Clockwork Angel

Clockwork Angel
4. November 2018 0 Von lara

Der tickende Anhänger

Meine zweite Oktober-Rezension 2018

Als ich einer guten Freundin erzählt habe, dass ich noch nie ein Buch von Cassandra Clare gelesen habe, war sie zutiefst schockiert. Um diesen Missstand zu beheben, hat sie mir direkt ihre Hardcover-Trilogie von den „Chroniken der Schattenjäger“ ausgeliehen, der Vorgeschichte zu den „Chroniken der Unterwelt“. Der erste Band „Clockwork Angel“ ist ein Jugendbuch mit Urban-Fantasyelementen aus dem Jahr 2011 und spielt in England im späten 19. Jahrhundert.

Inhalt

Um ihren Bruder Nathaniel, kurz Nate, wiederzusehen, reist die 16-jährige Theresa Gray, meist Tessa genannt, im Jahr 1878 mit einem Ozeandampfer von New York nach Southampton. Am Hafen angekommen, wartet dort aber nicht ihr Bruder auf sie, sondern zwei Frauen, die sich als Mrs. Dark und Mrs. Black vorstellen. Sie geben ihr einen Brief von Nate, in dem steht, dass er verhindert ist und stattdessen die beiden Frauen geschickt hat, um sie abzuholen.
Mrs. Black und Mrs. Dark haben jedoch nichts Gutes im Sinn und sperren Tessa in ihrem Anwesen ein, weil sie sich ihre übernatürliche Kräfte zu Nutzen machen wollen. Denn sie ist eine Gestaltenwandlerin, was Tessa selbst noch nicht wusste, bis die beiden Frauen sie zu regelmäßigen Wandlungen zwingen, die für sie sehr schmerzhaft sind. Da ihr gedroht wird, Nate etwas Schreckliches anzutun, sollte sie nicht kooperieren, traut sich Tessa nicht, sich zur Wehr zu setzen. Erst nach sechs Wochen wird sie von einem jungen Mann namens William Herondale befreit, wobei er Mrs. Black tötet. Er bringt Tessa in das Institut der Schattenjäger und zeigt ihr eine Parallelwelt, von der sie bisher nichts ahnen konnte.

Cover

Von den „Chroniken der Schattenjäger“ existieren bisher zwei verschiedene Cover, von denen die alten eindeutig die Schöneren sind. Glücklicherweise hatte ich diese auch vorliegen, denn die neuen sind leider ziemlich hässlich und hätten mich nie zu einem Kauf verleiten können. Ein dunkles Cover mit dem Ausschnitt einer frontalen Gesichtsaufnahme eines jungen Mannes in der rechten Hälfte hat man gefühlt schon hundert Mal gesehen. Das alte Cover ist sehr detailliert und liebevoll gestaltet. Darauf befinden sich Prägungen und teilweise schillernde Glanzfolie. Der Hintergrund ist in einem orangerot gehalten, oben ist ein Wasserspeier in Form eines Löwenkopfes mit geöffnetem Maul, aus dem Rauch austritt, zu sehen. Im unteren Zentrum liegt eine Art Bullauge, durch das man den Big Ben vor dunklen Wolken sehen kann. Davor stehen zwei alte Straßenlaternen, eine Schar Krähen fliegt durch die Luft und ganz vorne rechts erkennt man die Silhouette einer Frau in einem Kleid, die die linke Hand in die Hüfte stemmt und die rechte nach unten weg streckt. Durch den Big Ben ist London als größter Handlungsort bereits deutlich und durch die Straßenlaternen ebenfalls die grobe Handlungszeit.

Kritik

„Der Dämon explodierte in einem Regen aus blutigem Sekret und Eingeweiden.“, ist der erste Satz des Prologs. Damit ist sofort Fantasy als Genre erkennbar, als auch eine für ein Jugendbuch recht ungewöhnliche Brutalität. Mit einem buchstäblichen Knall wird der Leser in die Geschichte katapultiert. Noch vor dem Prolog steht ein Ausschnitt aus dem „Lied der Themse“ von Elka Cloke, das ein erstes Gefühl der Atmosphäre vermitteln soll. Im Prolog geht es um den jungen William Harondale, der nach der Tötung eines sogenannten Shax-Dämons die Leiche eines Mädchens findet. Doch er zweifelt daran, dass der Dämon ihr Mörder ist und steht vorerst vor einem Rätsel. Anschließend berichtet Tessa im Präteritum und mit einem personalen Erzähler von ihrer Reise nach Southampton. Das erste Kapitel spielt dann sechs Wochen später, als sich die Protagonistin bereits in Gefangenschaft befindet. Vor jedem Kapitel stehen Zitate aus verschiedenen britischen Werken, beispielsweise von Oscar Wilde, William Shakespeare oder Rudyard Kipling. Auch andere literarische Klassiker finden in diesem Jugendbuch Erwähnung, unter anderem „Große Erwartungen“ von Charles Dickens oder „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë. Mit über 550 Seiten und exakt 20 Kapiteln, fallen diese relativ lang aus.

Theresa Gray ist die Protagonistin der Geschichte. Sie ist 16 Jahre alt, hat graue Augen, lockiges braunes Haar und ist mit ihren 176cm überdurchschnittlich groß, teilweise sogar größer als andere Männer. Das einzige Eigentum, was ihr nach der Gefangenschaft bei Mrs. Black und Mrs. Dark noch bleibt, ist ihre Kette. Der Anhänger ist ein kleiner Engel mit langen Haaren, der seine Hände auf einen Schwertgriff stützt. Tessa bezeichnet ihn als „Klockwerk Engel“, da von ihm ein kontinuierliches Ticken ausgeht, obwohl kein Ziffernblatt zu erkennen ist. Ich finde die deutsche Übersetzung hierzu mehr als fragwürdig, weil es den Begriff „Klockwerk“ auf Deutsch gar nicht gibt und er eher für Stirnrunzeln sorgt. Die korrekte und viel verständlichere Übersetzung wäre einfach „Uhrwerk“. Neben Tessa fungieren auch Charlotte Branwell, James und Will als personale Erzähler, allerdings deutlich seltener.

Da die Geschichte Ende des 19. Jahrhunderts spielt, also in einer Zeit, in der Emanzipation noch ein Fremdwort ist und Frauen selten autark handeln, muss sich Tessa mit ihrer Rolle als Gestaltenwandlerin und der daraus resultierenden Macht erst zurecht finden. Sie ist ein sehr feminines Mädchen, die es liebt zu lesen. Mit Kämpfen oder sogar Hosen tragen, was damals für Frauen noch verboten war, kann sie wenig anfangen. Insgesamt ist Tessa ein angenehmer Charakter, von dem ich noch nicht weiß, wie sehr sie mir in den nächsten Bänden noch ans Herz wachsen wird.

Clares Schreibstil konnte mich von Anfang an begeistern. Sie hat ein Gefühl dafür, eine passende Atmosphäre zu vermitteln und beschreibt Details, ohne sich darin zu verlieren. Die Dialoge sind kurzweilig und manchmal auch humorvoll, ohne abgedroschen oder erzwungen daher zu kommen. Jedoch folgen manche Sätze derselben Struktur, sodass es viele Wiederholungen gibt wie „die Achseln zucken“, „im Kielsog“ oder ganz besonders „konstatieren“. Wenn dieses Wort vier Seiten hintereinander mindestens einmal pro Seite verwendet wird, ist das eindeutig zu viel des Guten. Der Plot ist unterhaltsam, oft spannend, actiongeladen und teilweise blutig. Zwischendurch blitzen kleine Horrorelemente auf, wie zugenähte Münder, aus dem Schädel hängende Augäpfel oder rollende Köpfe, was für ein Jugendbuch ungewöhnlich brutal ist. Aber genau das hat mir besonders gut gefallen. Aus diesem Grund ist „Clockwork Angel“ kein Buch für sehr junge Leser. Ab 14 Jahren braucht man im Normalfall jedoch keine Bedenken mehr zu haben.

Das Ende ist noch einmal richtig spannend. Es gibt einen großen Plottwist, blutige Kämpfe, die nicht ohne Opfer bleiben und aufschlussreiche Dialoge. Für den ersten Band einer Trilogie ist im Bezug auf das Ende die Messlatte also schon hoch angesetzt. Anschließend folgt noch ein Epilog und ein Anhang, in dem das dargestellte London und die Gedichte am Anfang jedes Kapitels näher erläutert werden.

Fazit

„Clockwork Angel“ hat mich positiv überrascht und ist der beste Auftakt einer Jugendbuch-Trilogie, den ich seit diesem Jahr gelesen habe. Ich bin froh, dass meine Freundin mir die Bücher ausgeliehen hat, denn ich weiß nicht, ob ich von alleine zu Cassandra Clare gegriffen hätte. Trotzdem haben mich kleinere Faktoren gestört, wie die merkwürdige Übersetzung von „Clockwork“, für die die Autorin natürlich nichts kann, oder die Wiederholungen mancher Worte, beziehungsweise Satzfetzen. Insgesamt ist der Urban-Fantasyroman aber sehr gelungen. Deswegen gebe ich dem ersten Band der „Chroniken der Schattenjäger“ vier von fünf Federn. Als nächstes werde ich die Fortsetzung „Clockwork Prince“ lesen.