es fehlt also dieses kleine Fünkchen Etwas, das ein sehr gutes Buch zu einem Favoriten macht.

Positiv hervorheben möchte ich aber noch das Worldbuilding und die Komplexität des Magiesystems. Temerant scheint eine große Welt zu sein, aber da die Leserschaft Kvothe konsequent begleitet, sieht man nur einen Bruchteil der Welt, allem voran Tarbean und die Universitätsstadt Imre. Es ist also noch zu früh, um zu bewerten, wie ausgefeilt und vielfältig die Welt von Rothfuss ist. Auch politische Konflikte spielen in diesem Buch nur am Rande eine Rolle, bilden aber den Hintergrund, der die Machtverhältnisse zwischen Adeligen und Bauern sowie ihre Interaktionen erklären. Besonders interessant ist die reichhaltige Geschichte und Mythologie dieser Welt. Viele dieser Legenden, wie die der Chandrian, spielen eine zentrale Rolle für Kvothe. Damit werden auch Geschichten in einer Geschichte (Kvothe) in einer Geschichte (Chronist) eröffnet, die sogenannte Metadiegese. Zudem ist das Magiesystem so komplex, dass ich es bis jetzt noch nicht völlig durchschaut habe. Es gibt in der Welt verschiedene Wege, um Magie zu wirken. Die häufigste Form ist die sogenannte Sympathie, die auf der energetischen Verbindung zwischen zwei Objekten basiert. Zudem gibt es die Sydralgie, die eine Form der Runenmagie ist, die die Herstellung magischer Gegenstände ermöglicht. Hinzu kommt die Alchemie sowie die Namenskunde. Die Namenskunde ist eine seltenere und mächtige Form der Magie, die auf dem wahren Namen von Elementen beruht. Bspw. verleiht das Wissen um den Namen des Windes die Fähigkeit, den Wind nach Belieben zu kontrollieren. Daher kommt auch der Titel des Buches: „Der Name des Windes“. Natürlich gibt es aber auch z.B. den Namen des Feuers. Es gibt noch weitere magische Systeme und Phänomene, die selbst von den Gelehrten noch unerforscht sind. Kurzum hat Rothfuss ein originelles Magiesystem erschaffen, sowie ein Worldbuilding, in dem Geschichte und Mythologie tief verwurzelt sind.

Das Ende ist wie der Plot allgemein eher ruhig und reflektiert. Es gibt kein dramatisches Finale, aber eine unterschwellige Spannung, da viele Fragen, insbesondere das Geheimnis um die Chandrian, noch offen sind. Durch Foreshadowing wird teilweise angedeutet, was Kvothe in Zukunft noch erleben wird. Mit „Der Name des Windes“ endet der erste Tag, an dem er dem Chronisten seine Lebensgeschichte erzählt. Es fühlt sich an wie eine Zwischenbilanz, wobei der Fortgang der Geschichte unklar ist. Der sanfte und nachdenkliche Epilog passt wunderbar zur Atmosphäre des gesamten Buches. Es muss eben nicht immer ein effekthaschender Cliffhanger sein, um Lust auf die Fortsetzung zu machen.

Fazit

Patrick Rothfuss‘ „Der Name des Windes“ ist ein beeindruckender Auftakt einer High Fantasy-Saga, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sein Debütroman ist. Kvothe ist ein faszinierender Protagonist, der mit seiner Intelligenz und seinem Charisma die Leserschaft schnell um den Finger wickelt. Auch der poetische und detailreiche Schreibstil erschafft eine dichte Atmosphäre, die die Erzählung eindrucksvoll untermalt. Jedoch ist das Buch nicht völlig frei von Schwächen. Aufgrund seines Umfangs und gemächlichen Tempos können sich einige Passagen durchaus langatmig anfühlen und zumindest bei mir hat sich keine Sogwirkung entwickelt. Wer über gewisse Längen aber hinwegsehen kann, wird mit einem tiefgründigen Worldbuilding und einem komplexen Magiesystem belohnt, in dem viele Geheimnisse verborgen sind. Auch wenn sich die Reihe bisher nicht bei meinen Favoriten „Das Lied von Eis und Feuer“ oder „Der Hexer“ einreiht, kann ich dem ersten Band der Königsmörder-Chroniken guten Gewissens vier von fünf Federn geben. Der Schuber der Fortsetzung „Die Furcht des Weisen“ steht nun zwar auf meiner Wunschliste, solange der letzte Band aber noch nicht veröffentlicht ist, sehe ich auch keine Notwendigkeit mich beim Lesen zu beeilen.